Burgtheater Kasino

Dieser „Peer Gynt“ wirbelt wie der Wind durch Raum und Zeit

Fantastisch: Mavie Hörbiger als Peer. 
Fantastisch: Mavie Hörbiger als Peer. Marcella Ruiz Cruz
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Thorleifur Örn Arnarsson erweckt mit einem kleinen Ensemble Henrik Ibsens märchenhaftes Welttheater zum Leben.

Weniger kann tatsächlich mehr sein. Das gilt besonders für überbordende Texte, wie Henrik Ibsens dramatisches Gedicht „Peer Gynt“ (1867). In Umfang und Themenvielfalt ist dieses Leib- und Seelenstück des norwegischen Meisterdramatikers durchaus dem zweiten Teil von Goethes „Faust“ vergleichbar. Nimmt man es ganz genau, könnte ein Theater mit dieser Geschichte eines Träumers, der beharrlich nach oben will und dabei viele Opfer auf dem Weg lässt, eine Nacht, einen Tag und noch eine Nacht bestreiten. Zu sehen ist ein Leben, das vom Norden auf See, in den Maghreb und noch viel weiter führt.

Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson, mit Ibsen seit jungen Jahren bestens vertraut, hat den Mut zur Kürze gehabt und damit überlegen gewonnen. Die Premiere im Burgtheater Kasino geriet bestens, auch wegen des hervorragenden Ensembles, mit Mavie Hörbiger als Titelheld. Nicht einmal zwei Stunden wirbeln sie und ihre Mitspielenden durchs Geschehen. Danach glaubt man aber, kaum etwas vom reichen Stoff zu vermissen. Zum Dank gab es euphorischen Applaus.

Weniger ist manchmal mehr. Wie stellt Bühnenbildner Daniel Angermayr die Welt dar? Vereinzelte Objekte nur hat er weitflächig verteilt; ein Divan im Hause Gynt, etwas abgewohnt, soweit man es im Halbdunkel erkennen kann. Ein Container mit transparenten Planen dient als Irrenhaus. Ein simpler Sessel wird für Peer zum Gebirge. Musikinstrumente, Ballons, eine Zwiebel, sonst fast nichts. In diesem Raum könnte einer den Horror Vacui kriegen. Fantasievoll sind auch die Kostüme: Maskenspielerei, deformierte Menschen, Karikaturen von Reichen, Bauern, Entertainern, Schweinen. Als alter Kapitalist Peer wird Hörbiger in einen Fat-Suit gezwängt, so wie einige ihrer Mitspieler.

Im ersten Akt wird nicht gestorben

Worauf hat sich diese Inszenierung konzentriert? Sie hält sich an den Text (die Fassung von Gottlieb Greiffenhagen, die auf der Übersetzung von Christian Morgenstern fußt) und bietet dessen entscheidende Passagen. Lauter altbekannte Hits. Nur anfangs gibt es eine Abweichung, einen Vorgriff. Der Abend beginnt nicht mit der Skepsis, mit der Peers Mutter Aase (Barbara Petritsch) seiner Lügengeschichte begegnet (dem Ritt auf einem Bock über schmalen Grat am Abgrund), sondern mit einer Szene am Ende, nach zirka 180 Seiten: Theaternebel kommt auf im Kasino, Klaviermusik, zart erst, dann lässt Gabriel Cazes, der Edvard Griegs Melodien und einiges mehr im kleinen Finger hat, es richtig krachen. Eine Allegorie des Todes will den längst gealterten Peer holen.

Die unheimlichen Gestalten des Fremden, Krummen und Knopfgießers werden von Johannes Zirner mit der nötigen Zurückhaltung makaber gespielt. Da giert eine höhere Macht nach dem menschlichen Kadaver. Damit wird die Grundstimmung gesetzt; es herrscht die Angst vor dem Nichts, zugleich ist der Verkünder des Unheils spaßig: Man sterbe nicht im ersten Akt, sagt er wie zur Beruhigung. Im letzten dann zieht dieser düstere Bote ein Reclam-Heft hervor, um zu legitimieren, dass er Anspruch auf Peer habe. Im Finale geht es ihm tatsächlich ans Leben.

Perfekte Besetzung

Diese Vorausschau ist aber nur eine kurze Sequenz. Schon sehen wir den jungen Peer, schwarz, in kurzen Hosen mit Reiterkappe und Springerstiefeln. Frau Hörbiger darf sich in ihrer Männerrolle richtig austoben – burschikos, witzig, verführerisch, sentimental, zärtlich und brutal, im Ausdruck variabel, aber immer höchst fokussiert. Sie erfüllt sie prall mit Leben. Ihre Partner sind kongenial. Wer könnte ihre arme alte Mutter besser spielen als Barbara Petritsch? Sie verleiht dieser Rolle Glanz aus einer abgelebten Zeit. Lilith Häßle gibt mit Herzblut diverse Geliebte von Peer. Anmutig singt sie als Solveig, packt zu, wenn sie Anitra spielt oder eine Troll-Prinzessin, begehrt wild als Ingrid. Ihre intimsten Szenen mit Peer sind zum Heulen zart. Auch Lukas Vogelsang beherrscht die Kunst der vielfältigen Verwandlung, ob nun als Troll-König, Philosoph, Irrer oder Geschäftsmann. Kurz: Dieses Spiel ist perfekt besetzt. Dieses Theater lebt.

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