Feuilleton-Briefing

Schwerblütler

Die Presse Fotos extern
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Haben Sie sich noch das Buch von Leipzig-Preisträgerin Barbie Markovic sichern können? Es wird jetzt wohl längere Zeit schwer zu bekommen sein, der „Minihorror“ im Megahorror. Voriges Jahr noch ging es um diese Zeit zur Erwin-Wurm-Ausstellung in Tel Aviv.

Also bin ich aufs Rad gesprungen, kurz nachdem die Eilt-Meldung kam. Ein paar Minuten nur, bis die Buchhandlung des Vertrauens schloss. Aber genau deshalb verdient sie ja den Titel Buchhandlung des Vertrauens. Weil man weiß, man bekommt es noch, das letzte Exemplar von dem Buch, dessen Autorin gerade eben den Preis der Leipziger Buchmesse bekommen hat. In dem Fall Barbi Markovic für ihren Roman, oder ihre Kurzgeschichten, so genau weiß sie das selber nicht, „Minihorror“. Das letzte Exemplar, wird mir versichert, habe man mir reserviert. Dann wird es länger nicht mehr lieferbar sein. So die Logik der Preise. Meine Osterlektüre zumindest ist gesichert. Sorry.

Gerechnet hat niemand wirklich damit, dass Marcovic diesen Preis erhält. Hat sie aber. Also lesen wir. Vom „Minihorror“. In Zeiten des Megahorrors. Vor einem Jahr bin ich nach Tel Aviv aufgebrochen um diese Zeit. Zu einer Ausstellung von Erwin Wurm. Vor meinem Hotel fand ein Anschlag statt. Ganz normal, wurde mir versichert. Ein Jahr später ist alles anders. Dieses Jahr fährt niemand mehr in dieses Zauberland, das es für so viele gewesen ist, ewiger Strand, gutes Essen, schöne Menschen. Ostern in Israel, das wird heuer eine zumindest touristisch vergleichsweise ruhige Angelegenheit.

Die Magnolien blühen hier schwer inzwischen. So schwer, dass es gar nicht angenehm ist, ihnen dabei zuzusehen, den alten Schwerblütlern. Man meint, die ganze Last der Schönheit zu spüren, sieht der Blütenpracht ihr schnelles Ende an, im Moment, nein, einen Moment vor ihrem rapiden Verfall. Wenn nur noch faulige, fette Blätter den Boden bedecken. Derlei subtile Sentimentalitäten hätte Banksy nicht annähernd hinbekommen, er bekam nur eine banalgrüne Hintermalung eines Baumgerippes in einem Londoner Sozialviertel hin. Einen Tag nach ihrem Erscheinen war das Selfiemotiv auch schon medienwirksam devastiert, mit nur zwei, drei weißen Vandalenstrichen lächerlich gemacht. Grün, grün, grün ist meine Lieblingsfarbe, grün, grün, grün ist alles was ich habe.

Welch andere Anstrengung, welch minutiöse Arbeit steckt hinter dem Mosaik in allen Regenbogenfarben, an dem Isolde Joham 1970 bis 1972 bastelte. Zehntausende Glassteine zu einem Mosaik fügte. Zu Sonnen und noch mehr Sonnen, eine Explosion des Frohsinns, ein Urknall der Hippie-Zeit. Um dann Jahrzehnte auf das Leid von Menschen zu strahlen. Das Mosaik, acht Meter lang, prangte im Wartebereich, in der Notaufnahme des Lorenz-Böhler-Spitals, und tut es auch jetzt noch. Schon wollte ich ausrücken mit glühender Feder, um seinen Erhalt zu erkämpfen. Immerhin wurde Joham, die 2022 mit 90 Jahren starb, zuletzt wieder entdeckt, diese Professorin für Glaskunst an der Angewandten, diese amerikanischste aller österreichischen Malerinnen. Doch dann wurde mir versichert: Alles gut. Nichts wird angerührt. Das Mosaik bleibt, natürlich, erhalten. Versicherte mir ein Auva-Sprecher. Sei es hier trotzdem niedergeschrieben, nicht, dass später einmal niemand etwas gewusst hätte. Dass das viele Glas, die ganzen Farben, das ganze längst vergangene Lebensgefühl einer Epoche in den Container wandert. Ups.

Joham war eine eindrucksvolle, glücklich stille Erscheinung, von Krankheit gezeichnet, als ihre große Retrospektive in der niederösterreichischen Landesgalerie in Krems eröffnete. Sie starb am letzten Tag der Ausstellung. Tatsächlich. So etwas passiert.

Was passiert noch? Am Samstag hat Martin Kusejs letzte Inszenierung als Regisseur und Burgtheaterdirektor Premiere. „Orpheus steigt herab“, ein Stück von Tennessee Williams, das ich nicht kenne (keine Sorge, ich schreibe nicht die Kritik dazu). Von einem Mann, der in eine „Kleinstadthölle“ geworfen wird, lese ich. Und von einem Interview, das Williams 1976 (da bin ich geboren) im Wiener Hotel Imperial gegeben hat, manchmal ist die Burgtheater-Homepage doch eine Fundgrube. „Ihr Europäer“, hat er damals nach einem Drink gesagt, „liebt Eure Künstler mehr, ihr verzeiht ihnen, dass sie nicht immer gleich gut sind.“ Wir verzeihen ihnen mittlerweile auch, wenn sie meistens nicht gut sind, aber sei es drum. Hübsch der Moment, wenn er erklärt, warum er nicht alles beendet hat: „Ich kam zu der einfachen Erkenntnis: Leben – das heißt einfach weitermachen, ohne jede intellektuelle oder spirituelle Rechtfertigung.“ Dieses basale Weitertun als Parole finde ich in zwar trostlos, aber dennoch, trotz allem tröstend.

Womit ich Ihnen frohe Ostern Wünsche. Bis danach.

Ihre Almuth Spiegler
almuth.spiegler@diepresse.com

Dieser Text ist eine überarbeitete Version des [Ressort]-Briefings von [Autor:in]. Es erscheint jeden [Wochentag] als Newsletter, den Sie hier bestellen können.

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