Interview

Mit Verständnis für Insekten die Welt retten

Der Siebenpunkt-Marienkafer (<em>Coccinella septempunctata</em>) ist in Europa heimisch. Sein klassisches Outfit unterscheidet sich von den bunteren asiatischen Marienkäfern, die oft mehr als sieben Punkte haben.
Der Siebenpunkt-Marienkafer (Coccinella septempunctata) ist in Europa heimisch. Sein klassisches Outfit unterscheidet sich von den bunteren asiatischen Marienkäfern, die oft mehr als sieben Punkte haben.Zimmermann
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Im neuen Buch „Insektengeflüster“ weckt Dominique Zimmermann vom Naturhistorischen Museum Wien viel Freude an den kleinen Lebewesen. Ohne Insekten würden wir Menschen kaum überleben.

Die Presse: In Ihrem Buch steht „Ohne Insekten gibt es keine Menschen“. Wie ist das zu verstehen?

Dominique Zimmermann: Die Menschheit, wie sie heute von natürlichen Ressourcen lebt, gäbe es nicht mehr, würden die Insekten verschwinden. Denn sie sind nicht nur Bestäuber, sondern arbeiten auch als Pflanzenfresser, sind Nahrung für andere Tiere, und sie sind im Kreislauf der Natur wichtige Zersetzer.

Gibt es mehr Menschen oder Insekten auf der Welt?

Unglaublich viel mehr Insekten: Zählt man die Biomasse aller Insekten zusammen, wiegen sie etwa so viel wie alle Menschen und alle Nutztiere. An Land sind Insekten der größte Biomassefaktor. Und: Mehr als die Hälfte aller beschriebenen Arten weltweit sind Insekten.

»Insekten sind überall: Wenn man sie wahrnimmt, kann man ständig wie durch einen Zoo spazieren!«

Dominique Zimmermann,

Zoologin am Naturhistorischen Museum Wien

Wie entstand Ihre Faszination für diese Tiergruppe?

Bei Exkursionen der Uni Wien: Auf Kreta haben wir zum Beispiel Sexualtäuschblumen untersucht, also Blüten, die für ihre Bestäubung Bienenmännchen mit Sexualduftstoffen anlocken. Das Tolle an Insekten ist, dass sie überall sind. Wenn man sie wahrnimmt, kann man ständig wie durch einen Zoo spazieren! Sie sind so nahbar, echte Lebewesen jeden Tag vor der Haustüre.

Gemeine Löcherbiene,<em> Heriades truncorum</em>
Gemeine Löcherbiene, Heriades truncorumZimmermann

Welche Frage lösen Sie derzeit im Naturhistorischen Museum Wien als Insektenforscherin?

Wie haben sich Gemeinschaften von Wildbienen über 100 Jahre verändert? Wir sammeln Daten in heutigen Landschaften und vergleichen die Ergebnisse mit Exemplaren aus dem Museum. Die Pollen an den Bienen im Museum geben uns Auskunft, wie die Landschaft vor langer Zeit ausgesehen hat.

Welche Region ist von Insekten geprägt?

Alle! Die Gemeinschaft der Insektenarten ist sehr unterschiedlich in jeder Landschaft. Es gibt Offenlandarten und Waldarten. Im Osten Österreichs, im pannonischen Raum, ist die Vielfalt an Bienen und Wespen sehr hoch, auch Gottesanbeterinnen sind häufig, also Arten, die Wärme und Trockenheit lieben. Im Wald sind mehr Schlupfwespen, Käfer und andere Arten, die von Holz und Totholz leben. In den Alpen sind die Communitys einzigartig, mit Hummeln, die durch ihre Körpergröße und Flauschigkeit an die Kälte angepasst sind, und mit hochalpinen Laufkäfern.

Kleiner Kohlweißling <em>Pieris rapae</em>
Kleiner Kohlweißling Pieris rapaeZimmermann

Gibt es auch im Schnee und Eis Insekten?

Ja, der Gletscherfloh ist ein Springschwanz, ein sehr ursprüngliches ungeflügeltes Insekt. Seine Wohlfühltemperatur liegt bei null Grad, er hat mit –15° C kein Problem, aber mehr als 12° C sind tödlich für ihn. Gletscherflöhe ernähren sich von angewehten Pollen, winzigen Partikeln und Algen.

Haben Sie ein Lieblingsinsekt?

Das ist die schwierigste Frage! Ich mag manche Bienenarten sehr: Das Kleine Steppenbienchen ist Österreichs kleinste Biene, sandliebend und sehr hübsch. Aktuell ist der Ölkäfer mein Favorit. Dieser „Maiwurm“ ist sehr verschrien, weil er das giftigste Insekt in Österreich ist. Er hat giftige Abwehrstoffe, aber ich finde den blau-schwarz glänzenden Käfer hübsch. Er ist ein Frühlingsbote und kriecht so langsam, dass man ihn gut fotografieren kann.

Stellen Sie Insektenfotos auf Webseiten wie naturbeobachtung.at oder iNaturalist?

Ja, diese Citizen-Science-Plattformen funktionieren großartig. Die KI schlägt meist die richtige Art vor, und man kann Menschen positiv an die Artenvielfalt heranführen.

Goldfliege bei der Paarung, <em>Lucilia sericata</em>
Goldfliege bei der Paarung, Lucilia sericataZimmermann

Welche Insekten sind Klimawandelgewinner?

Auf Österreich bezogen sicher viele der Wildbienen, weil sie wärmeliebend sind. Doch in südlichen Ländern wird es diesen mediterranen Arten nun vermutlich zu heiß. Dort sind jetzt die Bienen, die bei uns mehr werden, die Klimawandelverlierer.

Dieser Käfer ist der Veränderliche Widderbock <em>Chlorophorus varius.</em>
Dieser Käfer ist der Veränderliche Widderbock Chlorophorus varius.Zimmermann

Welche zählen außerdem zu den Klimawandelverlierern?

Für tropische Arten ist die Erderwärmung sehr kritisch. Dort herrscht das ganze Jahr über eine ähnliche Temperatur. Die Arten sind nicht an Schwankungen angepasst wie in gemäßigten Breiten. Dadurch wirkt der Klimawandel viel dramatischer, solche „unflexiblen“ Insektenarten können aussterben. In Österreich zählen hochalpine Arten zu den Verlierern, denn wenn man immer weiter nach oben ausweicht, in kühlere Höhenlagen, ist irgendwann der Gipfel erreicht.

Ist Extremwetter für Insekten schädlich?

Starkregen ist für die meisten Arten ein Problem. Extremwetter wie z. B. auch Dürre bringt vieles aus dem Gleichgewicht. Die Beziehungen von Räuber und Beute oder von Parasit und Wirt kommen durcheinander. Auch die Blühzeiten der Pflanzen passen bei zu warmem Winter und Frühling nicht mit den Flugzeiten der Bestäuber zusammen. Am stärksten betroffen sind Insekten, die auf nur ganz wenige Pflanzen spezialisiert sind.

Der Balkenschröter <em>(Dorcus parallelipipedus)</em> wird auch Zwerghirschkäfer genannt. Foto im Tiergarten Schönbrunn 2023 aufgenommen.
Der Balkenschröter (Dorcus parallelipipedus) wird auch Zwerghirschkäfer genannt. Foto im Tiergarten Schönbrunn 2023 aufgenommen.V Schmidt

Was kann man gegen Artenverlust tun?

Am wichtigsten ist es, den Lebensraumverlust zu stoppen. Aber auch das Mikroklima in jeder Landschaft macht einen Unterschied. Gibt es Schatten? Versickert Wasser schnell nach Starkregen? Unter einem Baum hat es zwei, drei Grad weniger als auf der sonnigen Fläche. Insekten brauchen Rückzugsorte.

Wie kann man Insekten schützen?

Meine Message ist: Mit Empathie für Insekten die Welt retten. Wir müssen Insekten als Lebewesen wahrnehmen. Viele Menschen haben die Beziehung zur Natur verloren. Wir hängen auf vielfältige Weise von der Natur ab, von allen Arten, die uns umgeben.

Die europäische Maulwurfsgrille <em>Gryllotalpa gryllotalpa.. </em>Das Exemplar wurde in Salzburg Stadt gesichtet.
Die europäische Maulwurfsgrille Gryllotalpa gryllotalpa.. Das Exemplar wurde in Salzburg Stadt gesichtet.V Schmidt

Soll das Naturverständnis besser vermittelt werden?

Das muss im Kindesalter beginnen. Wir brauchen viel mehr Naturerlebnisse durch die Schulen. Meine Kollegin Ines Méhu-Blantar hatte eine super Idee, dass man die Skikurse durch eine Woche ersetzt, in der Kinder die Arten und die Natur kennen- und ökologische Zusammenhänge verstehen lernen.

Nach dem Motto: Man schützt nur, was man kennt.

Genau. Das beginnt schon bei der Ausbildung der Pädagoginnen und Pädagogen. Sogar im Biologiestudium lernt man zu wenig, Tierarten zu bestimmen.

Wer kann diese Heuschreckenart bestimmen? Biologinnen plädieren für eine Naturwoche statt eines Skikurses in Schulen. Die Antwort ist: Grünes Heupferd (<em>Tettigonia viridissima</em>).
Wer kann diese Heuschreckenart bestimmen? Biologinnen plädieren für eine Naturwoche statt eines Skikurses in Schulen. Die Antwort ist: Grünes Heupferd (Tettigonia viridissima).Dominique Zimmermann

Welche Initiativen leisten gute Arbeit?

Der österreichische Biodiversitätsrat ist ein wichtiges Instrument, nicht nur für Insekten, sondern für alle Arten, um mit der Politik zu kommunizieren. Und der Naturschutzbund leistet wertvolle Arbeit im Sinne von „Artenschutz ist Lebensraumschutz“. Die Organisation kauft schützenswerte Flächen und organisiert Leute, die den Lebensraum pflegen und die Artenvielfalt erhalten.

Sie sind beim Projekt Go Bugs Go dabei.

Der Verein ist großartig, gegründet von dem Künstler Edgar Honetschläger. Das Kollektiv kauft Flächen und erklärt sie zur „menschenfreien Zone“. So wird Natur als Kulturgut geschützt. In der Verbindung aus Wissenschaft und Kunst haben wir das Insektenmanifest erarbeitet: 13 Kernaussagen, die sich der Koexistenz von Menschen und Insekten widmen, z. B. Rechtspersönlichkeit für Naturelemente oder die Vermeidung von Lichtverschmutzung, Bodenversiegelung und Monokulturen. Im Mai wird der „Walk of Insects“, dem das Manifest zugrunde liegt, vor der Boku Wien als dauerhaftes Kunstwerk eröffnet.

Der Segelfalter <em>(Iphiclides podalirius</em>) wird oft mit dem Schwalbenschwanz verwechselt (<em>Papilio machaon</em>).
Der Segelfalter (Iphiclides podalirius) wird oft mit dem Schwalbenschwanz verwechselt (Papilio machaon).Zimmermann

Zur Person

Dominique Zimmermann (42) ist Zoologin am Naturhistorischen Museum Wien und unterrichtet an der Uni Wien. Ihr Buch „Insektengeflüster“ ist jetzt im Leykam Verlag erschienen (25,50 Euro, 258 Seiten). Sie beschreibt das „verborgene Leben auf sechs Beinen“ aus persönlicher und wissenschaftlicher Sicht.

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