Gastkommentar

Brics plus: Neue Weltordnung nach der Pax Americana?

Peter Kufner
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Die Interessen der heterogenen Ländergruppe sind zu unterschiedlich, um die westliche Vorherrschaft ernsthaft zu gefährden.

Es sind nicht alle glücklich mit den derzeitigen Machtverhältnissen auf der Welt. Die Brics-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika wollen die geopolitische und geoökonomische Ordnung ändern und ein Gegengewicht zu den USA und zum Westen schaffen. Anfang 2024 wurde die Allianz um fünf Staaten erweitert und heißt nun Brics plus, wobei Argentinien seine Teilnahme auf Betreiben des neuen Präsidenten, Javier Milei, im letzten Moment abgesagt hat.

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An dieser Stelle ein kleiner historischer Exkurs: Seit dem Ende des Kalten Kriegs herrscht die sogenannte Pax Americana, ein – bis vor Kurzem – relativ stabiler Zustand, in dem vor allem die USA und ihre Verbündeten den geopolitischen und geoökonomischen Ton angeben. Der allergrößte Teil des Welthandels wird in US-Dollar abgewickelt, und in internationalen Gremien und Organisationen wie dem Währungsfonds oder der Weltbank sind die USA neben den anderen G7-Staaten das dominierende Schwergewicht. 2009 beschlossen Brasilien, Russland, Indien und China das zu ändern und gründeten die Staatengruppe Bric. 2010 stieß Südafrika dazu, aus Bric wurde Brics.

Schutz gegen Sanktionen

Anfang 2024 wurden auf Initiative von Peking Saudiarabien, Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Äthiopien aufgenommen. Das Brics-Format avancierte zu Brics plus. Vor allem Chinas Staats- und Parteichef, Xi Jinping, verspricht sich davon neue Möglichkeiten, um die globale Vorherrschaft der USA zu brechen.

Die Brics-plus-Neumitglieder Saudiarabien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate sind wichtige Öl- und Gasproduzenten, Ägypten und Äthiopien bevölkerungsreiche Schlüsselplayer in Afrika. Irans Wirtschaft leidet massiv unter den US-Wirtschaftssanktionen und sucht dringend neue Handelspartner.

Alle diese Mittelmächte haben ein gemeinsames Interesse, was der renommierte Politologe Ivan Krastev folgendermaßen formuliert hat: Sie wollen am Tisch sitzen und nicht auf der Speisekarte stehen; sie möchten so wenig wie möglich über das von den USA geprägte internationale Finanzsystem handeln; sie wollen weniger abhängig vom Westen sein; sie wollen damit vor allem auch etwaige Wirtschaftssanktionen weniger bedrohlich machen.

Gerade unter diesem Gesichtspunkt hat die Aufnahme von großen Produzenten fossiler Energieträger für China als Führungsmacht der Brics-plus-Staaten einen besonderen Reiz. Peking könnte einen Krieg gegen Taiwan vorbereiten – zumindest als Option. Im Rahmen von verschiedenen Kriegsszenarien, die Chinas Führung derzeit durchspielt, dürften mögliche Sanktionen des Westens eine besondere Rolle spielen – auch mit Blick auf die harten Strafmaßnahmen gegenüber Russland nach dem Überfall auf die Ukraine. Saudiarabien, Iran und die Emirate an seiner Seite zu wissen wäre im Konfliktfall für Peking für die Versorgung mit Erdöl und Erdgas überlebenswichtig und auch politisch hilfreich.

Doch wie realistisch sind die Etablierung einer neuen Weltordnung und die Ablösung des US-Dollar als globale Leitwährung? Abgesehen von ihrer Skepsis gegenüber dem von den USA dominierten internationalen Wirtschafts- und Finanzsystem eint die Brics-plus-Mitglieder nicht sehr viel – im Gegenteil. Viele von ihnen sind sich in inniger Feindschaft verbunden, zum Beispiel Indien und China oder Saudiarabien und der Iran.

Der Dominator China

Dominiert wird die Brics-plus-Gruppe ohnehin ganz klar von der Volksrepublik China, die fast zwei Drittel der Wirtschaftsleistung und rund 40 Prozent der Bevölkerung auf sich vereint. So nachvollziehbar der Führungsanspruch der Chinesen auch sein mag, so problematisch sind diese Ungleichgewichte für ein gemeinsames Handeln auf Augenhöhe.

Die Balance zwischen den Interessen der Juniorpartner und dem Schwergewicht China dürfte damit delikat bleiben. Dass es Peking gelingt, aus einer so heterogenen Gruppe von Ländern einen handlungsfähigen, international relevanten Block zu formieren, darf eher ausgeschlossen werden.

Auch wenn es mehr gemeinsame politische Interessen gäbe, würde das wirtschaftliche Gewicht der Brics-plus-Staaten nicht ausreichen, um die von den USA bestimmte Weltordnung in naher Zukunft auf den Kopf zu stellen.

Dabei gibt es aber eine Ausnahme: Bei den Rohstoffvorkommen wären sie als Block in einer dominanten Position. Durch die Aufnahme von Saudiarabien, des Iran und der Vereinigten Arabischen Emirate kommen sie auf 43 Prozent der weltweiten Erdölproduktion und einen sehr großen Anteil der globalen Reserven.

Fast 40 Prozent der für die Produktion von Batterien für elek­trische Fahrzeuge, Stromspeicher und Mikroelektronik notwendigen Vorkommen an seltenen Erden sind in Chinas Händen. Bei ihrer Verarbeitung hat das Reich der Mitte de facto ein Monopol. In puncto Rohstoffversorgung könnte die Brics-plus-Gruppe den Westen also gehörig unter Druck setzen – man denke an das Ölembargo der Opec von 1973.

G7 nach wie vor bestimmend

Gesamtökonomisch betrachtet ist eine Neuordnung der Welt aber vorerst ein Wunschtraum der Machthaber in Peking, Moskau und Teheran. Noch immer erwirtschaften die G7-Staaten – also die wichtigsten Industriestaaten des Westens – mit knapp zehn Prozent der Weltbevölkerung rund 30 Prozent des globalen BIPs, und sie exportieren rund 27 Prozent aller Waren. Nach wie vor dominieren die Vereinigten Staaten als immer noch größte Volkswirtschaft und einzige militärische Supermacht nicht nur die G7, sondern auch die Welt.

Rund 62 Prozent der globalen Währungsreserven sind in US-Dollar angelegt, nur zwei Prozent im chinesischen Yuan. Auch die bis­herige Bilanz der Brics-Gruppe spricht gegen ein schnelles Ende der Pax Americana. Ihr bisher größter Erfolg war die Gründung der New Development Bank im Jahr 2014, einer Entwicklungsbank nach dem Vorbild der Weltbank. Bis heute vergab die Bank Kredite im Umfang von lediglich 30 Milliarden US-Dollar.

Magere Erfolgsbilanz

Aus der Sicht Chinas sind die magere Erfolgsbilanz des Brics-Formats und die unsicheren Aussichten für die erweiterte Brics-plus-Gruppe aber verkraftbar. Die alte Brics-Gruppe hat die Interessen der Machthaber in Peking nicht wirklich vorangebracht. Warum also nicht einen Neustart versuchen, der die USA und ihre Partner zumindest irritiert und womöglich einige bilaterale Beziehungen intensivieren könnte, vor allem im Nahen Osten, wo China mehr Einfluss gewinnen will?

Gleichzeitig erlaubt das Brics-plus-Format den neu beteiligten Mittelmächten, sich im beginnenden Kalten Krieg zwischen China und den USA als Akteure zu positionieren, um nicht Spielball oder Kriegsschauplatz zu werden.

Für Peking und die Neumitglieder hat sich die Erweiterung also ausgezahlt. An der Vormachtstellung des Westens wird sie so schnell aber nichts ändern.

Eine Langfassung dieses Texts erschien im Februar auf der Website des Kompetenzzentrums „Forschungsschwerpunkt Internationale Wirtschaft“ (FIW).

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Mario Holzner ist Direktor des Wiener Instituts für Interna­tionale Wirtschaftsvergleiche (Wiiw) und war 2023 Fellow der Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU (DG Grow) der Europäischen Kommission.

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