Gastkommentar

Der IS schießt sich in Erinnerung

Die für den Terroranschlag von Moskau verantwortliche Terrorgruppe ISPK operiert global. Sie bedroht auch Österreich.

Der verheerende Terroranschlag von Moskau hat in seiner brachialen Vehemenz und Brutalität der ganzen Welt vor Augen geführt, dass der IS als Terrororganisation wieder zurück ist. Besser gesagt, er war niemals weg, wie zahlreiche kleiner dimensionierte, meist spontane Einzeltäter-Attacken der vergangenen Jahre in ganz Europa offenbarten.

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In Moskau hatten wir wieder ein Mehrtäter-Szenario, das penibel geplant und koordiniert war und frappierend an den Bataclan-Anschlag in Paris von 2015 erinnert. Im Fachjargon spricht man von einem „projektierten“, im Vorfeld detailliert ausgearbeiteten Terrorakt. Ebenso wichtig ist die Inszenierung, die den „Regisseuren“ dieser Gewalttat zumindest nach Ihren Maßstäben (maximale Aufmerksamkeit und größtmöglicher Schrecken) gelungen ist.

Globale Ambitionen

Die Bilder, die kolportiert wurden, offenbaren ein grausames Abschlachten hilfloser Konzertbesucher. Dahinter steckt der IS-Ableger ISPK (Provinz Khorasan), der in Afghanistan im Schlepptau des Talibanregimes, das er bekämpft, zu einem überregionalen Faktor im islamistischen Terrorismus geworden ist.

6000 bis 8000 Kämpfer werden der autark operierenden Organisation zugerechnet; hinzu kommen weltweit Hunderttausende radikalisierte Anhänger, insbesondere in Europa.

Seine die regionalen Grenzen transzendierende Geltung verdankt der ISPK einer perfektionierten Propagandaarbeit und dem Umstand, dass das afghanische Terror-Franchise nunmehr das globale jihadistische Narrativ bestimmt. Zuletzt verübte die Gruppe mehrere aufsehenerregende Terroranschläge – erst zu Beginn dieses Jahres etwa in Kerman bei einer Trauerfeier für den 2020 bei einem US-Drohnenangriff getöteten iranischen „Terrorpaten“ General Soleimani, bei der sich ISPK-Kämpfer in die Luft sprengten. Oder kurz darauf in Istanbul, als zentralasiatische IS-Terroristen eine Kirche ins Visier nahmen.

Alte Ressentiments

Der aktuelle Anschlag auf die Moskauer Konzerthalle entspricht völlig der strategischen antirussischen Ausrichtung des ISPK. Dabei spielen alte Ressentiments gegen Russland aufgrund der sowjetischen Invasion in Afghanistan 1979 ebenso eine Rolle wie neuere Militäroperationen des Kreml gegen islamische „Verbündete“ oder Gesinnungsgenossen, sei es der Tschetschenien-Krieg oder die russische Militär­intervention aufseiten des Assad-Regimes im Kampf gegen den IS in Syrien, die immer wieder als Legitimationsgrundlage für terroristische Racheakte durch den ISPK ins Treffen geführt werden. Nicht zuletzt ist der Terrororganisation die machtpolitische Rolle Russlands in Zentralasien ein Dorn im Auge.

Aber auch bei uns in Österreich ist der ISPK hoch relevant. Die drei großen, glücklicherweise noch rechtzeitig vereitelten „Terrorszenarien“ von Wien im Jahr 2023 offenbaren einen Kontext mit der Terrorgruppe ISPK: zuerst im Vorfeld der Pride-Parade, einem LGBTQ-Festival, als eine Gruppe lokaler Jihadisten dort einen Anschlag plante; dann der nach wie vor rätselhafte Fall eines jungen Mannes, der am Wiener Hauptbahnhof mit einem Messer wahllos auf Passanten losgehen wollte; schließlich zuletzt die Tatplanungen einer transnationalen Jihadistenzelle rund um Silvester, die den Stephansdom und den Kölner Dom ins Visier genommen hatte. Dem Vernehmen nach waren jeweils Personen mit zentralasiatischem Hintergrund involviert. Der ISPK ist längst auch bei uns angekommen.

Dr. Nicolas Stockhammer leitet seit 2021 das Research-Cluster „Counter-Terrorism, Countering Violent Extremism and Intelligence“ an der Donau-Universität Krems.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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