Gastkommentar

Soll Putin straffrei davonkommen?

Die Befürworter von Verhandlungen mit Moskau hören Putin nicht zu und haben die Lektionen der Geschichte vergessen.

Bekanntlich schützen Funktion oder Titel nicht vor Naivität oder Leichtsinn. Papst Franziskus reiht sich damit in eine Vielzahl von Personen ein, die die Gefahr für Europa und die Welt nicht erkennen können oder wollen und auf Verhandlungen mit dem russischen Machthaber, Putin, setzen.

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So unterschiedlich die Gründe oder Vorwände auch sein mögen – sei es als Besonnenheit verbrämte Angst, eine herbeigeführte Abhängigkeit von russischer Energie oder eine gekaufte Politik, die mit Putins Hilfe ihre Machtfantasien ausleben möchte: Gemeinsamer Nenner ist eine absolute Verleugnung von allem, was Putin selbst über sich preisgibt, und eine absolute Geschichtsvergessenheit.

All das kann vielleicht helfen, die Motive der Verhandlungsproponenten zu verstehen. Es kann aber nicht die dahinterstehende Verantwortungslosigkeit entschuldigen, insbesondere nicht, wenn ein Mann der Wissenschaft, wie Max Haller, versucht, die bestenfalls gutgläubigen, jedenfalls fahrlässigen Aussagen von Papst Franziskus zu verteidigen („Die Presse“, 20. 3.)

Die Frage nach dem „Wie“

Wenn bei den Rechtfertigungsversuchen auf die Bibel Bezug genommen wird, ist dies zumindest originell. Mir ist jedenfalls keine Kritik am Appell des Papstes, die weiße Fahne zu hissen, bekannt, bei der eine unzeitgemäße Interpretation des Neuen Testaments als Argument angeführt wird. Angemessener wäre es wohl, auf die unrühmliche Rolle der Kirchenführung im Dritten Reich hinzuweisen.

Dem Argument, dass das Töten, die Zerstörung, Auslöschung von Menschenrechten in den besetzten Gebieten der Ukraine und in Russland selbst ein schnelles Ende finden müssen, kann nicht widersprochen werden. Aber die Frage nach dem „Wie“ ist nicht so einfach zu beantworten. Die Pattsituation und die drohende Niederlage der Ukraine sind nicht gottgegeben, sondern eine Folge der unzureichenden militärischen Unterstützung.

Max Haller bleibt aber, wie alle Verhandlungsbefürworter, die Antwort auf die Frage schuldig, wie angesichts der Ziele Putins eine Verhandlungslösung aussehen könnte, die nicht die Auslöschung der Ukraine als eigenständiger Staat, damit auch Kriege in den weiteren, von Putin beanspruchten Staaten bedeuten würde.

Verhandeln über, nicht mit Putin

Wenn man die Augen nicht vollkommen vor den Folgen verschließt, die ein Appeasement und Verhandlungen mit Hitler hatten, ist eine grundsätzliche Ablehnung von Verhandlungen mit Putin mehr als verständlich. Putin selbst lehnt ja Verhandlungen ab, sofern man nicht eine Auslöschung der Ukraine als Verhandlungsziel anerkennt.

Im Westen ist erst langsam ein Umdenken zu beobachten. Aber auch hier bestätigen Ausnahmen die Regel: Bundeskanzler Karl Nehammer hat erst vor Kurzem die Wiederaufnahme von Verhandlungen mit Putin gefordert, trotz seines peinlichen Versuchs im Jahr 2022. Unverständlich bleibt auch, wie Max Haller die Aufforderung zum Hissen der weißen Flagge nicht als einen Appell zur Kapitulation interpretiert.

Verhandlungen sind unabdingbar, jedoch nicht mit, sondern über Putin in Den Haag. Er muss den Krieg verlieren, um Friedensgespräche beginnen zu können. Putin würde sich im Laufe von Verhandlungen nicht davon abbringen lassen, seine Ziele mit militärischen Mitteln oder mit Unterstützung von autoritären Regimen zu verwirklichen. Sollte Putin ungestraft davonkommen, werden weitere Opfer folgen; Taiwan wird dann wahrscheinlich eines der ersten, aber sicher nicht das letzte werden.

Johann Čas ist Ökonom und Technikforscher und war als Senior Researcher für die Österreichische Akademie der Wissenschaften tätig.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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