Gastkommentar

Basislektionen für die Sicherheitspolitik

(c) Peter Kufner
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Wie Österreich seine immerwährende Neutralität glaubwürdig und selbstbewusst vertreten und auch umsetzen müsste.

Der ehemalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat in seinem neutralitätskritischen Beitrag in der Ausgabe 2/2024 der Zeitschrift „Pragmaticus“ einige bemerkenswerte Feststellungen getroffen: „Auch der Neutrale muss zuallererst sich selbst schützen.“ Und er führt weiter aus: „Die Antwort kann nur in einer glaubwürdigen und bleibenden Aufstockung und Verbesserung unserer eigenen Verteidigungsfähigkeit liegen.“

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Bemerkenswert sind Schüssels Aussagen deswegen, weil sie die seinerzeitige Fehleinschätzung, die zur Auflösung der Miliztruppen und damit zur folgenschweren Schwächung der Landesverteidigung geführt hat, zu korrigieren versucht. So richtig und aktuell diese Forderung ist, so wird doch damit auch offenbar, wo die Ursachen dafür zu finden sind, dass der Nachholbedarf so groß ist, und wer dafür die Verantwortung trägt.

Bundeskanzler Schüssel hat mit seinem Verteidigungsminister Günther Platter maßgeblich dazu beigetragen, einen engagierten Aufbau der militärischen Landesverteidigung, wie sie von allen im Parlament vertretenen Parteien beschlossenen worden ist, mit einem Federstrich zunichtezumachen. Durch die Abschaffung der Truppenübungen im Jahr 2006 wurde eine Milizarmee, die gemäß Landesverteidigungsplan bereits über 200.000 ausgebildete Soldaten in organisierten, übungsfähigen Verbänden umfasste, alternativlos aufgelöst.

Das Beispiel Schweiz

Im Prüfbericht 2023 stellt die parlamentarische Bundesheerkommission zur Situation der Miliz fest: „Das Üben der vollständigen Truppe ist derzeit nicht möglich, ein Fähigkeitserhalt auf freiwilliger Basis findet nicht statt.“

Gerade der Milizcharakter stellt aber beste Voraussetzungen für den Wehrwillen der gesamten Gesellschaft dar, wie uns das Beispiel Schweiz zeigt. Seit 2006 gibt es in Österreich also den Wehrdienst in der Dauer von sechs Monaten. Das bedeutet, dass ausgebildete Soldaten danach nie wieder zur Verfügung stehen. Damit ist nicht nur die Bundesverfassung gebrochen, in der es heißt, das Bundesheer „ist nach den Grundsätzen eines Milizsystems einzurichten“, sondern es stellt sich auch die Sinnfrage.

Weiters wurde in dieser Regierungsperiode die ebenfalls langsam anlaufende Verwirklichung einer umfassenden Landesverteidigung, zu der sich Österreich in seiner Verfassung bekennt und deren Koordinierung richtigerweise im Bundeskanzleramt angesiedelt war, ins Innenministerium transferiert, was sachlich nicht zu rechtfertigen ist. Das hatte zur Folge, dass sie in den Jahrzehnten darauf kaum mehr wahrgenommen wurde.

Jahre danach wurde dieses Versäumnis durch die Pandemie, mangelnde Energievorsorge, durch Auswirkungen des Russland-Ukraine-Kriegs und des Kriegs zwischen Hamas und Israel auch für Österreich schmerzlich und teuer spürbar.

Die politische Verantwortung für diese beiden sicherheitspolitischen Todsünden der damaligen Regierung Schüssel wird auch dadurch nicht aufgehoben, dass nachfolgende sozialdemokratische Bundeskanzler und Verteidigungsminister ebenso eine österreichische Landesverteidigung nachhaltig abgebaut haben und nicht entsprechend der Bestimmung der Bundesverfassung „nach den Grundsätzen eines Milizheeres“ gestaltet, sondern weiter geschwächt haben.

Aus einer bewaffneten Neutralität, wie es die Neutralitätserklärung in unserer Verfassung vorsieht, wurde eine wehrlose Neutralität. Man nennt dies verschämt „Friedensdividende“. Was vor Jahrzehnten mit einem Federstrich zerstört wurde, wird jetzt unter dem Eindruck aktueller Bedrohungen gefordert und eine Verbesserung angekündigt.

Todsünden der Vergangenheit

Ab und zu hört man wieder etwas von umfassender Landesverteidigung, und es gibt Planungen für einen Aufbau der militärischen Verteidigungsfähigkeit mit einem Planungszeitraum bis in die 2030er-Jahre.

Das bedeutet einen Unsicherheitszeitraum von etwa zehn Jahren, selbst wenn die Umsetzung im Zeitplan und die Finanzierung gesichert bleiben und – wenn der personelle Bedarf zum Beispiel mit dem Wiederaufbau von Miliztruppen, heißt Truppenübungen – im Anschluss an die Ausbildung im Grundwehrdienst gedeckt wird. Oder denkt man insgeheim an ein Berufsheer? Denn „so als ob“ wie jetzt wird es nicht gehen.

Die österreichische immerwährende Neutralität in der Öffentlichkeit bereits 2001 im Rahmen eines Sonderministerrats zum Nationalfeiertag als obsolet zu bezeichnen,

die Glaubwürdigkeit unserer Neutralität durch den radikalen Abbau der militärischen Verteidigungsfähigkeit nachhaltig zu beschädigen;

die umfassende Landesverteidigung unter die Wahrnehmungsgrenze abzuschieben;

verfassungsmäßige Bestimmungen betreffend Landesverteidigung zu negieren

und dann aber, wenn nach Jahrzehnten reale Bedrohungen auftreten (auf deren Möglichkeit seit jeher hingewiesen wurde, was aber negiert wurde) zu verkünden, „die Neutralität bietet keinen Schutz“, ist alles andere als eine sicherheitspolitische Meisterleistung. Für all die Versäumnisse lassen sich eindeutig politisch Verantwortliche in der Vergangenheit festmachen.

Orientierung für die Zukunft

Heute getroffene Entscheidungen oder Unterlassungen können sich nach Jahren existenziell auswirken. Das unterscheidet diese von kurzlebigen partei- und wahltaktisch motivierten Aktionen.

Für die Zukunft gilt es, konsequent Lehren für Österreich zu ziehen, nämlich die Neutralität glaubwürdig und selbstbewusst zu vertreten und umzusetzen.

Dazu gehören:

eine glaubwürdige Verteidigungsfähigkeit;

eine Neutralitätspolitik, die vertrauensbildend und friedensfördernd wirken will;

gerade in Zeiten großer Spannungen und Kriegsgefahr ein Ort der Stabilität, Verlässlichkeit und Vertrauensbildung zu sein.

Damit leistet unser Land einen Beitrag zu seiner eigenen Sicherheit und zur Friedenserhaltung im nationalen und internationalen Bereich. Unsere Neutralität als wertlos und aus der Zeit gefallen zu bezeichnen, zählt nicht dazu.

Betrachtet man zurzeit das Verhalten der Parteien zueinander, scheint ein gemeinsamer sicherheitspolitischer Weg in weiter Ferne zu sein. Trotzdem muss die Forderung aufrechtbleiben, in der existenziellen Frage der Vorsorge für die Sicherheit aller Österreicherinnen und Österreicher einen Konsens zu finden.

Was 1985 möglich war

Es ist eine Existenzfrage, und es hat ja schon einmal diese Gemeinsamkeit der politischen Parteien zur Sicherheitspolitik, zur Neutralität und Landesverteidigung gegeben: Der Landesverteidigungsplan, der nach langer Verhandlungsdauer 1985 veröffentlicht wurde, war der sichtbare Ausdruck dafür, wie ernst es die damals im Parlament vertretenen politischen Parteien mit dem Eintreten für unsere Werte, Demokratie und Freiheit und für ein Leben in Sicherheit und Frieden genommen haben.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Brigadier i.R. Roland Vogel war bis 1991 Leiter der Ausbildungsabteilung und des Arbeitsstabs Miliz im Armeekommando. Bis 2005 diente er als Militärattaché in der Slowakei, Tschechien, Polen und zuletzt in Litauen.

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