Sharifa steht an der Tafel, schreibt, so scheint es, mittlerweile sehr solide.
Reportage

„Ich brauche... eine Freundin“: Sharifa lernt lesen und schreiben

Zwei Drittel der Menschen, die in Österreich 2023 Asyl oder subsidiären Schutz bekamen, konnten nicht lesen und schreiben. Ein Großteil davon nur in lateinischer Schrift nicht. Ein Drittel gar nicht. Was heißt das für ein Land? Und können die Menschen das jemals nachholen?

Perfekt“, wiederholt Lehrerin Karin Wölk laut in Richtung ihrer Klasse, fast so, als würde sie eine Gruppe Kinder auf den Teamsport einschwören: „Ich brauche einen Deutschkurs. Was brauchen wir?“ Und ihre Schüler antworten in wildem Stimmengemurmel: „Wir brauchen. . .“ – „einen Kaffee“, sagt ein Schüler besonders laut. Wölk greift das Gesagte sofort auf. „Wir brauchen viel Kaffee, einer ist nicht genug. Was brauchen Sie?“, sagt sie zu einem anderen Mann. „Eine Freundin“, murmelt eine seiner Klassenkolleginnen. Und alle lachen.

Während die Klasse laut die Sätze ausspricht, steht eine junge Frau mit brauner Jacke und schwarzem Kopftuch vor der Whiteboard-Tafel und schreibt mit einem schwarzen Stift in der linken Hand in Druckschrift mit. Ein bisschen schräg setzt sie die Buchstaben an, der Satz verläuft von oben links nach unten rechts. Aber die Buchstaben sind gut leserlich. Sie schreibt verhältnismäßig zügig, und auch wenn Wörter wie „brauchen“ oder „Freundin“ nicht sofort richtig sind, sondern sie „prauche“ und „Frundin“ schreibt, käme hier wohl niemand auf die Idee, dass sie nicht nur Deutsch lernt, sondern überhaupt erst Lesen und Schreiben. So wie der Rest der Klasse von Karin Wölk.

Es sind keine Kinder mehr, die hier an jenem Nachmittag im BFI (Berufsförderungsinstitut) im zehnten Bezirk in Wien sitzen. Bashar, Sharifa, Amal, Siwan heißen sie. Sie sind 28, 32, 37, oder etwas mehr, oder etwas weniger alt. Sie tragen schwarze Jeans und dunkle Jacken, Sneaker. Die Männer mit kurzen dunklen Haaren, die Frauen mit Kopftüchern in Weiß, Blau, Braun oder Schwarz. Gemein ist ihnen der konzentrierte, aber heitere Blick im Gesicht. Alle in der Klasse wissen, dass heute jemand zusieht, sie wollen zeigen, was sie können. Sie machen mit.

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