Interview

Olivia Colman: „Privat fluche ich herum“

Olivia Colman kann sich laut echauffieren, wenn ihr etwas gegen den Strich geht. Was sie noch immer ärgert, ist die ungleiche Bezahlung zwischen Männern und Frauen.
Olivia Colman kann sich laut echauffieren, wenn ihr etwas gegen den Strich geht. Was sie noch immer ärgert, ist die ungleiche Bezahlung zwischen Männern und Frauen.Imago / Keith Mayhew
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Oscar-Gewinnerin Olivia Colman muss sich in ihrem neuen Film mit derber Sprache und obszönen Ausdrücken auseinandersetzen. Sie selbst nimmt sich auch privat kein Blatt vor den Mund und genießt es, ihren Emotionen Ausdruck zu verleihen.

In „Schmutzige kleine Briefe“ spielen obszöne Ausdrücke eine große Rolle. Haben Sie eine Neigung, die zu gebrauchen?

Olivia Colman: Natürlich, jeden Tag. Nicht, um jemanden zu beschimpfen. Ein gutes „Fuck“ passt in allen möglichen Situationen. Ich mag die Konsonanten in dem Wort. Ich hätte es sehr lustig gefunden, wenn ich als Queen in „The Crown“ hätte herumfluchen können. Wenn jemand auf Kraftausdrücke pikiert reagiert, finde ich das komisch.

So gesehen müsste dieser Film für Sie richtig maßgeschneidert gewesen sein.

Absolut. Wenn wir Szenen hatten, in denen keine Schimpfworte vorkamen, hatte ich das Bedürfnis, sie doch auszusprechen. Es macht einfach so viel Spaß, so richtig vom Leder zu ziehen. Wenn die Leute die Auffassung vertreten, dass man etwas nicht tun soll, will ich das erst recht machen.

Aber können Sie es sich überhaupt leisten, so einfach herumzufluchen? Als Star stehen Sie doch unter Beobachtung.

Ich fühle mich jetzt nicht eingeschränkt. Natürlich mache ich das nicht in aller Öffentlichkeit auf der Londoner Oxford Street, denn jeder ist ein Kritiker und jeder hat ein iPhone. Aber ich genieße es, wenn ich das privat tun kann. Da fluche und furze ich herum, wie ich lustig bin. Denn ich bin mit Leuten zusammen, die das amüsant finden.

Aber gibt es etwas, was Sie ernsthaft auf die Palme bringt?

Ja, wenn jemand, der keine Macht hat, schikaniert wird. Ich habe das schon bei einigen Drehs erlebt. Da gibt es Chefs einzelner Abteilungen, die ihre Untergebenen schikanieren. Und ich habe gelernt, dass ich das nicht hinnehmen darf, sondern seinen Mund aufmachen muss. Das Mindeste, was ich tun kann, ist, dass ich dem oder der Betroffenen sage: „Ich habe gesehen, was man mit dir gemacht hat. Das ist passiert. Du bildest dir das nicht ein. Du bist nicht allein.“

Ansonsten ist alles in Butter?

Es gibt natürlich noch ein ganz offensichtliches Beispiel von Borniertheit, das mich aufregt. Das ist ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen in unserer Branche. Diese Gehaltsschere ist atemberaubend. Eigentlich wurde sie in den 70ern für illegal erklärt, aber sie gibt es trotzdem noch – und das nicht nur in der Filmindustrie. Dieses Problem muss unbedingt angegangen werden. Da haben wir noch einen schönen Kampf auszufechten. Wir haben absolut noch keine Gleichberechtigung erreicht, und deshalb sollten wir auch über dieses Thema weiter sprechen.

Sie haben schon ein paarmal eine englische Königin gespielt. Sind Frauen vielleicht als Machthaber besser?

Man hat mich mit der Überzeugung aufgezogen, dass alle Menschen gleich sind. Daran glaube ich fest. Ich liebe Männer, und meine Freundinnen sind großartig. Effektiv gibt es gute Menschen, die an der Macht sind, und schlechte. Das Geschlecht spielt dabei keine Rolle. Ich kann nur hoffen, dass die Guten auch gewählt werden.

Aber die Ungleichheit, die es eben auch in Ihrer Branche gibt, hat Sie nicht von Ihrem Berufswunsch Schauspielerei abgebracht.

Nein, weil ich diesen Beruf mehr liebe als alles andere. Streng genommen kann ich auch nichts anderes. Ich versuchte mich als Sekretärin durchzuschlagen, aber auch wenn ich sehr motiviert war, war ich ziemlich schlecht. Als Putzfrau war ich noch eher geeignet. Ich habe es genossen, wenn eine Wohnung wieder blitzblank war.

Was machen Sie, wenn ein paar Schimpfworte nicht ausreichen? Toben Sie sich dann in bösen Internet-Kommentaren aus?

Nein, ich mag diese anonymen Beschimpfungen nicht. Ich bin auch nicht in sozialen Medien unterwegs. Wenn du nichts Nettes zu sagen hast, dann behalt es lieber für dich. Wenn mich etwas aufregt, dann schreibe ich es auf ein Stück Papier. So in der Art: „Oh mein Gott, wie sehr ich das hasse, ich bin total wütend.“ Und sobald ich das losgeworden bin, geht es mir gleich besser. Und dann stecke ich es ins Kaminfeuer. Was ich auch mag, ist ein Wut-Spaziergang. Da wandere ich durch die Landschaft und kriege mich wieder ein. Am wichtigsten sind aber gute Freunde. Denen kann ich die Wahrheit sagen, wenn mich etwas wütend macht. Ich lasse Dampf ab, dann wird gekuschelt und zu guter Letzt ist meine Welt wieder in Ordnung.

In Ihnen brodeln starke Gefühle.

Absolut. Das hat mir sogar schon Probleme im Beruf bereitet, weil ich in bestimmten Szenen zu stark reagiert habe. In „The Crown“ hatte ich einen sehr intensiven Dialog mit Helena Bonham Carter, die Prinzessin Margaret spielte. Und da konnte ich meine Emotionen nicht zurückhalten. Die einzige Lösung war: Man hat mich von hinten gefilmt, und über einen kleinen Kopfhörer wurde mir die Wettervorhersage für Schiffe eingespielt, damit ich Helena nicht richtig hörte und keine Miene verzog.

Für jemanden, der so emotional ist, ist die Schauspielerei eigentlich der ideale Job.

Wahrscheinlich. Schon als ich als junges Mädchen vor dem Fernseher saß und Talkshows mit Schauspielern anschaute, dachte ich mir: Das will ich auch machen. Damals wagte ich aber nicht, das jemandem zu erzählen. Es war auch ein völlig ungewöhnlicher Berufswunsch, denn meine Eltern hatten mit der Kulturbranche absolut nichts zu tun.

Auf Ihren ganz großen Durchbruch mussten Sie allerdings lang warten. Als Sie Ihren Oscar für „The Favourite“ bekamen, waren Sie 45 Jahre alt.

Ja, das ging alles quälend langsam.

Hatten Sie je erwartet, dass so ein Moment kommen würde?

Nein, denn dieser Beruf ist eine Glückssache. Ich war ja schon froh, wenn ich überhaupt Arbeit bekam. Und es lag auch nicht am Talent. Denn ich hatte viele Kollegen und Freunde, die aus meiner Sicht begabter waren und trotzdem keine Rollen erhielten. Warum das so ist, ist ein Geheimnis, das ich nie lüften werde. Das Glück des einen ist das Pech des anderen. Und das Einzige, was ich tun kann, ist dankbar zu sein.

Gibt es denn Dinge, die Sie in Ihrer Karriere noch ändern wollen?

Ich muss besser darin werden, Nein zu Angeboten zu sagen. Aber wenn ich ein gutes Drehbuch bekomme, dann reagiere ich instinktiv: „Ja, unbedingt.“ Da bin ich überhaupt nicht cool, vermutlich weil ich auch schlechtes Gewissen habe, etwas abzulehnen. Doch ich habe nicht für alles Zeit.

Steckbrief

Biografie. Olivia Colman wurde im Jänner 1974 in England geboren. Die Britin ist mehrfache Golden-Globe-Gewinnerin. Für ihre Rolle als Queen Anne im Film „The Favourite“ erhielt sie 2019 den Oscar als beste weibliche Hauptdarstellerin.

Serien. Viele kennen Colman vermutlich auch wegen ihrer Rolle als Queen Elizabeth in der
Serie „The Crown“.

Filmstart. In ihrem aktuellen Film „Kleine schmutzige Briefe“ geht es um obszöne Briefe gespickt mit Anschuldigungen und der Suche nach der Urheberin. Der Film ist seit Ende März in den heimischen Kinos zu sehen.

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