Replik auf Josef Pröll

Lebensraum Wald: Weiter wie bisher ist keine Lösung

VGT
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Laut Josef Pröll braucht der Wald Harvester, Hirn und Hege. Doch die jetzige Jagd- und Forstwirtschaft führen uns an den Abgrund.

Laut Landesjägermeister und Ex-Landwirtschaftsminister Josef Pröll braucht ein klimafitter Lebensraum Harvester, Hirn und Hege. Diese Behauptung ist bemerkenswert, weil gerade Harvester und Hege ganz wesentlich dazu beitragen, dass wir keinen klimafitten Wald mehr haben.

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Der Harvester ist ein über 20 Tonnen schweres Fahrzeug, das beim Befahren des Waldbodens diesen auf Jahrhunderte hinaus schwer schädigt, indem er den Boden verdichtet, die Hohlräume zerdrückt und das Bodenleben vernichtet. Ein Gramm Waldboden enthält Billionen Bakterien, Zehntausende Einzeller, Hunderte Fadenwürmer und Millionen von Pilzen mit fünf bis 25 km Pilzfäden.

Es ist genau dieses Bodenleben, das den fruchtbaren Humus aufbaut und durch seine Mykorrhizapilze das Netzwerk eines artenreichen Waldes erhält. Eine Studie der EH Zürich, der Uni Tartu und der TU München von 2013 gezeigt, dass Jahrzehnte bis Jahrhunderte vergehen, bis sich die Waldböden vollständig von der starken Beeinträchtigung durch den Harvester erholt haben.

Zusätzlich produziert die mit diesem Gerät auf Kahlschlag ausgerichtete Forstwirtschaft Altersklassenwälder mit Fichtenmonokultur und reduziert dadurch den Wald auf eine Agrarfläche mit ökologischer Wirkung wie ein Kukuruzfeld. Ein derartiger Wald ist das Gegenteil von klimafit, er kann sämtliche seiner wesentlichen Funktionen nicht mehr erfüllen.

Der falsche Weg

So schützt er mangels tiefer Humusschicht nicht mehr vor Hochwasser und kann durch Wasserverdunstung in seinen Kronen auch nicht mehr der Dürre entgegenwirken. Der Wald kann auch nicht mehr seine Kühlwirkung entfalten und Schadstoffe aus der Luft filtern. Vor allem aber ist er Stürmen und dem Borkenkäfer hilflos ausgeliefert und speichert kaum mehr Kohlenstoff. Der Wald, unser wichtigster Verbündeter im Kampf gegen den Klimawandel, wird dadurch entwaffnet. Statt Harvester und Kahlschlag brauchen wir Biodiversität, artenreiche Wälder mit gemischten Altersstrukturen und eine Forstwirtschaft mit Einzelbaumentnahme ohne schwere Maschinen.

Auch die Hege überhöhter Schalenwildpopulationen mit Wintergatter und ganzjährigen Fütterungen ist der falsche Weg. Wir haben in Österreich mit 18 Tieren auf 100 ha die höchste Dichte an Rehen und Hirschen Europas. In Deutschland sind es zehn, in der Schweiz sieben, in Frankreich und Italien lediglich vier. Die Folge ist ein dramatischer Wildverbiss , der in vielen Bereichen jede Naturverjüngung außer der Fichte verhindert.

Es fehlt der Respekt

Aber auch für die Wildtiere sind diese Mastanlagen aus egoistischem Jagdinteresse und Trophäenkult alles andere als gut: Die Rehe und Hirsche verändern ihre natürliche Verdauung im Winter, sind krankheitsanfälliger, haben einen erhöhten Parasitenbefall, einen höheren Jagddruck und generell viel mehr Stress. Kurz gesagt: Hirn schließt Harvester und Hege aus.

Prölls Aussagen spiegeln genau jene Mentalität des totalen Nutzungsanspruchs an die Natur wider, die uns Artensterben und Klimawandel gebracht hat. Er nennt die Tier- und Naturschutzorganisationen dogmatisch und nicht lösungsorientiert, hat aber selbst keine andere Lösung zu bieten als weiter wie bisher. Pröll und mit ihm die konventionelle Jägerschaft sehen die Natur ausschließlich als Ressource für menschliche Zwecke, und sei es für frivole, wie den Abschuss seltener Tierarten.

Demgegenüber steht der Respekt vor der Natur, die Einsicht, dass die Natur nicht nur für den Menschen da ist, dass auch Wildtiere ein Recht auf Leben und einen vom Menschen ungestörten Lebensraum haben, dass Urwald und Biodiversität inklusive großer Beutegreifer die Schlüssel für ein Überleben des Planeten sind.

Die von Pröll viel geschmähten NGOs WWF und VGT sind Waldbesitzer. Der WWF pflegt seine 1100 Hektar Wald in den March­auen vorbildlich, und der VGT erhält seine momentan 28 Hektar Wald. Ein urwaldähnlicher Mischwald ist Lebensraum für 14.000 Tier- und 6000 Pflanzenarten, von denen gut ein Drittel als totholz-bewohnend eingestuft ist. Rund zehn Prozent dieser Arten sind „Urwaldreliktarten“. Diese Biodiversität geht in Fichtenmonokulturen verloren.

Biodiversität fördern

Ein Hektar asphaltierte Fläche bietet 330 Autos Parkplätze. Aber ein Hektar gesunder Mischwald im Altbestand produziert pro Jahr 30 Tonnen Sauerstoff, kann drei Millionen Liter Wasser speichern, bietet Lebensraum für 1200 Bäume, speichert 500 Tonnen CO2, kühlt seine Umgebung um 6° C, verdunstet an heißen Tagen 60.000 Liter Wasser und filtert jährlich 50 Tonnen Schadstoffe aus der Luft. Mit Harvester und Hege wird diese Leistung auf einen winzigen Bruchteil reduziert.

Als ersten Schritt in die richtige Richtung wurde das Volksbegehren für ein Bundesjagdgesetz initiiert, das derzeit Unterstützungserklärungen sammelt. Die 14 Punkte dieses Volksbegehrens würden die Jagd von einer egoistischen Tätigkeit – zum Schaden der Natur – zu einer Tätigkeit im öffentlichen Interesse, um Biodiversität zu fördern, verändern.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Martin Balluch (*1964 in Wien) ist Tierethiker und Tierrechtsaktivist mit naturwissenschaftlichem Hintergrund, der sich als Obmann des Vereins gegen Tierfabriken (VGT) für den Tierschutz und die Tierrechte einsetzt.

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