Sanfte Mobilität

Fußgänger und Radfahrer auf der Überholspur

Die Mobilität von St. Pölten soll in neue Bahnen gelenkt werden.
Die Mobilität von St. Pölten soll in neue Bahnen gelenkt werden.Die Presse (Clemens Fabry)
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Die niederösterreichische Landeshauptstadt stellt die Weichen zu einer klimaverträglicheren Verkehrspolitik. Der Anteil des motorisierten Individualverkehrs soll drastisch gesenkt werden. 

Das Verkehrskonzept von St. Pölten aus dem Jahr 2014 ist bereits ein wenig ergraut, dessen Fortschreibung in eine klimaverträgliche Zukunft wird demnächst im Gemeinderat seine erste Hürde nehmen. Am Dienstag ist dieses Konzept dem Gemeinderat erörtert worden, Ende April wird es zur Beschlussfassung vorgelegt. Bürgermeister Matthias Stadler (SPÖ) und Manuel Hammel, Leiter der Verkehrsplanung von St. Pölten, sowie Michael Szeiler und dessen Planungsbüro haben sie in den vergangenen Monaten entworfen und nun präsentiert: die „Leitkonzeption Aktive Mobilität“.

In mehreren Etappen soll bis 2034 mit 386 Einzelmaßnahmen erreicht werden, dass der Anteil der Wege, die mit Autos und Motorrädern zurückgelegt werden, von derzeit 55 auf 42 Prozent sinkt. Im Gegenzug sollen die Bedingungen und das Angebot für Fußgänger und Radfahrer verbessert werden, sodass deren Anteil im sogenannten Modal Split entsprechend steigt. Das Angebot öffentlicher Verkehrsmittel ist direkt in diesem Konzept nicht behandelt, sondern wird Thema der Ausschreibung, die alle zehn Jahre fällig ist; das nächste Mal steht dies 2027 an.

Radfahrer vermissen die Sicherheit auf der Straße

Das Konzept wurde nicht im Rathaus allein entwickelt, sondern ist auch Ergebnis von intensiven Dialogveranstaltungen mit der Bevölkerung – von den mehr als 57.600 Bewohnern der Stadt haben immerhin 2000 an den Veranstaltungen teilgenommen und mehr als 25.000 Fragen beantwortet bzw. verkehrstechnische Problemzonen und Stolpersteine benannt.

Dabei wurde unter anderem ausgelotet, wo es Handlungsbedarf gibt. Demnach wünscht sich knapp die Hälfte kürzere Wartezeiten bei Ampeln und breitere Gehwege. Mit der Begrünung an Straßen und Wegen sowie mit der Verfügbarkeit von Sitzgelegenheiten im öffentlichen Raum sind lediglich ein Fünftel bzw. ein Viertel der Befragten zufrieden.

Radfahrer vermissen die Sicherheit, wenn sie unterwegs sind – weniger als ein Viertel meinen, dass die Sicherheit „gut passt“. Das derzeitige Netz an Radwegen und -routen ist lediglich für 23 Prozent zufriedenstellend. 34 Prozent meinen, dass es sich „dringend verbessern“ müsse.

Baum oder Parkplatz?

Das Konzept definiert den Rahmen, die konkreten Umsetzungsschritte müssen in den einzelnen Projekten entwickelt werden. Bürgermeister Stadler meint dazu: „Es geht auch um ein Umdenken. Denn wenn wir in einer Befragung wissen wollen, ob die Menschen Bäume am Straßenrand wollen, sind alle dafür. Wenn die Fragestellung aber lautet, ob die Bäume auf Kosten von Parkplätzen gehen, möglicherweise des Parkplatzes der Befragten, dann sind 73 Prozent dagegen.“ Und: „Diese Frage stellt sich in allen Städten, nicht nur in St. Pölten.“

Das mehr als 150 Seiten umfassende Konzept zielt darauf ab, eine Blaupause für die konkrete Weiterentwicklung des Verkehrsnetzes in St. Pölten zu sein. Klar scheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt, dass die Bedeutung des Pkw-Verkehrs zurückgedrängt wird, wobei Stadler meint, dass „wir niemanden aus der Stadt vertreiben wollen“. Fix ist jedenfalls, dass die Tempo-30-Zonen ausgeweitet werden.

Die Arbeit überwindet auch die engen Grenzen der eigentlichen Verkehrspolitik: Der erste inhaltliche Beitrag stammt aus der Feder des Umweltmediziners Hans-Peter Hutter: Er geht vor allem auf die Chancen ein, die mit der sanften Mobilität verbunden sind: „Wenn Sie Ihrer Gesundheit etwas Gutes tun wollen, dann legen Sie möglichst viele ihrer Alltagswege zu Fuß und mit dem Fahrrad zurück, Sie beugen damit einer Vielzahl körperlicher Beschwerden vor, wie zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen, hohem Blutdruck, Depressionen und Gefäßerkrankungen. Für Kinder ist das Zufußgehen und Radfahren einerseits für die motorischen Fähigkeiten wichtig und fördert andererseits Gehirnfunktionen wie Problemlösungskompetenz und Impulskontrolle.“

St. Pölten ist im Modal Split unter den Landeshauptstädten derzeit – gemeinsam mit Eisenstadt und Klagenfurt – am stärksten autolastig. Allerdings gibt der Bürgermeister zu bedenken, dass St. Pölten in den vergangenen Jahrzehnten verstärktes Ziel von Zuwanderern ist, ebenso habe sich das Angebot von Arbeitsplätzen verdoppelt. Die Zahl der Einpendler – insgesamt mehr als 40.000 Personen und ein gutes Zehntel davon aus Wien – hat sich wochentags deutlich erhöht; die der Auspendler (viele nach Wien) summiert sich auf 10.000. Und außerdem müsse mit Städten gleicher Größe verglichen werden.

EU-Vorgabe, Förderungen und Lob

Nicht zuletzt der Hinweis auf die Gesundheitskomponente macht deutlich, welche Schwerpunkte mit dem vorliegenden Rahmenkonzept gesetzt werden sollen.

Ganz freiwillig kommt dieses Konzept für die sanfte Mobilität übrigens nicht. Denn St. Pölten ist ein Knotenpunkt im Programm der „Transeuropäischen Netze“ (TEN) der Europäischen Union. Und für diese gibt es die Vorgabe, bis Ende 2025 ein nachhaltiges Verkehrskonzept vorzulegen – einen „sustainable urban mobility plan“, kurz: SUMP. Und schließlich ermöglicht das Konzept, für die Umsetzung von daraus destillierten konkreten Projekten Förderungen im Klimaschutzministerium zu beantragen.

Maria Zögernitz, Sprecherin der Initiative „Radlobby“, ist vorerst guter Dinge. Die Radfahrer-Vertretung sei eingebunden und gehört worden. „In der Konzeption sind viele Dinge enthalten, die sinnvoll und wichtig sind, die zu einem ganzheitlichen Verkehrskonzept beitragen können.“ Entscheidend werde freilich die konkrete Umsetzung sein. „Bereits im Verkehrskonzept von 2014 sind sehr gute Maßnahmen gestanden – sie schafften es aber nicht zur praktischen Umsetzung“, so Zögernitz.

Auch Dietmar Schmidradler, Mitglied des Koordinationsteams des NGO Verkehrswende (und einer deren Sprecher), ist vorsichtig optimistisch. „Ziel muss sein, dass St. Pölten eine Stadt der kurzen Wege wird.“ Nur auf diese Weise sei es möglich, dass in der Region St. Pölten die Klimaneutralität 2040 erreicht werde.

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