Neuer Sozialbericht

1,3 Millionen „gefährdet“: Wie arm Österreich wirklich ist

IMAGO/photothek
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Laut neuem „Sozialbericht“ gilt knapp jeder Sechste als „armutsgefährdet“. Andere Kennzahlen zeichnen indes ein weniger tristes Bild – weshalb der Sozialminister zufrieden ist.

Es ist eine eine auf hunderten Seiten angelegte Vermessung der sozialen Lage des Landes, die Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) am Dienstagabend vorlegte – und eine der Kernaussagen aus dem „Sozialbericht 2024“ hat es in sich: „In Summe werden 1.555.000 Personen in Österreich – das sind 17,5 Prozent der Bevölkerung in Privathaushalten – als armuts- oder ausgrenzungsgefährdet ausgewiesen“, steht da etwa. Als „armutsgefährdet“ gelten demnach „14,8 Prozent der Bevölkerung“.

Die Sache ist nur: Armutsgefährdung ist relativ. Die Definition baut nämlich auf dem Medianeinkommen des jeweiligen Landes auf, mit konkreten Lebensumständen hat sie nichts zu tun. Will heißen: Wer weniger als 60 Prozent dessen zur Verfügung hat, was alle anderen haben, ist der offiziellen Diktion folgend von Armut bedroht – und zwar unabhängig davon, wie arm oder reich das ganze Land ist. In Österreich war die Grenze zur Armutsgefährdung im untersuchten Jahr 2022 erreicht, wenn man netto im Monat weniger als 1392 Euro zur Verfügung hatte. Für Haushalte mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern lag die Schwelle bei rund 3000 Euro netto im Monat.

„Keine Hungersnot“

An dieser Definition gibt es Kritik, etwa vom Chef des Fiskalrates. Durch die relative Darstellung entstünde der Eindruck einer „riesigen Zahl“, wodurch „ein Stück weit der Eindruck erweckt wird, in Österreich herrsche eine allgemeine Hungersnot“, sagte Christoph Badelt auf Ö1. „Das ist aber nicht richtig.“ Man rede über allgemeine Größen und übersehe dann bei konkreten Maßnahmen „jene, die wirklich von Armut betroffen sind“.

Das dürften laut Sozialbericht wesentlich weniger Menschen sein. Der Sozialbericht sieht zusätzlich eine Kategorie für „erhebliche materielle und soziale Benachteiligung“ vor. Das bedeutet konkret, dass man sich eine Liste von Dingen, die gemeinhin als selbstverständlich gelten, schlichtweg nicht leisten kann. Dazu gehört etwa die Fähigkeit, unerwartet aufgetretene Kosten in der Höhe von 1300 Euro zahlen zu können, einmal im Jahr auf Urlaub zu fahren, die Wohnung angemessen zu heizen, ins Kino zu gehen – oder schlichtweg ein Auto. Wer sich mindestens sieben dieser insgesamt 13 Dinge nicht leisten kann, ist „erheblich“ benachteiligt. Und das betrifft rund 200.000 Menschen im Land, was wiederum etwas mehr als zwei Prozent entspricht.

In der Gruppe der Armutsgefährdeten ist es immerhin zwei Dritteln möglich, mindestens eine Woche pro Jahr auf Urlaub zu fahren. Dafür geben zehn Prozent an, Miete und Betriebskosten nicht pünktlich zahlen zu können. All das betrifft eine große Zahl an Kindern: Ein Viertel aller Armuts- und Ausgrenzungsgefährdeten sind laut dem Bericht unter 18 Jahre alt. Und: „36.000 Kinder und Jugendliche sind erheblichen materiellen und sozialen Benachteiligung ausgesetzt“, heißt es im Bericht. Fünf Prozent der Kinder aus per Definition armutsgefährdeten Haushalten können der Studie zufolge nicht an kostenpflichtigen Schulaktivitäten teilnehmen, acht Prozent dürfen aus finanziellen Gründen keine Freunde zum Spielen und Essen einladen.

Rauch plädierte zwar einmal mehr für eine Kindergrundsicherung und eine Reform der Sozialhilfe, mit den Zahlen sei er aber grosso modo zufrieden. Die Lage für Armutsgefährdete sei schließlich trotz Corona- und Teuerungskrise „weitegehend stabil geblieben“. Die Milliardenhilfen hätten gewirkt, von Armut betroffen seien sogar weniger Menschen als vor der Krisen.

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