Peter Higgs 1929 - 2024

Der Physiker als Prophet: Im Anfang war das Feld

Peter Higgs sagte 1964 die Existenz eines Teilchen voraus, das anderen Teilchen ihre Masse verleiht. 2012 wurde das Higgs-Boson nachgewiesen, 2013 erhielt Higgs den Nobelpreis. Nun ist er 94-jährig gestorben: ein bescheidener Theoretiker mit einer unbescheidenen Theorie.

Wonach heißen die Elementarteilchen, aus denen die Physiker die Welt zusammenbauen? Das Elektron nach der Elektrizität (abgeleitet vom griechischen Wort für Bernstein), das Neutrino nach seiner Neutralität, die Quarks nach einer Stelle aus James Joyces „Finnegan’s Wake“ (wahrscheinlich nach dem deutschen Wort Quark), die Gluonen, die die starke Kernkraft verkörpern, nach Klebstoff. Die Vektorbosonen, Träger der schwachen Kernkraft, heißen dagegen nach einem Physiker: nach Satyendranath Bose, der das Verhalten dieser Art von Teilchen beschrieben hat: Sie weichen einander nicht aus, wie es etwa die Elektronen tun.

Auch das Higgs-Boson ist ein solches Teilchen. Es trägt noch einen zweiten Physikernamen: den des nun gestorbenen Schotten Peter Higgs, der seine Existenz 1964 vorausgesagt hat, 48 Jahre bevor es endlich nachgewiesen wurde. Die Patenschaft sei ihm zu viel der Ehre, sagte dieser bescheidene Mann gern, die Theorie des – ebenfalls nach ihm benannten – Higgs-Felds sei eine Gruppenleistung gewesen. Mag sein. Aber Higgs war der erste, der klar sagte, dass zu diesem Feld ein Teilchen gehört, wie zu allen Feldern der Quantenfeldtheorie, zum Beispiel das Photon zum elektromagnetischen Feld.

Dennoch, im Fall von Higgs kann man ruhig sagen: Im Anfang war das Feld. Wozu postulierte er dessen Existenz? Zunächst um zu erklären, wieso die Vektorbosonen – im Gegensatz zum Photon – eine Masse haben. Diese entstehe durch Wechselwirkung mit einem Feld, das überall im Universum ist: eben dem Higgs-Feld. Inspiriert war diese Theorie von den Festkörperphysikern, die gern mit durch Wirkung eines Feldes erklärbaren „effektiven Massen“ rechnen. Tatsächlich gelang es so, die Massen nicht nur der Eichbosonen, sondern auch der Quarks und Elektronen abzuleiten. Das heißt nicht, dass alle Massen auf der Welt durch Wechselwirkung mit dem Higgs-Feld entstehen! Ein großer Teil entsteht im Sinn von Einsteins Formel E=mc2 aus der riesigen Energie, mit der die starke Kernkraft die Quarks in den Atomkernen zusammenhält.

Erzeugt im Teilchenbeschleuniger

Ein Haken der Higgs-Theorie: Man kann die Masse des Higgs-Bosons selbst nicht durch Wechselwirkung mit seinem eigenen Feld erklären, man muss sie sozusagen als Input in die Theorie einführen. Es ist eine für Elementarteilchen große Masse. Und lange bangten Theoretiker, ob das Higgs-Boson, wenn es denn endlich im gigantischen Teilchenbeschleuniger LHC nachgewiesen sein würde, ihre Vorhersagen erfüllen würde. Diese Sorgen meinte der scharfzüngige Leon Lederman (ebenfalls Nobelpreisträger), als er vom Higgs-Boson als „Goddamn Particle“ sprach. Angeblich überredete sein Verlag ihn, sein einschlägiges, 2006 erschienenes Buch lieber „The God Particle“ zu nennen. Higgs, wie Lederman ein Atheist, aber ernsthafter, konnte diese Bezeichnung gar nicht leiden.

Sechs Jahre später war es endlich so weit: Das Higgs-Boson 2012 wurde auf aufwendigste und ziemlich indirekte Weise im LHC nachgewiesen, mit einer absurd kleinen „Lebensdauer“: Es zerfällt im Durchschnitt nach 10-22 Sekunden. Im Jahr nach dieser Bestätigung seiner Vorhersage erhielt Peter Higgs den Nobelpreis. Er reagierte bescheiden, erfüllte bestens das schöne Klischee vom exzentrischen Physiker. Er habe weder Handy noch TV-Gerät, sagte er – und antwortete auf die Frage, ob ihm ohne Fernsehen nicht etwas von der Welt entgehe, trocken: Er betrachte Fernsehen nicht als Teil der Außenwelt, sondern als Artefakt. Nun ist Peter Higgs tot, das nach ihm benannte Feld bleibt, zumindest in der Welt der Physik.

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