Junge Forschung

„Die Flucht ist wie ein Stempel“

Machte für ihr Doktorat zwei Jahre lang Feldforschung: Katharina Auer-Voigtländer.
Machte für ihr Doktorat zwei Jahre lang Feldforschung: Katharina Auer-Voigtländer.Lukas Aigelsreither
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Sozialwissenschaftlerin Katharina Auer-Voigtländer befasste sich in ihrer Dissertation damit, wie es Geflüchteten geht, wenn sie ankommen. Eine überraschend rare Perspektive.

Manche Schilderungen berühren besonders. Bei Katharina Auer-Voigtländer war es die Geschichte eines 19-jährigen Mannes aus Afghanistan, die ihr besonders zu Herzen ging. „Er hatte schon seinen zweiten negativen Asylbescheid erhalten und setzte sich in sehr abgeklärter Weise damit auseinander, wie lang er überleben würde, wenn er in seine Heimat zurück muss. Er gehörte einer verfolgten Minderheit an und rechnete mit dem Tod“, schildert die an der FH St. Pölten tätige Forscherin. „Für ihn war es einfacher, sich mit der Realität auseinanderzusetzen, als von ihr überrumpelt zu werden.“

Die Gespräche mit dem jungen Afghanen waren Teil von Auer-Voigtländers kürzlich abgeschlossener Dissertation. Für diese befasste sie sich damit, wie es Geflüchteten geht, die nach Österreich kommen. Eine bisher kaum beachtete Perspektive in der Sozialforschung. Meist werde aus einer hegemonialen Perspektive heraus nach dem Gelingen von Integration gefragt, erzählt sie.

Vier Wege, sich zurechtzufinden

Zwei Jahre lang ging sie ins Feld und führte zahlreiche Interviews. Die Erfahrungen, Lebenswelten und Kompetenzen der Menschen hätten sie schon während der Fluchtwelle 2014 und 2015 interessiert, als sie in Traiskirchen ehrenamtlich Deutschkurse gab, berichtet Auer-Voigtländer. Bald sei klar gewesen, dass sie sich dem Thema Flucht auch wissenschaftlich widmen wolle. Bitterer Befund ihrer Forschung: Die meisten Geflüchteten beschäftigt die großteils ablehnende gesellschaftliche Haltung mehr als Fragen des Alltags, etwa, wie viel Geld sie haben, ob sie sich etwas zu essen leisten oder wo sie wohnen können. „Die biografische Erfahrung der Flucht wird zu einem Stempel, den man nicht los wird“, fasst sie zusammen. Das Stigma beeinflusse etwa auch die Suche nach einem Job, man müsse oft in Kauf nehmen, eine nicht der eigenen Qualifikation entsprechende Arbeit zu bekommen.

In ihrer Dissertation entwickelte Auer-Voigtländer vier Handlungstypen, wie Geflüchtete nach ihrer Ankunft agieren: erstens den sich dem Kontext Beugenden, der mit hoher Erwartungshaltung kommt und u. a. durch strukturelle Begebenheiten ernüchtert wird; zweitens den optimistisch Erarbeitenden, der die Zuschreibung des Außenseiters bestmöglich in die eigene Lebensgestaltung integriert; drittens den enttäuscht Suchenden, der nach Selbstständigkeit strebt, aber von der gesellschaftlichen Realität desillusioniert ist; und viertens den autonom Entwickelnden, der sich nicht an den angebotenen Strukturen des Ankommensprozesses orientiert, sondern alternative Wege nutzt.

Als theoretisches Fundament diente ­Auer-Voigtländer das Werk „Etablierte und Außenseiter“ von Norbert Elias und John L. Scotson: Darin seien in kleinen Gesellschaftseinheiten Probleme, die auch in vielen umfangreicheren und differenzierteren Einheiten vorkommen, bis ins Einzelne gleichsam mikroskopisch studiert worden. Zudem prägte Ilse Arlt, die in Wien den Weg für eine eigene Fürsorgewissenschaft ebnete, Auer-Voigtländers Forschung: „Ihre Grundidee, ,Was brauchen Menschen, um ein gutes Leben führen zu können?‘, begleitet uns in unserer Arbeit.“

»Es geht nicht darum, die Menschen besonders willkommen zu heißen. Sie wollen ganz normal behandelt werden.«

Katharina Auer-Voigtländer,

FH St. Pölten

Das Ilse-Arlt-Institut ist Teil des Departments für Soziales der FH St. Pölten, das Auer-Voigtländer seit Jahresbeginn leitet. Ihr Doktorat hat sie an der Hochschule Emden/Leer und der Uni Vechta (beide in Niedersachsen, Deutschland) summa cum laude, also mit Auszeichnung, absolviert. „In Österreich kann man in Sozialer Arbeit noch nicht promovieren.“ Ein Umstand, den sie in ihrer Position als Leiterin der Arbeitsgemeinschaft Forschung der Österreichischen Gesellschaft für Soziale Arbeit gern ändern möchte. Für ihr Hobby, den Triathlon, nimmt sich die zweifache Mutter, die nebenbei auch noch selbstständig ist, dennoch Zeit: „Ich liebe das Schwimmen.“ In der Forschung will sie sich weiter dem Thema Flucht widmen. Das ist ihr auch persönlich wichtig. Dabei ginge es eben nicht darum, die Menschen besonders willkommen zu heißen, sagt sie: „Sie wollen einfach ganz normal behandelt werden.“

Zur Person

Katharina Auer-Voigtländer (38) studierte Soziale Arbeit. Die Dissertation zu Erfahrungen Geflüchteter beim Ankommen in Europa schloss sie kürzlich in Deutschland summa cum laude ab, weil man in Österreich nicht in Sozialer Arbeit promovieren kann. Seit Jahresbeginn leitet sie das Department Soziales der FH St. Pölten.

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