Nutzung

Souterrain: Das verborgene Potenzial unter der Erde

Nicht nur zum Wohnen: Der unterirdische Raum lässt sich ideal als Atelier nutzen.
Nicht nur zum Wohnen: Der unterirdische Raum lässt sich ideal als Atelier nutzen.nuno filipe oliveir
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Anders als in London oder New York gibt es in Wien nicht unbedingt eine Souterrain-Kultur. In Zeiten von Wohnungsmangel könnten die unterirdischen Räume jedoch eine steile Karriere hinlegen.

Nicht Keller, nicht Erdgeschoß – gleichsam schwebend liegt das Souterrain zwischen diesen beiden Ebenen. „Es handelt sich um ein Geschoß, dessen Boden unter dem Straßenniveau liegt, während die Öffnungen für Licht und Luft oberhalb desselben zu finden sind“, erklärt Angelika Psenner, Professorin für Stadtstrukturforschung an der TU Wien. Letzteres mache den Unterschied zum Keller aus.

Nutzung: Seit Gründerzeit reglementiert

Aus dem Wiener Stadtbild und der Architekturgeschichte ist das Souterrain jedenfalls nicht wegzudenken. „Es existiert seit dem Barock“, weiß die Wissenschaftlerin. Dort brachte man in den damals errichteten Palais die Küchen sowie Schlafräume des Personals unter. Den großen Aufschwung erlebte das Geschoß dann in der Gründerzeit. Psenner: „Die Gebäude wurden entweder mit einem über eine oder mehrere Stufen zugänglichen Parterre oder eben Souterrain errichtet – abhängig vom Gelände oder der geplanten Nutzung.“ Untergebracht waren damals vor allem Werkstätten, die Nutzung als Wohnraum war schon damals reglementiert. An dieser Reglementierung hat sich bis heute nichts geändert: „Ein reines Souterrain ist meist nicht als Wohnebene geeignet, da die Bauordnung einen bestimmten Einfallswinkel für das Sonnenlicht vorschreibt.“ Um diesen zu erreichen, müsse beispielsweise – sofern möglich – der Hof abgegraben und das Souterrain dadurch gleichsam herausgehoben werden, erklärt Psenner.

Was Sie über das Thema Souterrain wissen sollten:

Fakt 1: Geschichte
„Souterrain“ klingt edel, bedeutet aber schlichtweg „unterirdisch“. In der Barockzeit wohnten und arbeiteten dort in der Sozialpyramide unten stehende Menschen, sprich: das Personal. Die Oberschicht residierte in der Beletage. Ihren Boom erlebten die Untergrund­flächen in der Gründerzeit, in der man sie als Werkstätte nutzte.

Fakt 2: Absenkung
Um das Souterrain als Wohnraum zu nutzen, müsste der Hof abgegraben und das Souterrain herausgehoben werden, um den von der Bauordnung vor­geschriebenen Einfallswinkel für das Sonnenlicht zu gewährleisten. Wichtig: Bei der Sanierung auf Helligkeit, fachgerechte Trockenlegung und umfassenden Fußbodenaufbau achten.

Fakt 3: Potenzial
Leer stehende Souterrains könnten bei steigender Wohnungsknappheit effektiv genutzt werden – wenn die Bauordnung angepasst wird. Diese Räume müssen jedoch nicht zwingend als Wohnraum dienen. Um die Verödung der Sockel­zonen zu bekämpfen, sollte auch die Nutzung des Straßenraums überdacht werden.

Notwendig: Umfangreiche Trockenlegung

Clemens Rauhs, Geschäftsführer des Wiener Projektentwicklers Liv GmbH, der auch Souterrain-Flächen saniert und einer hochwertigen Nutzung zuführt, nennt einen weiteren Vorteil dieser Absenkung: „Hof oder Garten sind dann ebenerdig oder maximal über ein paar Stufen erreichbar.“ Bei einer Sanierung sei es jedoch nicht nur wichtig, für ausreichend Helligkeit zu sorgen, „in der Regel müssen auch umfangreiche und fachgerechte Trockenlegungsarbeiten durchgeführt werden“. Zudem erfordere der Fußbodenaufbau mehr Aufmerksamkeit als in oberen Geschoßen, um den Boden vor Feuchtigkeit und Kälte zu schützen. Angesichts dieser Umstände empfiehlt der Bauträger, die Sanierung nicht halbherzig durchzuführen.

Kein Arbeiten im Schatten: Nach einer Absenkung beherbergt das Projekt Liv Lange‘50  eine Anwaltskanzlei - mit viel Licht.
Kein Arbeiten im Schatten: Nach einer Absenkung beherbergt das Projekt Liv Lange‘50 eine Anwaltskanzlei - mit viel Licht.LIV Immobilien

Leerstand: Historisch gewachsen

Dass Souterrainflächen hierzulande häufig leer stehen oder als Lager genutzt werden, hat Psenner zufolge verschiedene Gründe: „Wien war nach dem Ersten Weltkrieg und bis in die späten 1980er-Jahre eine schrumpfende Stadt.“ Anders als in den boomenden Metropolen New York oder London stand der Bevölkerung somit ausreichend Wohnraum zur Verfügung. Die Hauptstadt habe sich deshalb an die Leerstände gewöhnt. Darüber hinaus sei hier der Straßenraum deutlich gedrängter, was dazu führt, dass die Straßen enger und die Gehsteige schmaler seien als andernorts. Vergleicht man Wien etwa mit Berlin, so Psenner, falle auf, dass bei Letzterem der Straßenraum fast dreimal so breit sei. Auch die Parzellen seien in Wien kleiner und fast zur Gänze bebaut. „Angesichts der Donau auf der einen und des Wienerwaldes auf der anderen Seite konnte sich Wien trotz des enormen Wachstums ab 1848 nur begrenzt ausdehnen.“

Zukunft: Verwendung des Straßenraums überdenken

Sowohl für Psenner als auch für Rauhs stellen die leer stehenden Souterrains allerdings eine Ressourcenverschwendung dar, sei es im Hinblick auf die Nachhaltigkeit, sei es angesichts des Drucks auf dem Wiener Immobilienmarkt. Solang die Bauordnung nicht geändert werde, sei das Thema Belichtung jedoch oft nur schwer lösbar. „Man könnte sich aber eine andere Nutzung als Wohnen überlegen“, sagt Psenner.

»Schafft man mehr Platz für Fußgänger, Radfahrerinnen und die private Nutzung des öffentlichen Bereichs vor den Häusern, wird das die Attraktivität von Souterrains und Erdgeschoßzonen deutlich steigern.«

Angelika Psenner

Professorin für Stadtstrukturforschung an der TU Wien

Um das Potenzial der Souterrains – exakte Zahlen über deren Bestand liegen übrigens bisher nicht vor – heben zu können, rät sie weiters dazu, die Verwendung des Straßenraums zu überdenken. „Derzeit haben Autos extrem viel Raum – sei es zum Parken, sei es zum Fahren.“ Schaffe man hingegen mehr Platz für Fußgänger, Radfahrerinnen und die private Nutzung des öffentlichen Bereichs vor den Häusern, würde das die Attraktivität von Souterrains und Erdgeschoßzonen deutlich steigern, ist die Forscherin überzeugt.

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