Albumkritik

„The Tortured Poets Department“: Taylor Swift gefesselt zwischen Herzschmerz und Sexfantasien

Fatale Fantasien: Für ihr neues Album bedient sich Taylor Swift an einer rohen Ästhetik.
Fatale Fantasien: Für ihr neues Album bedient sich Taylor Swift an einer rohen Ästhetik. Universal Music
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Auf Taylor Swifts „Tortured Poets Department“ wurde fiebrig gewartet: popkulturelle Schnitzeljagd, mit halb überraschendem Ausgang.

Verschwörungstheorien gab es diesmal wieder zuhauf. Albumcover, Titelliste und sämtliche PR-Zuckerln – eine Pop-up-Bücherei in LA zum Beispiel – regten die eh schon blühende Fantasie der Swifties lang vor der Veröffentlichung von „The Tortured Poets Department“ (kurz „TTPD“), Taylor Swifts neuem Album, an. Viele Fans waren davon ausgegangen, die elfte Studio LP werde eine Abrechnung mit ihrem Ex, dem britischen Schauspieler Joe Alwyn, mit dem sie sechs Jahre liiert war. Die Namen und Reihenfolge der Nummern hätten darauf hingedeutet. Andere meinten, es sei doch eher der andere Ex, Matty Healy von The 1975, gemeint. Nun endlich bieten auch die Texte der Popmonarchin richtig Raum für Spinnereien.

Spekuliert wurde vorab auch über einen doppelten Release, oder von „TTPD“ als Fortsetzungsalbum zu einem ihrer früheren Werke. Swift hat bei der Ankündigung des Albums bei den Grammys Anfang Februar kurz zwei Finger in die Höhe gestreckt: Normalos hätten es wohl als belanglose Peace-Geste abgetan, nicht aber die Swifties. Im Netz gab man sich auf Spurensuche, deutete jedes noch so kleine Detail ihres Outfits, des Album-Logos, der Bildsprache – und sollte schließlich recht behalten. In der Nacht auf Freitag überraschte Swift die Welt prompt mit einem Doppelalbum, 31 Songs enthält die überlange Version „TTPD: The Anthology“.

Obligatorische Note

Sie steigt ein mit einem schon viel besprochenen Feature und dem darin kaum zu hörenden Rapper Post Malone, rasch weiß sie sich als gestandene Poetin zu inszenieren, durch Namedropping berühmter Lyriker („You’re not Dylan Thomas / I’m not Patti Smith / This ain’t the Chelsea hotel / We’re modern idiots“). Dann gleich ein Markenzeichen Swifts: die Anrufung der verlorenen Liebe („I love you / It’s ruining my life“). Selbst für Swift aber ist das Werk emotional eine recht ungefilterte Angelegenheit, stellenweise erinnern Text und Musik an Sadcore-Pionierin Lana del Rey, mit der sie auch privat zuletzt viel Zeit verbracht hat. Fast monothematisch hangelt sich Swift von Song zu Song, bevor sie die inhaltliche Klammer doch zu öffnen wagt und sich erst noch freisingt vom Käfig der Prominenz (samt Seitenhieb auf die Fans) und dann die Ära des Erwachsenseins ausruft, mit Mitte dreißig. Swifts Alben stehen jeweils für eine Ära ihrer Karriere, die „Eras Tour“ ist ein Streifzug durch alle zehn.

Das Album-Cover von Taylor Swifts „The Tortured Poets Department“.
Das Album-Cover von Taylor Swifts „The Tortured Poets Department“.Universal Music

Am aufmüpfigsten gibt sie sich diesmal in „But Daddy I Love Him“ – Disney-Fans werden den Titel als berühmten Sager Arielles erkennen, auch eine Anspielung auf den Film „How the West Was Won“ aus dem Jahr 1962 findet sich darin. Zwischen subtilen Country-Klängen (eher die Ausnahme im Album) rügt sie die „Sarahs und Hannahs“, die sich im edlen Festtagskleidchen das Maul zerreißen, prangert sogleich die ganze Bagage mit an („These people only raise you to cage you“), bevor sie sie allesamt auf die Schaufel nimmt: „I’m having his baby / No, I’m not, but you should see your faces.“ Dass auch die Kritik an den eigenen Reihen in Stadien lautstark mitgegrölt werden wird, hat etwas Ironisches.

Mit Mitte 30 erwachsen

Wieder erscheint das als Versuch, mit dem Ruf des guten Mädchens zu brechen, wie schon bei „Reputation“, ihrem bisher düstersten Album. In „Guilty as Sin?“ singt sie frech von erotischen Fantasien – das erste Mal so explizit („These fatal fantasies / Giving way to laboured breath / Taking all of me / We’ve already done it in my head“). Mutmaßlich meint sie Healy damit, an den sie schon gedacht haben dürfte, als die Beziehung mit Alwyn in die Brüche ging. Aber auch der Neue hatte sich dann wohl als Reinfall entpuppt, so zu hören in „The Smallest Man Who Ever Lived“. „You deserve prison“, singt die Mächtige da unterkühlt. So dass ein jeder Hörer froh ist, nicht der Gemeinte zu sein.

Groß ist auch die Nummer „Florida!!!“ mit Kollegin Florence Welch, besser bekannt als Florence and the Machine, die am meisten nach del Reys desaströser Interpretation von Americana klingt, ein wenig auch nach Southern Gothic, und eine recht authentische Reflexion der Dreißiger im Leben einer Frau darstellt: „My friends all smell like weed or little babies“, singt sie darin keck, bevor sie mit sieben dramatischen perkussiven Schläge in Richtung Refrain rast.

Ein gewichtiger Pop-Moment darf inmitten des ganzen Melodramas trotzdem nicht fehlen: Am ehesten ist das hier „I Can Do It with a Broken Heart“ mit seinen flotten Synthesizer-Sounds. Die Zeile „Lights, camera, bitch, smile / Even when you wanna die“ ist quasi prädestiniert für TikTok-Videos. Gut, dass ihre Musik dort nach einem Rechtsstreit zwischen Spotify und Universal Music auf eigenen Wunsch wieder verfügbar ist.

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