Philosophie

Lea Ypi: Herr Kant als Architekt

Neuer Fixstern am philosophischen Himmel: Lea Ypi, geboren 1979 in Tirana.
Neuer Fixstern am philosophischen Himmel: Lea Ypi, geboren 1979 in Tirana.Fredrik Persson/TT/Imago
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Zu Kants 300. Geburtstag am 22. April liegt Lea Ypis erstes streng philosophisches Werk vor: Minuziös wendet sie sich einem vernachlässigten Abschnitt aus seiner ersten Kritik zu und kommentiert ihn Stück für Stück.

Seit ihrem Buch mit dem etwas sperrigen Titel „Free: Coming of Age at the End of History“ („Frei. Erwachsenwerden am Ende der Geschichte“, deutsch 2022) ist Lea Ypi ein ­neuer Fixstern in der philosophischen Szene. Das Buch schildert wie so viele andere Bücher von Migrantinnen die Geschichte einer Familie und ihrer Jugend im rabiaten Übergang vom „realen“ Sozialismus in eine liberale marktkapitalistische Gesellschaft. Diese Störerfahrung führt bei Ypi zu einer Rückbesinnung auf Hegel und Marx.

Sie selbst stammt aus einer prominenten bürgerlichen und widerständigen Familie, die im Albanien Enver Hodschas Repressionen und Schikanen ausgesetzt war. Das hat auch damit zu tun, dass ihr Urgroßvater in der Zwischenkriegszeit Premierminister war. Nun lehrt die Urenkelin in London Kant, Hegel, Marx und Kritische Theorie.

Kant Stück für Stück kommentiert

Die Philosophin, Jahrgang 1979, die 2016 mit nur siebenunddreißig Jahren Professorin an der renommierten London School of ­Economics wurde, hat neben ihrer Autobiografie Bücher zu Migration, Partisanentum und über Kolonialismus und Kant publiziert, nun legt sie mit „Die Architektonik der ­Vernunft“ (Untertitel: „Zweckmäßigkeit und systematische Einheit in Kants ‚Kritik der ­reinen Vernunft‘“) ihr erstes streng philosophisches Werk vor, das sich minuziös einem vernachlässigten Abschnitt aus Kants erster Kritik zuwendet und diesen in bravouröser philosophischer Manier Stück für Stück ­kommentiert.

Das Buch erscheint bei Suhrkamp in der Reihe „Analytischer Deutscher Idealismus“, die es programmatisch unternimmt, eine Brücke zwischen bis dato eher einander feindlich gegenüberstehenden Brüdern – angelsächsischer analytischer Philosophie und Deutschem Idealismus – zu schlagen. Philosophiegeschichtlich kann man das auch als eine lehrstuhlpolitische wirksame Allianz von sich als streng wissenschaftlich begreifenden Philosophien gegen skeptische vernunftkritische Schulen des 20. Jahrhunderts (Phänomenologie und Existenzphilosophie, Poststrukturalismus, Dekonstruktion) interpretieren.

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