Sozialstaat

Besser gebildet, länger in Pension – ist das gerecht?

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Menschen mit wenig Bildung leben im Schnitt kürzer als Akademiker. Daher sind sie auch kürzer im Ruhestand. Soll eine Pensionsreform diesen sozialen Aspekt berücksichtigen?

Wien. Braucht Österreich eine Pensionsreform – und wenn ja, wann? Darüber ist diese Woche eine Debatte entbrannt. Anlass waren Aussagen der Wifo-Ökonomin Christine Mayrhuber, die seit April auch Vorsitzende der Alterssicherungskommission ist. Eine große Pensionsreform inklusive Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters sei frühestens in zehn Jahren sinnvoll, hat sie im „Presse“-Interview gesagt. Man solle zuerst den Übergangszeitraum für Frauen abwarten: Ab heuer wird das gesetzliche Antrittsalter für Frauen pro Jahr um je sechs Monate angehoben, bis es 2033 bei 65 Jahren und damit auf dem Niveau der Männer liegt. 

In der Debatte ging es auch um einen interessanten Aspekt: Mayrhuber sagte, nur auf eine Anhebung des Antrittsalters abzustellen sei „nicht durchdacht“. Denn: Für Akademiker liege die Restlebenserwartung mit 65 Jahren bei 21 Jahren, für Männer mit Pflichtschulabschluss als höchster Ausbildung bei lediglich 16 Jahren. Orientiere man sich beim Pensionsantrittsalter nur an einem Faktor, produziere man „soziale Verwerfungen“, sagte Mayrhuber. 

Einige Länder haben bereits ein flexibles Antrittsalter eingeführt, das sich an der Lebenserwartung orientiert, und koppeln das oft mit Anreizen, im Alter länger zu arbeiten. Finnland hat die Möglichkeit eingeführt, nur einen Teil der Pension zu beziehen und in reduziertem Ausmaß weiterzuarbeiten. In Schweden gibt es bereits seit Ende der 1990er-Jahre die Möglichkeit, die Höhe der Pensionen an die Entwicklung der Lebenserwartung und der Wirtschaft anzupassen. 

Aber ist es sinnvoll, bei solchen Reformen auch den sozialen Aspekt einzubeziehen – also zu berücksichtigen, dass weniger gebildete Menschen im Durchschnitt kürzer leben als besser gebildete?

„Es ist definitiv so, dass Bildung mit höherer Lebenserwartung korreliert“, sagt Martin Halla, der an der Wirtschaftsuniversität zu Arbeitsmarktpolitik forscht. „Allerdings geht es in der Pensionsversicherung genau darum: Es ist eine Versicherung gegen unerwartet langes Leben.“ Jene, die kürzer leben, haben weniger davon als jene, die länger leben, sagt Halla. Analog gebe es in der Arbeitslosenversicherung einen Transfer von jenen, die arbeiten, zu Arbeitslosen und in der Krankenversicherung von Gesunden zu Kranken. „Das ist das Prinzip einer Versicherung.“

Zwei Drittel in Frühpension

Halla findet, dass man eine Pensionsreform „schon vor 15 Jahren gebraucht“ hätte. Für 2024 sind Staatsausgaben für die gesetzliche Pensionsversicherung und Beamtenpensionen von 29,5 Mrd. Euro vorgesehen, was fast einem Viertel des Gesamtbudgets entspricht. „Das System soll sich schon selbst finanzieren können“, sagt Halla. Auch Fiskalrat-Chef Christoph Badelt wies diese Woche eindringlich darauf hin, wie wichtig eine Pensionsreform sei. Er kritisierte vor allem die hohen Kosten, die sich der Staat durch außertourliche Pensionserhöhungen aufgeladen hatte.

Solche zusätzlichen Aufwendungen entstehen zum Beispiel, weil niedrigere Pensionen in der Vergangenheit oft stärker erhöht wurden als höhere. Laut Berechnungen des Fiskalrats gab es seit 2018 außertourliche Erhöhungen, die sich auf 8,4 Mrd. Euro summieren. „Und das in einer Phase, in der wir eigentlich die Nachhaltigkeit des Pensionssystems erhöhen müssten“, sagte Badelt zur „Presse“.

Im Jahr 2022 gingen Frauen in Österreich im Durchschnitt mit 60,1 Jahren in Pension (Alters- und Invaliditätspensionen) und Männer mit 62,1 Jahren. Wer in Frühpension geht, muss Abschläge hinnehmen. Dennoch gingen zuletzt zwei Drittel der Männer vor dem Regelpensionsalter in Pension.

Einer, der vehement eine Pensionsreform fordert, ist der Ökonom Holger Bonin, Leiter des Instituts für Höhere Studien. Er spricht sich für eine Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters auf 67 Jahre aus, und weil das eine gewisse Vorlaufzeit braucht, „sollte man diese Reformen heute schon auf den Plan setzen“, sagt er zur „Presse“. Mit Übergangsfristen sei eine Umsetzung bis 2050 realistisch.

In Gesundheit investieren

Damit, dass schlechter qualifizierte Menschen im Durchschnitt eine niedrigere Lebenserwartung haben, dürfe man sich nicht abfinden, sagt Bonin. Der zentrale Hebel sei, in die Gesundheit zu investieren, „damit sie länger leben“.

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