Replik auf Hans Winkler

Assimilation und/oder Integration? Eine Leitkultur ist jedenfalls keine Lösung

Es gibt nicht nur die eine, einzige nationale Identität, die „uns verbindet“, wie populistische Propagandisten behaupten.

Der Beitrag von Hans Winkler zum „Reizwort Leitkultur“ (vom 2. April, „Die Presse“) beruht zu Recht auf der Annahme, dass sich „Einwanderungsgesellschaften“ wie eben auch die österreichische darüber klar werden müssen, „was sie verbindet“. Aber ihm ist entschieden zu widersprechen, wenn er meint, Assimilation und Integration seien sowieso dasselbe. Mit seinem Beispiel der Trapp-Familie im Musical „Sound of Music“ unterstellt er, dass auch „heutigen Migranten in Europa zugemutet werden darf, ihre Herkunft schneller hinter sich zu lassen“, dass also „Integration die Assimilation zum Ziel hat“, wie es Van der Bellen „unabsichtlich zugegeben“ habe. Multikulturalität könne daher „nur ein vorübergehender Zustand“ sein, dem durch eine Leitkultur zur „kulturellen Assimilation“ abzuhelfen sei.

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Unterscheiden sich die Begriffe Assimilation und Integration, wie sie auch in die Rechtsordnung Eingang gefunden haben, wirklich nicht? Winkler selbst zeigt schon den Widerspruch in seiner Argumentation auf, indem er zu Recht auf den „Katalog der Menschenrechte“ und damit die rechtliche (!) „Verpflichtung … auf die westlichen und damit österreichischen Werte“ hinweist, die mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in Österreich sogar im Rang der Verfassung Geltung haben. Und zwar nicht nur für MigrantInnen mit oder ohne österreichische Staatsbürgerschaft, sondern eben für alle Staatsbürger und Menschen, die der österreichischen Rechtsordnung unterstehen. Was er selbst mit dem Beispiel der Religionsfreiheit „auch der anderen“ ausführt, gilt natürlich auch für die anderen in der EMRK geschützten sogenannten liberalen Grundrechte, also das Recht auf Privat- und Familienleben, die Meinungsfreiheit und auch das Recht, Organisationen inklusive politischer Parteien zu gründen, wie das Beispiel einer 1998 in Vorarlberg gegründeten Arbeiterkammerfraktion zeigt. Diese von türkischen Einwanderern initiierte „Neue Bewegung für die Zukunft“ trat dann bei den Landtagswahlen 2009 mit anderen Kleingruppen als „Liste Gsiberger“ an. Also doch eine erfolgreiche nicht nur kulturelle, sondern auch politische „Assimilation“?

Nein. Gerade nicht. Assimilation ist der Zwang, seine Sprache und damit auch Kultur des Herkunftslandes für das Zusammenleben jedenfalls im öffentlichen Bereich aufgeben zu müssen. Dies darf gerade nicht gefordert werden, wenn die liberalen Grundrechte und die ihnen zugrunde liegenden Werte für alle Menschen ungeachtet ihrer Herkunft weiterhin Geltung haben sollen. Dazu bedarf es der sozialen wie systemischen Integration, wie gerade auch der von Winkler ins Treffen geführte Jürgen Habermas in seinen theoretischen Arbeiten klar herausgearbeitet hat.

Mensch wie jeder „Andere“

Dabei ist Multikulturalität eben kein vorübergehender Zustand. Alle modernen Gesellschaften in Nationalstaaten sind und bleiben immer durch kulturelle Vielfalt wie auch sozio-ökonomische Unterschiede und dementsprechende vielfältige soziale Identitäten geprägt. Es gibt eben nicht nur die eine, einzige nationale Identität, die unbedingte Loyalität zu „Volk“ und „Nation“ erfordert, und „uns verbindet“, wie die Propagandisten nationalistischer und populistischer Ideologien behaupten. Ich bin immer auch in meiner Identität vom lokalen und regionalen Umfeld geprägt, in dem ich aufgewachsen bin, werde auf Reisen als Europäer wahrgenommen und bin, nicht letzten Endes, sondern an erster Stelle, Mensch wie jeder „Andere“.

Kulturelle Vielfalt ist auch genauso wenig „die“ Ursache aller gewaltsamen Konflikte, wie uns die falschen Propheten eines „Kampfes der Zivilisationen“ (© Samuel P. Huntington) prophezeien. Gefährlich sind vielmehr die aus solchen Ideologien abgeleiteten Politiken des Entweder-Oder. Entweder wird Segregation ignoriert und damit so verfestigt, dass die Betroffenen das Gefühl entwickeln, dem Teufelskreis aus Armut und rassistischer Diskriminierung nicht entkommen zu können. Oder es wird versucht, Assimilation zu erzwingen, wie der Umgang mit den sogenannten alten Minderheiten, etwa den Burgenland-Kroaten, Slowenen, Roma und Sinti gerade auch in Österreich gezeigt hat.

Sprache ist Voraussetzung

Nicht kulturelle Vielfalt, sondern Segregation und Assimilation sind daher die Ursachen, die zur Spaltung von Gesellschaften führen, wenn nur die Staatssprache möglichst schnell gelernt werden soll, um in der Schule mitkommen und auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können. Das ist und bleibt selbstverständlich Voraussetzung jedweder sozialen Integration. Aber es bedarf, wie Linguisten und Pädagogen immer wieder betonen, auch des (weiterführenden) Unterrichts der Muttersprache oder eines bi-konfessionellen Unterrichts, wie er gerade an der Universität Graz erfolgreich entwickelt wird, und eben nicht nur eines allgemeinen Ethikunterrichts. Nur so, in der „Schule der Demokratie“, kann über den Erwerb von „Kompetenzen“ hinaus auch jene Wertedimension aktiviert und damit Vertrauen und Solidarität eingeübt werden, die für die erfolgreiche soziale und systemische Integration notwendig sind. Dies nur dem „freien Markt“ zu überlassen oder gar eine „Leitkultur“ von oben herab zu verordnen ist daher ein Rezept, das von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist.

Univ.-Prof. i.R. Joseph Marko (*1955) war Professor für Vergleichendes Öffentliches Recht und Politik­wissen­schaften an der Universität Graz sowie 1997 bis 2002 internationaler Richter am Verfassungsgericht von Bosnien und Herzegowina.

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