Liebende, die einander schrecklich verfehlen, vermisste Großmütter und Freundinnen, die andere Wege gingen. In „Unzustellbare Briefe“ porträtiert Anna Mitgutsch Menschen aus ihrem Leben.
Auch nicht geschriebene Briefe kommen manchmal an“, meinte Marie von Ebner-Eschenbach. Diese hier wurden geschrieben, können aber nicht mehr zugestellt werden: weil ihre Adressaten verstorben sind oder verschollen, jedenfalls für die Schreiberin auf dem Postweg nicht mehr erreichbar. Wozu also die Niederschrift?
Weil sie die Möglichkeit bietet, einen Menschen zu würdigen, ihm gerecht zu werden, manchmal, selten auch: ihn zu verurteilen und sich dabei über die eigene Haltung klar zu werden, blinde Flecken zu erkennen, Fehldeutungen und Versäumnisse. So zeichnet Anna Mitgutsch mit Hingabe und skrupulöser Genauigkeit Porträts von Familienmitgliedern, Freundinnen, Liebhabern, Rivalinnen, Freunden.
Fieber des Kennenlernens
Der Untertitel der „Unzustellbaren Briefe“ lautet „Erzählungen“, und das ist nicht verkehrt: Zwar gibt es auch dialogische Elemente, Fragen an die Toten und Unauffindbaren; vor allem aber erzählt ein Ich einem Du jeweils die gemeinsame Geschichte, was durchaus mehr ist als ein rhetorischer Kniff, denn das imaginierte Gegenüber würde sich, wäre es noch da, an manche Dinge wohl anders, an andere gar nicht erinnern.