Achte Symphonie. Kennern gilt sie als Bruckners größtes Werk.
Anton Bruckners Symphonien

Tränen und Triumphe: Bruckner, der Symphoniker

Wie viele Symphonien hat Anton Bruckner komponiert?

Alle Neune! Seit Beethoven ist die Neunzahl heilig, was die Anzahl an Symphonien betrifft, die ein Komponist zu schreiben hätte. Jedenfalls legt die Musikgeschichte nahe, dass man in vielen Fällen versuchte, bedeutenden Komponisten neun einschlägige Werke zuzuschreiben, auch wenn das kaum je wirklich gerechtfertigt erscheint. In manchen Fällen kokettierten die Komponisten selbst mit der magischen Zahl – oder sie haben sich davor gefürchtet: Gustav Mahler beispielsweise strich das „Symphonie Nr. 9“ auf der Titelseite der Partitur seines „Lieds von der Erde“ wieder aus und beließ es beim „Lied“. Die folgende Symphonie hat er dann wieder nummeriert. Und das Schicksal wollte es, dass dieses Werk das letzte werden sollte, das er vollenden konnte. Die Zehnte blieb Fragment. Dabei war sie doch eigentlich die „Elfte“ – man entkommt seinem Schicksal nicht.

Oder der Häme wortgewaltiger Kritiker: So ätzte etwa Theodor W. Adorno über den finnischen Nationalkomponisten Jean Sibelius, den er nicht mochte, er hocke jahrelang über einer Achten Symphonie „als ob es eine Neunte sei“. Antonin Dvorak wiederum wollte seinen Erstversuch „Die Glocken von Zlonice“ nicht in den Kanon seiner approbierten Werke aufnehmen; aber posthum beschlossen die Herausgeber seiner Gesamtausgabe, das Stück mitzuzählen; damit kam er auf neun vollgültige Symphonien.

Bei Schubert ist dieser verlegerische Versuch schiefgegangen, insofern als man eine angebliche Nummer 7 in der Zählung freiließ für eine noch zu entdeckende Symphonie, die in Gastein entstanden sein sollte. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass es sich bei diesem Werk um die „Große C-Dur-Symphonie“ handelt, die letzte Symphonie des Komponisten, die in der Gesamtausgabe als Nr. 9 gezählt worden war. Eigentlich gibt es nur acht Schubert-Symphonien. Aber im allgemeinen Sprachgebrauch hat auch er seine „Neunte“, wenn es auch nicht, was anekdotisch so schön gewesen wäre, die „Unvollendete“ ist. Denn die ist jedenfalls früher als das C-Dur-Werk entstanden.

Nur bei Bruckner ist die Neunte die „Unvollendete“. Er ist mit dem Finale der von ihm selbst als Nr. 9 gezählten Symphonie tatsächlich nicht fertig geworden. Nur: Bei ihm gilt die Annahme, er hätte nur neun Symphonien geschrieben, solang man die von ihm selbst approbierten Werke zulässt und die eigene Zählung des Komponisten übernimmt. Dann lässt man den allerersten Versuch, die sogenannte Studiensymphonie in f-Moll, beiseite und ignoriert auch die in der Literatur sogenannte „Nullte“, die 1869 zwischen Nr. 1 und Nr. 2 entstanden ist und vom Komponisten selbst „annulliert“ wurde.

Die „ungeliebten“ Kinder

Und auch mit diesen numerischen Kompromissen stimmt die Neunzahl nur, wenn man vernachlässigt, dass einige der Werke in mehreren verschiedenen Fassungen überliefert sind, die sich oft sehr weitgehend voneinander unterscheiden. Vor allem die Symphonien mit den Nummern 3 und 4 liegen in höchst divergierenden Versionen vor; in der Vierten wurde für die endgültige Fassung sogar ein völlig neues Scherzo komponiert. Je nach Perspektive, zählt die Musikwissenschaft also bis zu 18 Bruckner-Symphonien. Elf völlig unterschiedliche Stücke sind es auf jeden Fall. Und berücksichtigt man die sogenannte Studiensymphonie, so kommt man dennoch nicht darum herum, Anton Bruckner einen Spätzünder zu nennen: Das nach Ansicht des Komponisten unbefriedigende f-Moll-Werk entstand im vierzigsten Lebensjahr des Komponisten.

Während die sogenannte Nullte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wiederholt aufgeführt und auch auf CD aufgenommen wurde, ist die Beschäftigung mit der Studiensymphonie ein Phänomen der Zeit um die Zelebrationen von Bruckners 200. Geburtstag. Es waren die Wiener Philharmoniker und der Dirigent Christian Thielemann, die in ihrer Gesamtaufnahme der Brucknersymphonien auch die f-Moll-Symphonie berücksichtigten und also ins Jubiläumsjahr 2024 mit einer Edition von elf Kompositionen gingen.

Bei der Uraufführung seiner 3. Symphonie stand Bruckner selbst am Dirigentenpult.
Bei der Uraufführung seiner 3. Symphonie stand Bruckner selbst am Dirigentenpult.Österr. Nationalbibliothek

Erstmals erklang die Studiensymphonie dann auch live in einem philharmonischen Konzert im Wiener Musikverein. Das wurde international viel beachtet, denn die ernsthafte Behandlung der von ihrem Schöpfer selbst als unreif taxierten Partitur erwies, dass sich hier viele spezifische Bruckneriana schon im Entpuppungsstadium befanden. Manch charakteristische Wendung, manche Harmoniefolge weist auf die bekannten späteren Symphonien voraus. In ihrem offenkundigen Ausdrucksbedürfnis weist die Komposition weit über die frühromantischen Vorbilder hinaus, denen es formal noch verpflichtet ist: Für Bruckner war zwar Beethoven das Richtmaß, doch die Muster für romantische Symphonik schufen Mendelssohn und Schumann. An deren Symphonik knüpft Bruckner eindeutig an, führt aber bereits in seinem Erstversuch manch „wagnerisches“ Wagnis harmonischer Natur ins Treffen. Er begibt sich auf seinen ureigenen Weg. Und es ist wohl kein Zufall, dass motivisches Material aus der Studiensymphonie in der Dritten Symphonie wieder zu erkennen sein wird. Die „Nullte“ nimmt dann sogar deren Tonart d-Moll vorweg und auch sie enthält Klänge, die sich in der offiziellen „Symphonie Nr. 3“ wiederfinden werden.

Dass der Komponist sie als „ungiltig“ erklärt hat, hat wohl mit formalen Problemen zu tun, die er mangelhaft gelöst fand. Immerhin klingt am Ende des ersten Satzes jene über einen fallenden Bass aufbauende Schlusssteigerung an, die ein direkter Abkömmling der parallelen Stelle in Beethovens Neunter ist. Im Andante nimmt Bruckner sogar einen Moment aus dem Trio seiner eigenen Neunten vorweg.

Aber vor der „Nullten“ entstand bereits jene C-Moll-Symphonie, die der Komponist später als vollgültige Nummer 1 gelten lassen sollte.

Symphonie Nr. 1 in c-Moll: 1. (Linzer) Fassung 1865/66, 2. (Wiener) Fassung 1891

Die sogenannte Studiensymphonie in f-Moll entstand 1863 als Abschlussarbeit nach den Studien bei Otto Kitzler. Als er an die Ausarbeitung der C-Moll-Symphonie ging, war er bereits 40 Jahre alt. Zwischen den beiden symphonischen Arbeiten liegen wichtige künstlerische Begegnungen für den Komponisten, allen voran Aufführungen von Wagners „Tannhäuser“ und „Tristan“, die Bruckner tief bewegt haben. Auf die zerklüftete, ungewöhnlich wechselhafte formale Struktur seiner Ersten haben diese Erlebnisse noch keine unmittelbar spürbare Auswirkung. Bruckner etabliert da ein in der Symphonik der Romantik jedenfalls noch nie gehörten, eigenwilligen Ton. Fast zwei Jahrzehnte später soll er anlässlich einer Aufführung einer Klavierfassung seines Werks gemeint haben: „Die is wirklich net schlecht; is halt a keck’s Beserl.“

Im Mai 1868 wurde das Werk in Linz unter Bruckners eigener Leitung uraufgeführt. In einer Rezension hieß es, man wünsche dem Komponisten „. . . dass er bald eine seinen Fähigkeiten und musikalischen Kenntnissen entsprechende Stellung in der Residenzstadt finden möchte, um seinem schöpferischen Streben mit Muß obliegen zu können“.

Tatsächlich konnte Bruckner im Uraufführungsjahr seiner Ersten nach Wien übersiedeln. Da sich das Stimmenmaterial der Linzer Uraufführung im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien erhalten hat, konnte die ursprüngliche Version der Partitur rekonstruiert werden. Sie hat sich in der Aufführungspraxis der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dann durchgesetzt. Die von Bruckner viel später während der Arbeit an der Neunten erstellte und 1891 vollendete „Wiener Fassung“, die dem Werk viel von seinem ursprünglichen Ungestüm nimmt – über dem Finale stand in der Erstfassung die für Bruckner ungewöhnliche Vortragsbezeichnung „feurig“! – wird seltener gespielt, obwohl sie in ihrer Gesamtheit gewiss ausgewogener klingt. Vom „kecken Beserl“ lässt sie nicht mehr viel ahnen.

Wie so viele seiner Werke hatte sich Bruckner zwischendurch auch die Partitur seiner Ersten wiederholt vorgenommen. Sowohl sein Autograf als auch die erhaltene Kopisten-Abschrift enthalten zahllose Änderungen, die möglicherweise bis ins Jahr 1889 reichen, ehe Bruckner ausgehend von diesen Vorlagen die „Wiener Fassung“ komponierte, die 1891 im Musikverein uraufgeführt wurde und einige Jahre lang die einzig greifbare Version der Symphonie darstellte. Erst 1935 ging die „Linzer Fassung“ in Druck, die auch nicht in einem Zug entstanden war. Vor allem das Adagio nahm erst nach und nach Kontur an. Den ursprünglichen Durchführungs-Mittelteil ersetzte Bruckner während der Arbeit durch einen aus dem dritten Thema gebildeten, kontrastierenden Mittelteil. Vollständig umkomponiert hatte er bereits vor der Uraufführung in Linz den Scherzo-Teil des dritten Satzes. Die ursprünglichen Versionen der Mittelsätze erschienen erst 1994 im Zuge der Bruckner-Gesamtausgabe in Druck.

Chronologisch muss hier die Betrachtung der „Nullten“ folgen, die zwischen den nummerierten Symphonien 1 und 2 komponiert wurde. Die letzten Arbeiten an der Partitur schloss Bruckner ab, als die offizielle Erste Symphonie längst vollendet war. Dennoch wollte er sie nicht gelten lassen. Erst 1924 erklang das Werk zum ersten Mal und ist Kennern seither lieb geworden, weil vor allem im lyrischen zweiten Thema des Finalsatzes Töne erklingen, die Bruckners Herkunft von Schubert überdeutlich werden lassen.

Für die Aufführungsgeschichte bedeutsamer als die ersten Symphonien blieben zunächst die geistlichen Werke. Die dritte der Messen, in f-Moll, bescherte dem Meister seinen ersten veritablen Triumph in Wien.

„Eben heute sind es acht Tage, dass ich meine Messe in F Nr. 3, die schwierigste aller Messen, zum ersten Male in der Augustinerkirche aufführte. (Kostete über 300 Gulden; denn ich hatte die Kräfte des Hoftheaters.) Dem Höchsten zur Verherrlichung geschrieben, wollte ich das Werk zuerst in der Kirche aufführen. Die Begeisterung von Seiten der Künstler sowohl als der übrigen Anhörer war beinahe namenlos. (Die mir dafür gebrachten Ehren sind bereits gehörenden Ortes untergebracht.)“ Also schrieb Anton Bruckner an seinen geistlichen Freund Schiedermayr im Juni 1872. Er hatte erreicht, was er sich erträumt hatte, die ehrgeizigste seiner Vertonungen des Ordinarium missae erfreute sich wohlwollender Kritik, selbst der später so feindselige Eduard Hanslick äußerte sich lobend. Ebenso Franz Liszt, der als Abbé sowohl den geistlichen Gehalt des Werks wie dessen musikalische Faktur zu würdigen wusste.

Seinem Biografen Göllerich berichtete der greise Bruckner später über die Schwierigkeiten, die sich bei der Einstudierung der für die Musiker damals ungewöhnlich anmutenden Messe boten: „Aber auch jetzt hat Herbeck no allweil net recht d’ran woll’n und endli’ hab’ i’ die Mess’ am 27. Juni 1872 in der Kirch’n bei den Augustinern selber dirigiert. … Sie is’ so verschrie’n g’wes’n, obwohl’s niemand kennt hat, daß dort bei der ersten Prob’ nur zwei Musiker erschienen waren! Die Aufführung hat ma damals mit’n Hofopernorchester 300 Gulden ‚kost‘! Die Generalprob‘ war im Musikverein. Direktor Hellmesberger war a dabei und hat sich sehr interessiert. … Herbeck dirigierte nur bis zum ‚Credo‘, dann wurde er zu nervös und hat mich bitt‘, daß i’s leit. ...Am Schluß is’ da Hellmesberger auf mi’ zug’stürzt und hat g’schrien: ‚ich kenne nur diese Messe und die Solemnis von Beethoven!‘“

Für Bruckner bedeutete der Erfolg den höchsten Ansporn. Er ging daran, die Zweite Symphonie fertigzustellen, deren Finale im August des Vorjahres anlässlich des triumphalen Gastspiels als Organist in London skizziert worden war.

Symphonie Nr. 2 c-Moll: 1. Fassung 1871/72, Umarbeitungen 1873, 1876, 1877

Die Zweite ist ein Werk, bei dem heikle interpretatorische Balanceakte gefragt sind! Vielleicht ist das der Grund, dass sie die am seltensten diskutierte der nummerierten Bruckner’schen Symphonien ist. Das hatte auch zur Folge, dass sich – anders als bei späteren Werken – kaum ein Interpret dafür interessierte, in welcher Version das Werk aufzuführen sei; wenn es denn überhaupt gespielt wurde. Die Zweite existiert in zwei höchst unterschiedlichen Fassungen. Diese sind allerdings in der raren Praxis lange Zeit zu einer praktikablen Version amalgamiert worden.

Exakt elf Monate, vom Oktober 1871 bis September 1872, dauerte die Arbeit an der Urfassung der Zweiten, die in derselben Tonart c-Moll steht wie die Erste. Diese zweite c-Moll-Symphonie ist Frucht einer Zeit, in der Bruckner triumphale Erfolge als Organist feiern konnte. Die ersten Takte schrieb er in Partitur, als er von der erfolgreichen Tournee durch England zurückkehrte. Über dem ersten Satz hieß es ursprünglich Symphonie Nr. 3, doch schon im Laufe des Jahres 1871 war für Bruckner klar, dass er die später als Nullte bezeichnete d-Moll-Symphonie nicht als vollgültig erklären würde. So bekam die neue Symphonie die Nummer 2.

Im Zuge einer ersten Revision ergänzte Bruckner vor der Fertigstellung des Gesamtwerks in St. Florian noch die Coda des Adagios. Das ist insofern bedeutsam, als damit für den Komponisten die formale Anlage eines Adagios mehr oder weniger für alle Zukunft feststand. Das Adagio der Zweiten ist der erste von Bruckners langsamen Sätzen, der sich der klassischen Rondoform annähert.

Formal interessant ist auch die Tatsache, dass Bruckner ursprünglich das Scherzo als zweiten Satz der Symphonie vorsah. Es entstand auch vor dem Adagio, das in der letzten Phase der Revision dann allerdings doch an die traditionelle zweite Stelle rückte. Erst in den letzten beiden Symphonien wird Bruckner die Reihenfolge der Mittelsätze umkehren.

Die Uraufführung 1873 im Wiener Musikverein bescherte dem Komponisten einen großen persönlichen Erfolg, aber auch skeptisch abwartende Kritiken. Es ließe sich keineswegs „bei jedem Takte der Bruckner’schen Symphonie . . . mit Bestimmtheit darauf schließen, was schon der nächste Takt bringen wird“, befand Rezensent Theodor Helm. Das Werk bestehe aus „geistvollen Improvisationen und von diesen ist nicht einmal jede aus einem Guße, jede besteht selbst wieder aus einander gänzlich fremd gegenüberstehenden Improvisationen, die zu völlig verschiedener Zeit entstanden sein könnten“. Und doch: „Auch vorurteilsfreie, kühle Kritik muß Herrn Bruckner einen großen, verdienten Erfolg zugestehen.“

Symphonie Nr. 3 d-Moll: 1. Fassung 1872/1873, 2. Fassung 1876–1878, 3. Fassung 1877–1889

Die Dritte ist, was die Aufführungspraxis angeht, beinahe so etwas wie eine Erste: Während die Symphonien 1 und 2 sowie die Studiensymphonie und die „Nullte“ letztendlich nach wie vor ein Schattendasein fristen, hat die Nummer 3 nach einem höchst wechselvollen Schicksal zu Bruckners Lebzeiten bald Repertoire-Status erhalten. Allerdings wiederum in einer korrumpierten Spielfassung, die nicht ahnen lässt, dass es sich dabei um ein willkürliches Amalgam aus den verschiedenen überlieferten Versionen der Komposition handelt. Bei der Dritten ist das leidige „Fassungs-Problem“ tatsächlich besonders heikel. Die Partitur existiert in drei Versionen, deren erste zu Lebzeiten des Komponisten nie erklungen ist. Schon vor der – desaströsen – Uraufführung (der mittleren Fassung) hat der Komponist die kühne, mit Wagner-Zitaten gespickte Partitur stark verkürzt und in ihrer harmonischen Radikalität entschärft.

Hier muss man innehalten, um sich die Chronologie von Anton Bruckners Schaffen genauer zu vergegenwärtigen. Ursprünglich war die Dritte Symphonie das vierte Werk einer Reihe, die quasi ohne Unterbrechung in einem Schaffenstaumel nach seinem umjubelten Aufenthalt als Organist in England geschaffen wurde. Tatsächlich entstanden zwischen Oktober 1871 und Mai 1876 in einem Zug die (jeweiligen Urfassungen der) Symphonien Nr. 2 bis 5. Inmitten dieser glücklichen Phase reiste Bruckner mit den Partituren der Zweiten und Dritten im Gepäck nach Bayreuth zu seinem berühmten Treffen mit Richard Wagner, dem er eine der beiden Symphonien widmen wollte. Wagner entschied sich für die Dritte, die tatsächlich dank vieler unüberhörbarer Zitate eine Hommage an seine Musikdramen genannt werden konnte – zumindest in der ursprünglichen Version, die später – nach Vollendung der Fünften – kräftig gekürzt und umgearbeitet wurde. Dabei entfielen viele der wörtlichen Wagner-Zitate – unter anderem das des „Hochzeitszugs“ aus dem „Lohengrin“ und des „Schlafmotivs“ aus der „Walküre“. Es blieben vor allem die unverhohlenen „Tristan“-Harmonien als unüberhörbare Signale der Wagner-Verehrung, die sich bei Bruckner über die Jahre hin immer weiter verfestigt hatte. Nicht unbedingt in Verehrung für das Musiktheatergenie, eher in Anverwandlung der musikhistorisch so bedeutsamen harmonischen Kühnheiten; vor allem den „Tristan“ studierte Bruckner intensiv – und zwar aus einem Klavierauszug, der nicht einmal den Operntext, sondern nur die Musik enthielt; sie allein, keineswegs die erotischen Konnotationen der „Tristan“-Handlung waren für den Symphoniker offenbar von Bedeutung.

Glück hat die Dritte ihrem Komponisten zunächst nicht beschert. Im Gegenteil. Die Uraufführung der mittleren Fassung, in der die Wagner-Zitate stark reduziert sind, geriet im Wiener Musikverein zum schlimmsten Fiasko in Bruckners Karriere. Johann Ritter von Herbeck sollte die Wiener Philharmoniker dirigieren, starb aber kurz vor dem geplanten Konzerttermin unerwartet. So musste der unerfahrene Bruckner selbst ans Dirigentenpult. Das Ergebnis war niederschmetternd, die Musiker verhielten sich keineswegs kooperativ und das Publikum verließ in Scharen den Musikvereinssaal. Dass der junge Gustav Mahler im Auditorium war und sich erbötig machte, den Klavierauszug der Symphonie anzufertigen, war dem Meister kein Trost. Immerhin kommt die Nachwelt dadurch aber in den Genuss eines von Mahler hergestellten Klavierauszugs dieser Symphonie, der mittlerweile auch des Öfteren aufgeführt wird. Erstaunlicherweise fand sich nach dem Fiasko aber auch ein Verleger, der dem tränenüberströmten Komponisten anbot, das Werk zu drucken.

Gustav Mahler fertigte den Klavierauszug der 3. Symphonie an.
Gustav Mahler fertigte den Klavierauszug der 3. Symphonie an.Getty Images

Die Folge waren zahllose weitere Veränderungen an der Partitur, die in ihrer dritten und letzten Fassung noch kürzer wurde, dafür aber vom Publikum stürmisch gefeiert wurde, als Hans Richter sie am 21. Dezember 1890 – wiederum im Musikverein und wiederum mit den Philharmonikern – zur Uraufführung brachte. Komponist und Werk waren „rehabilitiert“. In ihrer letzten Version fand die Symphonie, wie schon gesagt, bald nach Bruckners Tod Eingang ins Repertoire. Für die etwas längere Mittelfassung, jene, die zu dem Uraufführungs-Fiasko führte, konnten sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dann etliche Bruckner-Interpreten begeistern. Sie erklang bald ebenso oft wie die Endversion. Die bedeutend längere Urfassung der „Wagner-Symphonie“ mit allen Opern-Zitaten hat hingegen kaum Interessenten gefunden. Dabei enthält sie Bruckners ursprüngliche Wünsche. Erst der Originalklang-Pionier Roger Norrington hat Jahrzehnte später als einer der ersten internationalen Dirigenten die Urfassung wiederholt aufgeführt und aufgenommen. Er dirigierte auch die österreichische Erstaufführung im Rahmen eines Linzer Brucknerfestes im Brucknerhaus. Sie machte enormen Effekt, hinterließ aber auch manchen Hörer, der mit den gewohnten Spielversionen vertraut war, ratlos.

Die „Romantische“, Nr. 4 Es-Dur: 1. Fassung 1874, 2. Fassung 1878–1880, 3. Fassung 1887–1889

Die Vierte Symphonie, seine erste in Dur, sei seine „Romantische“, meinte Anton Bruckner selbst. Tatsächlich gelten die Naturlaute des Symphonie-Beginns, vor allem aber das sogenannte „Jagd-Scherzo“ als Inbegriff der musikalischen Genremalerei, klingen wie eine Übertragung deutscher Opernromantik eines Carl Maria von Webers, aber natürlich auch Richard Wagners in den Konzertsaal. Doch schon beim populären Scherzo muss sich der Musikfreund vergegenwärtigen, dass es sich bei diesem Satz um eine Ersatzvornahme handelt. Jenes Stück, das die „Romantische Symphonie“ populärer gemacht hat als alle anderen Werke dieses Komponisten, war in der Urfassung der Symphonie (1874) noch gar nicht enthalten. Im Gegenteil: Das Scherzo der ersten Version hatte zwar auch den Charakter einer Jagd, allerdings tobte da eher Wotans wilde Jagd durch den Saal als die idyllische Genre-Szene, an die sich die Musikwelt so gern gewöhnt hat.

Die Misserfolge, die Bruckner einstecken musste, hatten ihn freilich hellhörig gegen seine Ratgeber gemacht – und dazu geführt, an seine Es-Dur-Symphonie kräftig Hand anzulegen. Der Ersatz des dritten Satzes ist nur ein Teil der Geschichte. Das groß angelegte Finale, der bis dahin längste Schlusssatz einer Bruckner-Symphonie, musste kräftige Kürzungen und Veränderungen über sich ergehen lassen. Er liegt in drei verschiedenen Varianten vor, die inhaltlich vor allem durch das zerklüftete, jäh abstürzende Hauptthema geeint werden, das aber in jeder Version auf andere Art eingeleitet wird. Vier Jahre nach Entstehung der ersten Fassung der Symphonie hat Bruckner dieses Finale einer eingehenden Revision unterzogen und daraus einen vielleicht als selbstständige Tondichtung gedachten Satz namens „Volksfest“ gemacht (1878).

Die Urfassung des Werks muss aber gehört haben, wer den Werdegang des Symphonikers Bruckner mitverfolgen möchte. Wie auch immer man zur Letztfassung der „Romantischen“ stehen mag, sie stellt eine grobe Verfälschung dessen dar, was ursprünglich geplant war. Die wilden, ungezügelten Gesten der ersten Version verraten uns den „modernen“ Komponisten, im Sinne Richard Wagners könnten wir sagen: den „Zukunftsmusiker“, der im Übrigen das Hauptmotiv, das eingangs im Horn ertönt, konsequent und in kühner Durchführungstechnik durch alle Sätze hindurch verfolgt – der Beginn des Scherzos ist in der ersten Fassung der Symphonie tatsächlich so etwas wie ein Satyrspiel auf den Symphoniebeginn – eine Assoziationsmöglichkeit, die im beliebten „Jagdscherzo“ nicht mehr gegeben ist. Im Sinne einer Annäherung an den Publikumsgeschmack hat Bruckner die ursprünglich deutlich durch alle vier Sätze des Werks führenden thematischen Bezüge geopfert.

Wobei hellhörige Interpreten auch in der von Leopold Nowak edierten Partitur, orientiert an des Komponisten „letzten Willen“ (1888/89), die mehr oder weniger auch die von den Bruckner-Assistenten Josef und Franz Schalk edierten Retuschen enthält, noch genügend musikalisch-aufrührerisches Potenzial entdecken konnten.

Der Sensationserfolg der Uraufführung gab dem Komponisten und seinen Ratgebern ja recht: Die Letztfassung, weitaus weniger kantig und kompromisslos als die ursprüngliche Version, in ihrer von fremder Hand mehrfach adaptierten Instrumentation auch weitaus mehr an Richard Wagners Klangästhetik orientiert, stieß sogleich auf helle Begeisterung.

Wobei manche programmatische Anmerkung des Komponisten beweist, dass er sich zwar formal mit seinen viersätzigen Werken auf den Spuren der Wiener Klassiker bewegt, doch inhaltlich nach wie vor von der Ästhetik der „Symphonischen Dichtungen“ der neudeutschen Schule um Franz Liszt verpflichtet fühlte. Sie stand im krassen Gegensatz zu jener Ästhetik, die vom Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick vertreten wurde: Seiner Ansicht nach war der Inhalt der Kunstform Musik nichts anderes als „tönend bewegte Formen“, also das, was man als „absolute Musik“ bezeichnet. Die Neudeutschen freilich behaupteten, dass seit Berlioz und Liszt keine Musik mehr ohne subjektiven „Inhalt“ auskommen konnte: Sie musste, salopp formuliert, immer eine Geschichte erzählen.

Auch für diese Denkungsart lassen sich Wurzeln bei den Wiener Klassikern finden, bei Joseph Haydn zumal, der einmal behauptet hatte, stets eine kleine Geschichte zu erfinden, bevor er ein Musikstück komponiere.

Von Bruckner lässt sich nun behaupten, dass er trotz seiner Symphonien im Geiste nie ganz „absoluter“ Musiker war, sondern stets zumindest in Bildern, wenn vielleicht nicht in durchgehenden „Programmen“ gedacht hat. Das bestätigen inhaltliche Assoziationen, die er für den Beginn seiner Vierten Symphonie Freunden mitteilte: „Mittelalterliche Stadt – Morgendämmerung – von den Stadttürmen ertönen Morgenweckrufe – die Tore öffnen sich – auf stolzen Rossen sprengen die Ritter hinaus ins Freie – der Zauber des Waldes umfängt sie – Waldesrauschen, Vogelgesang – und so entwickelt sich das romantische Bild weiter.“

Nicht minder pittoresk-naiv nimmt sich sein Verweis auf den zweiten Satz der Symphonie aus, der seltsam querzustehen scheint gegen den trauermarschartigen Puls der Musik, könnte aber gleichzeitig als Hinweis auf eine fehlgeleitete Aufführungstradition gedeutet werden: „Im zweiten Satz will ein verliebter Bub ‚Fensterln‘ gehn, wird aber nicht eingelassen.“ Beim Eintritt des zweiten Themas (in den Bratschen) schreibt der Komponist in der Partitur der Erstfassung ausdrücklich: „Ständchen“.

Mit dem populären neuen Scherzo verband Bruckner eine „Hasenjagd“ – und kommentierte das idyllische Ländler-Trio kulinarisch: „Rehbratel“.

Seinem Schüler Viktor Christ vertraute Bruckner über das Finale der „Romantischen“ an, es schildere „die Schauer der Nacht, die nach einem schön verlebten Tag hereinbrechen“. Der Choral am Ende der Symphonie sei „der Schwanengesang der Romantik“.

Symphonie Nr. 5 B-Dur: 1. Fassung 1875/1876, Umarbeitung 1877/1878

Nimmt man das Wort vom „Schwanengesang der Romantik“ ernst, so würde in Bruckners Schaffen mit der folgenden B-Dur-Symphonie eine neue Ära eintreten – und in der Tat weist die Fünfte einen Zug zum Konstruktiven auf, verbindet – in dieser Hinsicht als Nachfolgerin der drei großen Messe-Kompositionen – barocke und sogar vorbarocke Elemente mit klassischen Prinzipien, vor allem aber mit einer an Wagner geschulten harmonischen Kühnheit. Letzteres garantierte, dass sie ganz eindeutig der „zeitgenössischen“ Musik angehörte. Oder besser: angehört hätte, denn die Wiener Zeitgenossen konnten dieses Werk zu Bruckners Lebzeiten gar nicht kennenlernen. Der Komponist selbst hat sie in ihrer orchestralen Klanggestalt nie hören dürfen. In seinem Beisein fand lediglich im privaten Kreis die Wiedergabe einer Fassung für zwei Klaviere statt.

Seinem Förderer, Kulturminister Carl Stremayr, widmete Bruckner seine  5. Symphonie.
Seinem Förderer, Kulturminister Carl Stremayr, widmete Bruckner seine 5. Symphonie.Österr. Nationalbibliothek

Das ist für die Brucknerrezeption insofern von höchstem Belang, als aus diesem Grund von dieser Symphonie keine vom Meister selbst approbierte, „geschönte“ Spielfassung hergestellt wurde, mit der er seine Hörer hätte überzeugen wollen. Aus der Fünften hat Bruckner die zukunftsweisend aufrührerischen, die modernen Aspekte nicht getilgt, sie auch nicht abgeschwächt – wie im Falle der Dritten und Vierten Symphonie. Die Partitur ist uns überliefert, wie ihr Schöpfer sie geplant und vollendet hat.

Entstanden ist sie zwischen Februar 1875 und Mai 1876. Die Uraufführung – wiederum in einer stark redigierten Fassung der Brüder Schalk – dirigierte Franz Schalk 1894 in Graz. Da war Bruckner bereits zu geschwächt, um die Reise dorthin anzutreten. Er durfte sich aber immerhin über die Berichte vom immensen Publikumserfolg freuen.

Der letztendlich durchwegs positive Grundton der Musik steht quer zu Bruckners persönlicher Lage zur Entstehungszeit, die von Selbstzweifeln, Niederlagen und finanziellen Problemen gekennzeichnet war. Der kühne Schwung, der in dieser Musik herrscht, die grandiose architektonische Organisation mit ihren gedanklichen und motivischen Verbindungen zwischen den einzelnen Sätzen – die Bruckner in der Vierten ursprünglich bereits vorweggenommen hat, aber nicht zuletzt durch Einfügung des sogenannten „Jagd-Scherzos“ dem Publikumsgeschmack zum Opfer gebracht hatte –, sie machen die B-Dur-Symphonie zu einer Besonderheit im Schaffens-Katalog dieses Komponisten.

Gelingt es einem Dirigenten, die Übersicht zu wahren, zählt eine Aufführung dieser Symphonie zu den besonderen Anlässen im Konzertleben. Wie in der Vierten bereits ansatzweise versucht und später in der Achten noch einmal vollkommen erreicht, steuert dieses Werk auf ein krönendes, von kontrapunktischen Finessen erfülltes Finale zu, dessen gewaltiger Schlusschoral in der Aufführungspraxis manchmal von elf zusätzlichen Blechbläsern ausgeführt wird, die auf der Empore platziert sind. Noch Jahrzehnte nach Bruckners Tod taten sich Interpreten und Publikum vor allem mit dem anspruchsvollen, in manchen Passagen ungeheuer modern, geradezu pointillistisch anmutenden, komplexen Fugen-Finale schwer – man brachte ausgiebige Striche in der Partitur an, um schneller zur grandiosen Coda zu gelangen. Bereits der Erstdruck, 1896, noch zu Lebzeiten des bereits schwer kranken Komponisten, war durch eminente Retuschen und die besagte Kürzung im Finale gekennzeichnet – sogar vor der Hinzufügung von Becken und Triangel im Finale schreckten die Herausgeber nicht zurück. Ob Bruckner an dieser Druckausgabe in irgendeiner Form beteiligt war, ist nicht zu belegen. Wahrscheinlich ist es nicht. Die letzten Spuren in seinem eigenhändigen Manuskript sind Eintragungen aus dem Jahr 1878.

Die unverfälschte Version der Partitur liegt erst seit der Ausgabe durch Robert Haas vor, die Jahrzehnte nach Bruckners Tod erschien.

Symphonie Nr. 6 A-Dur: 1879–1881

Die Sechste Symphonie entstand 1879/81. Begonnen wurde sie unmittelbar nach Beendigung des einzigen bedeutenden Kammermusikwerks, des Streichquintetts. Fast auf den Tag genau zwei Jahre später zog der Komponist den Schlussstrich hinter die Partitur. Während der Arbeit an der Symphonie komponierte Bruckner außerdem das Te Deum. Überdies hat die große Umarbeitungsphase in seinem Leben begonnen: Für den Auftraggeber Joseph Hellmesberger schrieb der Komponist ein Intermezzo als Ersatz für das kantige Scherzo im Streichquintett. Und als erste der ausgreifenden Umarbeitungen vorliegender Symphonien die Neufassung des Finales der Vierten.

Mit der Fünften teilt die A-Dur-Symphonie das Schicksal, dass Bruckner sie nie zur Gänze in ihrer Orchesterfassung zu hören bekommen hat. Zu seinen Lebzeiten erklangen im philharmonischen Konzert in Wien lediglich die Mittelsätze unter der Leitung von Wilhelm Jahn. Erst 1899, drei Jahre nach Bruckners Tod, nahm Gustav Mahler die – allerdings stark gekürzte – gesamte Symphonie in die philharmonischen Programme auf. Ungekürzt erklang die Sechste überhaupt erst 1901 in Stuttgart.

Wie im Falle der Fünften hat dieses traurige Schicksal auch sein Gutes: Bruckner hat, da er keine Aufführung selbst veranstalten konnte, die Sechste nach ihrer Vollendung nicht mehr bearbeitet wie die meisten seiner übrigen Symphonien. Die verhältnismäßig knappe Aufführungstradition basiert daher seit der Herausgabe des Originals, 1952, im Rahmen der Gesamtausgabe auf Bruckners unverfälschtem ursprünglichen Notentext.

Das Werk ist ein Stück für Connaisseurs geblieben. Die aber schätzen die oft atemberaubend zugespitzte Dramatik in den raschen Sätzen und das tiefgründige Adagio, das unbedingt in eine Reihe mit den langsamen Sätzen gehört, die in den drei folgenden Symphonien jeweils im Zentrum stehen. Allerdings bringt das Adagio der Sechsten – anders als die Schwesterstücke – drei Themen, die in der Folge variiert und durchführungsartig gesteigert noch einmal erscheinen. Vor allem das trauermarschartige dritte Thema gehört zu Bruckners bewegendsten Eingebungen.

Symphonie Nr. 7 E-Dur: 1881–1883

Die folgende Siebente sollte hingegen besonders beliebt werden – und sicherte dem Komponisten einen der größten Erfolge seines Lebens. Einen Erfolg, der so etwas wie den internationalen Durchbruch des großen Symphonikers markierte. Die Uraufführung im Stadttheater Leipzig durch das Gewandhausorchester unter Arthur Nikisch am 30. Dezember 1884 markierte Bruckners Landnahme in Deutschland. Die Begeisterung für die Novität war groß, München sicherte sich eine Wiederaufführung der Symphonie, die Bruckner im März 1885 miterleben durfte. Dieses Mal dirigierte Hermann Levi und der Komponist triumphierte. Der Münchner Erfolg mag mitgespielt haben beim Entschluss Bruckners, das Werk dem treuen Gönner seines Vorbilds Richard Wagner, König Ludwig II., zu widmen, der die Widmung auch annahm.

Levi war es dann, der eine Spendenaktion ins Leben rief, um die 1000 Gulden Druckkostenbeitrag aufzubringen, die der Wiener Verleger Gutmann vorab eingefordert hatte. Tatsächlich wurde die Symphonie 1885 in Wien unter der Aufsicht von Bruckners Studenten Josef Schalk gestochen. All das mag den Komponisten über seine melancholische Stimmung hinweggetröstet haben, die er noch im Februar 1885 in einem Brief an Nikisch zum Ausdruck gebracht hatte: „Mir ist auf dieser Welt schon alles recht, und ich werde ganz gleichgiltig der edlen Menschheit gegenüber.“

Entstanden war die Siebente Symphonie zwischen September 1881 und September 1883. Das gewaltige Adagio endet mit einem Trauergesang auf Richard Wagner, der im Februar 1883 starb. Zwar war der Satz zu diesem Zeitpunkt bereits fast vollendet, doch beweist ein Brief Bruckners an den Dirigenten Felix Mottl, dass schon die ersten Einfälle zu dieser Musik von Gedanken inspiriert waren, die den Tod des von Bruckner vergötterten Bayreuther Meisters vorausahnten: „Einmal kam ich nach Haus und war sehr traurig, ich dachte mir, lange kann der Meister unmöglich mehr leben, Da fiel mir das cis-Moll-Thema ein.“

Der schmerzliche Ausbruch der Hörner in der Coda des Adagios ist dann Bruckners tatsächlicher musikalischer „Nachruf“ auf den Bayreuther. Bruckner zitiert in diesem Adagio das „Non confundar in aeternum“ aus seinem beinahe zur gleichen Zeit entstandenen Te Deum. Als Hommage an Wagner ist auch der Einsatz der für die Verwendung im „Ring des Nibelungen“ konstruierten Wagner-Tuben zu bewerten. Bruckner war damit der erste, der diese Instrumente im Konzertsaal verwendete. Nie zuvor hatte ein Komponist für ein symphonisches Werk acht Hörner vorgeschrieben – wobei die Hörner fünf bis acht wie in Wagners „Ring“ die Wagner-Tuben zu übernehmen haben, wo sie vorgeschrieben sind. Bruckner instrumentiert dann auch seine Achte und Neunte auf diese Weise.

Extrem ausgeweitet ist auch der tonale Plan der Siebenten Symphonie, die harmonisch weit über die Abenteuer der vorangegangenen Symphonien hinausgeht. Trotz dieser Kühnheiten stieß das Werk sogleich auf Gegenliebe bei Interpreten und Publikum. Bruckner hat die Siebente daher auch nicht mehr umgearbeitet. Das Vertrauen in die Sicherheit, die er gewonnen hatte, wurde allerdings im Fall der folgenden Achten, an der er unmittelbar nach Vollendung der E-Dur-Symphonie zu arbeiten begann, durch den Dirigenten Hermann Levi wieder schwer erschüttert. Siegessicher hatte Bruckner dem Maestro seine neue Partitur übersandt; verzweifelt musste er zur Kenntnis nehmen, dass Levi die Musik schlicht und einfach nicht verstand.

Die Folge war – das letzte Mal in Bruckners Leben – ein akribischer Umarbeitungsprozess, der immerhin die erfreulichsten Folgen zeitigte.

Symphonie Nr. 8 c-Moll: 1. Fassung 1884–1887, 2. Fassung 1887–1890

Man muss bekanntlich sehr berühmt sein, um karikiert zu werden. Bruckners Achte hat es geschafft: Eugen Roth goss sie als Sinnbild der großen, „schweren“, vielen unverständlichen Symphonie in Verse: „Und sieh, woran er gar nicht dachte: Man spielt heut Abend Bruckners Achte.“

Die 8. Symphonie ist „Seiner Majestät dem Kaiser Franz Joseph I.“ gewidmet.
Die 8. Symphonie ist „Seiner Majestät dem Kaiser Franz Joseph I.“ gewidmet.Getty Images

Wir müssen bei der Betrachtung dieser für manche Beobachter größten aller je komponierten Symphonien ein wenig vorausgreifen. Man hat oft darüber spekuliert, warum es Bruckner offenbar unmöglich war, seine ähnlich aufwendig konzipierte Neunte Symphonie zu vollenden. Deren Finale blieb ein gewaltiger, aber vielleicht zu ehrgeizig entworfener Torso. Das Werk sollte „dem lieben Gott“ gewidmet sein, die Dedikation der Achten nahm immerhin Kaiser Franz Joseph huldvoll entgegen – das ging sich – im Gefolge der Widmung der Siebenten an König Ludwig II. von Bayern – gerade noch aus nach dem Maß dieser Welt. Es scheinen ja auch die riesenhaften Dimensionen dieser „kaiserlichen“ c-Moll-Symphonie zwar gewaltig ausgreifend, aber doch fest gefügt. Der Kulminationspunkt des Werks, die sieghafte Steigerung des – an die dritte Stelle der Satzfolge gerückten – Adagios, mündet in triumphale Es-Dur-Klänge inklusive zweier Beckenschläge – ein Effekt, den sich der Komponist sonst völlig versagt hat.

Das Adagio der Neunten mündet hingegen nach gewaltiger Steigerung ins Desaster: Das Ziel wird nicht erreicht, die äußerste Kraftanstrengung stürzt über einer grellen Dissonanz ins Bodenlose. Das Gegenstück in der Achten, für viele Musikfreunde das schlechthin vollkommene Adagio, führt aus äußerster Ruhe über große emotionale Kämpfe zu einem sieghaften Höhepunkt, den zwei (in der Urfassung sind es sogar sechs!) Beckenschläge markieren.

Rund um diesen singulären langsamen Satz ein dramatisches symphonisches Gebilde, zu dem der Komponist selbst – wie in der Vierten – eigenwillige, für manche geradezu verstörende programmatische Bilder geliefert hat. Er spricht von tragischen, ja apokalyptischen Zeichen im ersten Satz (laut Bruckner eine „Todesverkündigung“ und eine gespenstisch tickende „Totenuhr“), er spricht auch von einem „träumenden Deutschen Michel“ im Scherzo. „Scherzo: Hauptthema, Deutscher Michel genannt; in der zweiten Abteilung will der Kerl schlafen, und träumerisch findet er sein Liebchen nicht; endlich klagend kehrt er selber um.“

Und der Beginn des Finalsatzes, der in der Folge zu einem einzigartigen C-Dur-Triumph gesteigert wird, schildert ein höchst weltliches Ereignis: „Unser Kaiser bekam damals den Besuch des Czaren in Olmütz; daher Streicher: Ritt der Kosaken; Blech: Militärmusik; Trompeten: Fanfare, wie sich die Majestäten begegnen. Schließlich alle Themen; wie bei ,Tannhäuser‘ im zweiten Akt der König kommend, so als der Deutsche Michel von seiner Reise kommt, ist alles schon im Glanze. Im Finale ist auch der Totenmarsch und dann (im Blech) die Verklärung.“

Ein symphonisches Pandämonium ist diese Achte jedenfalls. Kennern gilt sie als Bruckners größtes Werk. Das schien bereits die Uraufführung durch die Wiener Philharmoniker unter Hans Richter im Dezember 1892 zu bestätigen. Sie war einer der größten Erfolge im Leben des Komponisten, wenn auch die Kritik, angeführt vom Kritiker-Papst Eduard Hanslick, verhalten ausfiel. Es dauerte denn auch trotz des Uraufführungserfolgs lang, bis sich das Werk im Repertoire durchsetzen konnte. Zu Lebzeiten des Komponisten gab es nur zwei Wiederholungen. New York wartete bis zum Jahr 1909 auf die Erstaufführung, London gar bis 1929 – in den englischsprachigen Ländern stand Bruckner aber auch noch Jahrzehnte nach seinem Tod weit abgeschlagen in der Publikumsgunst etwa hinter Sibelius . . .

Oft fragen sich Bruckner-Freunde, ob die Achte nicht auch in ihrer Erstfassung durchschlagenden Erfolg hätte haben können. Dann wäre vielleicht Zeit genug geblieben, die hochfliegenden Pläne mit dem Finale der Neunten doch zu realisieren.

Aber das impliziert die in der Historie bekanntlich nicht erlaubte Frage „Was wäre, wenn?“. Irritierend jedenfalls, zu welchen Eingriffen in die inhaltliche und formale Struktur seines Werks Bruckner nach der Zurückweisung durch den „Parsifal“-Uraufführungsdirigenten Levi bereit war. Umso wichtiger ist es für Brucknerianer, das in der Neufassung viel gespielte Werk in seiner ursprünglichen Gestalt zumindest kennenzulernen. Wobei, wie der Bruckner-Forscher und -Verleger Alexander Hermann herausgefunden hat, sogar eine „Zwischenfassung“ mit einer dritten Lesart existiert, die vom harten Ringen Bruckners um die endgültige Gestalt seiner Symphonie zeugt.

Da alle drei Versionen bereits für CD aufgezeichnet wurden, haben Musikfreunde die Chance, die Entstehung jenes Werks nachzuvollziehen, das Bruckner letztendlich den vielleicht größten Triumph seiner Laufbahn eingetragen hat. Über die Uraufführung am 18. Dezember 1892 im Wiener Musikverein durch die Wiener Philharmoniker unter Hans Richter berichtete der junge Komponist Hugo Wolf, damals gerade als wortgewandt-spitzzüngiger Kritiker im Wiener „Salonblatt“ tätigt, enthusiasmiert: „Diese Sinfonie ist die Schöpfung eines Giganten und überragt an geistiger Dimension, an Furchtbarkeit und Größe alle andern Sinfonien des Meisters . . . Es war ein vollständiger Sieg des Lichtes über die Finsternis . . . Kurz, es war ein Triumph, wie ihn ein römischer Imperator nicht schöner wünschen konnte.

Eduard Hanslick sah das ganz anders. Längst hatte er sich im Zuge seiner Vorliebe für „tönend bewegte Formen“ auf die Seite von Johannes Brahms geschlagen und meinte über Bruckners längste Symphonie: „Es kann sein, dass diesem traumverwirrten Katzenjammerstil die Zukunft gehört, eine Zukunft, die wir nicht darum beneiden.“

9. Symphonie d-Moll: 1887–1894, Unvollendetes Finale 1895/1896

Die bei aller zeitlichen Ausdehnung respektgebietende formale Dichte der Achten scheint für Bruckner dann zum Maßstab geworden zu sein. Die folgende Neunte, die er nicht vollenden konnte, ist ähnlich angelegt und ähnlich groß dimensioniert. Sie sollte, wie schon erwähnt, „dem lieben Gott“ gewidmet werden und wiederum – unter Anwendung von Beethovens „Durch Nacht zum Licht“-Prinzip – mit einem strahlenden Dur-Hymnus schließen. Dem wäre anders als in der Achten singulärer Status zugekommen, denn der Kopfsatz und das Adagio der Neunten streben Höhepunkten zu, die nicht erreicht werden: In beiden Fällen bricht die Entwicklung ab, beziehungsweise sie stürzt – im ersten Satz – haltlos in sich zusammen. Das Schweigen nach dem Kulminationspunkt des Adagios gehört zu den atemberaubenden Momenten der romantischen Musikgeschichte; der folgende verklärte E-Dur-Schluss nach einem tonal verwirrend, ja irritierend orientierungslosen musikalischen Verlauf, scheint metaphysische Dimensionen anzunehmen und wurde bei den notgedrungen fragmentarischen Wiedergaben dieser Symphonie stets als ein besonders bewegendes Ende gewertet – man will nicht an einen Zufall glauben, dass auch Franz Schuberts „Unvollendete“ mit einem ähnlich ätherischen E-Dur-Schluss abbricht.

Anton Bruckners „Empfang im Himmel“.
Anton Bruckners „Empfang im Himmel“.Getty Images

Zwischen den beiden kolossalen vollendeten Sätzen steht als gespenstisches Intermezzo das Scherzo, dessen Hauptteil sich wie ein Totentanz um die eingangs insistierend festgehaltene Dissonanz in den Bläsern ausnimmt: Es ist der berüchtigte „Tristan“-Akkord, um den sich hier alles dreht; auch im folgenden Adagio ist die verzehrende harmonische Welt von Wagners Musikdrama allgegenwärtig. Wenn Bruckner hier „den lieben Gott“ besingt, dann tut er es mit den Mitteln des sehnsüchtigsten aller Liebeserklärungen, die je auf einer Opernbühne gesungen wurden.

Dass es ihm um eine Hymne an seinen Schöpfer zu tun war, beweist der Auftrag, den Bruckner seinen Schülern auf den Weg mitgegeben hat, als er erkennen musste, dass an die Vollendung des Finalsatzes nicht mehr zu denken war. Die Kräfte hatten ihn verlassen – aber er hatte als populärstes seiner geistlichen Werke das strahlende Gotteslob bereits in seinem Te Deum gesungen.

Er war sich sicher: „Wenn mich der liebe Gott einst zu sich ruft und fragt: ‚Wo hast du die Talente, die ich dir gegeben habe?“, dann halte ich ihm die Notenrolle mit meinem ‚Te Deum‘ hin, und er wird mir ein gnädiger Richter sein.“ Das Te Deum sollte denn auch nach Bruckners Willen nach den drei vollendeten Sätzen seiner Neunten den Schlusspunkt setzen, jenes Werk, in dem der treue Brucknerianer Gustav Mahler in seinem Handexemplar die Worte „für Chor, Solostimmen, Orchester und Orgel“ ausgestrichen hat und stattdessen anmerkte: „für Engelszungen, Gottselige, gequälte Herzen und feuergeläuterte Seelen.“

Das Magazin

Ein Auszug aus dem gemeinsamen Magazin für zwei Jubiläen: 50 Jahre Brucknerhaus, 200 Jahre Anton Bruckner.

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