Der ökonomische Blick

No risk but fun? Welche Rolle „Moral Hazard“ in der Corona-Pandemie spielte

Hat die COVID-19-Impfung einen kausalen Effekt auf das Mobilitätsverhalten?
Hat die COVID-19-Impfung einen kausalen Effekt auf das Mobilitätsverhalten?APA / Comyan / Georg Hochmuth
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Moral Hazard (moralisches Risiko) tritt auf, wenn Individuen nicht die Konsequenzen ihres Handelns tragen müssen und daher leichtfertig riskantes Verhalten eingehen.

Eine Bank tätigt riskante Kreditvergaben, weil sie sich bei einem Zahlungsausfalls auf die Unterstützung des Staates verlässt. Ein Unternehmen spart an Feuerlöschern, da es eine Brandschutzversicherung abgeschlossen hat. Eine Autofahrerin fährt leichtsinnig, aufgrund ihrer Vollkaskoversicherung.

Was ist „Der ökonomische Blick“?

Jede Woche gestaltet die Nationalökonomische Gesellschaft (NOeG) in Kooperation mit der „Presse“ einen Blogbeitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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Moral Hazard (moralisches Risiko) tritt auf, wenn Individuen nicht die Konsequenzen ihres Handelns tragen müssen und daher leichtfertig riskantes Verhalten eingehen. Mit anderen Worten beschreibt Moral Hazard opportunistisches Verhalten aufgrund von ökonomischen Fehlanreizen. Die Kollektivierung des individuellen Risikos verringert den Anreiz zur Schadensbegrenzung, da Handlung und Haftung auseinanderfallen. Dieses opportunistische Verhalten hat negative Konsequenzen für die Vertragspartner und die Gesellschaft, z.B. höhere Kosten oder eine verringerte Wirksamkeit von Sicherheitsmaßnahmen.

Wegweisende Studie zu Sicherheitsgurten

Peltzman lieferte bereits 1975 eine wegweisende Studie zu Moral Hazard in Form von Risikokompensation. Er untersuchte, warum die großflächige Einführung von Sicherheitsgurten in Autos nicht zu dem erwarteten Rückgang von Toten im Straßenverkehr führte. Nach Peltzman kompensierten Autofahrer die höhere Sicherheit aufgrund von Gurten durch risikoreicheres Fahrverhalten. Leben von Autoinsassen blieben zwar verschont, dafür stiegen leichte und tödliche Unfälle mit Fußgängern. Autofahrer nutzen die Vorteile ihrer eigenen erhöhten Sicherheit dank Autogurten, beispielsweise durch erhöhte Geschwindigkeit, ohne die Kosten der verringerten Sicherheit für die Allgemeinheit zu tragen. Während nachfolgende Studien nahelegen, dass Peltzman das Ausmaß dieses Kompensationseffekts überschätzte, ist der Nachweis von risikokompensierendem Verhalten weitgehend unumstritten. 

Moral Hazard kann also dazu führen, dass positive Effekte einer staatlichen Maßnahme zur Erhöhung der Sicherheit für die Bevölkerung durch opportunistisches Verhalten derer, die direkt davon profitieren, teilweise ausgeglichen werden. Auch in der Pandemiebekämpfung könnte Moral Hazard einen Einfluss auf die Effektivität der Maßnahmen gehabt haben. Die Wirksamkeit der Impfstoffe gegen das Coronavirus ist wissenschaftlich belegt. Moral Hazard könnte jedoch dazu beigetragen haben, dass geimpfte Personen aufgrund ihres geringeren Infektionsrisikos, Social Distancing vernachlässigten und damit die positiven Effekte der Impfung verringerten.

Führte die Covid-Impfung zu mehr Mobilität?

Die Frage, ob die COVID-19-Impfung einen kausalen Effekt auf das Mobilitätsverhalten hat, untersuchen zwei Koautoren und ich. Dazu vergleichen wir die Mobilität von zwei Gruppen: Eine wurde während des Untersuchungszeitraums geimpft (Behandlungsgruppe), die andere nicht (Kontrollgruppe). Vor der Impfung der Behandlungsgruppe müssen beide Gruppen das gleiche Mobilitätsverhalten aufweisen, damit wir Mobilitätsunterschiede nach der Impfung tatsächlich der Impfung zuschreiben können. Dafür müssen wir sicherstellen, dass sich die beiden Gruppen nicht in anderen Merkmalen unterscheiden, die ebenso das Mobilitätsverhalten beeinflussen könnten, wie Alter, Gesundheitszustand oder Ansichten zur Pandemiebekämpfung. Würde man zum Beispiel Personen über 65 Jahren, die priorisiert geimpft wurden, mit jüngeren Personen vergleichen, die noch keine Impfung erhalten haben, könnten altersbedingte Mobilitätsunterschiede den Effekt der Impfung auf die Mobilität verunreinigen.

Wir begegnen dieser Anforderung, indem wir eine einzigartige Impfkampagne im Bezirk Schwaz (Frühjahr 2021) als natürliches Experiment nutzen. Aufgrund von Virusmutationen in Tirol stellte die EU 100.000 zusätzliche Impfdosen für alle Einwohner von Schwaz über 16 Jahren zur Verfügung. Während die Impfquote in Österreich zu dieser Zeit bei ca. 10 Prozent lag, führte die Sonder-Impfkampagne in Schwaz innerhalb einer Woche zu einem Anstieg von zehn Prozent auf 70 Prozent. Da somit der Großteil der Schwazer Bevölkerung, unabhängig von ihren Merkmalen, geimpft wurde, können wir den Bezirk Schwaz als Behandlungsgruppe verwenden und mit anderen österreichischen Bezirken (Kontrollgruppe) vergleichen. In unserer Analyse kontrollieren wir zusätzlich um relevante Faktoren, die sich mit der Zeit je Bezirk unterscheiden können, wie die Infektionszahlen, regionalen Lockdowns und dem lokalen Wettergeschehen.

Mobilitätsveränderungen in Schwaz und der Kontrollgruppe (2021). Während beide Gruppen vor der Sonder-Impfkampagne ein sehr ähnliches Mobilitätsverhalten aufwiesen, stieg die Mobilität in Schwaz danach im Vergleich zur Kontrollgruppe.
Mobilitätsveränderungen in Schwaz und der Kontrollgruppe (2021). Während beide Gruppen vor der Sonder-Impfkampagne ein sehr ähnliches Mobilitätsverhalten aufwiesen, stieg die Mobilität in Schwaz danach im Vergleich zur Kontrollgruppe.beigestellt

Unsere Analyse zeigt, dass die erste Impfdosis zu einem Anstieg der Mobilität und somit zu geringerem Social Distancing führte. Abbildung 1 zeigt den prozentuellen Rückgang der Mobilität außerhalb von Wohnflächen in Folge der Pandemie für Schwaz und die Kontrollgruppe. Während beide Gruppen vor der Sonder-Impfkampagne ein sehr ähnliches Mobilitätsverhalten aufweisen, steigt die Mobilität in Schwaz danach im Vergleich zur Kontrollgruppe. Dieses Ergebnis liefert empirische Evidenz für Moral Hazard in der Pandemiebekämpfung und zeigt die Notwendigkeit auf, mögliche Kompensationseffekte bei der Verordnung von Maßnahmen zu berücksichtigen.

Die Autorin

Petra Tschuchnig
Petra Tschuchnigbeigestellt

Petra Tschuchnig (*1997) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dissertantin am Fachbereich Volkswirtschaftslehre an der Paris Lodron Universität Salzburg. Ihr Forschungsfokus liegt auf der Verwendung von Methoden der kausalen Inferenz und Machine Learning im Bereich der evidenz-basierter Gesundheitsökonomie.

Referenzen

Peltzman, S. (1975). The effects of automobile safety regulation. Journal of Political Economy, 83(4), 677-725.

Tschuchnig, P., Hofmarcher, P., & Winner, H. (2024). Vaxxed and relaxed? The causal impact of vaccination on social distancing: Evidence from a unique natural experiment. Work in Progress.

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