Analyse

Renaturierung: Appell ins Leere, Aktivitäten im Hintergrund

Wie politisch gewollt ist es, Renaturierung voranzutreiben? Es geht, wie oft, ums Geld.
Wie politisch gewollt ist es, Renaturierung voranzutreiben? Es geht, wie oft, ums Geld.Wolfgang Simlinger / Imago
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Das Who is who der Biodiversity-Forschung appelliert an die Landeshauptleute, die sich auf den ersten Blick als unbeweglich zu erkennen geben. Im Hintergrund gibt es allerdings auch Anzeichen, die auf Bewegung in der Sache schließen lassen können. Es geht ums Geld.

Naturschutz in Österreich ist seit jeher eine schwierige Angelegenheit, die angereichert ist mit vielen Kuriosa, die innerhalb der EU ihresgleichen suchen. Denn die Kompetenz der Bundesländer führt nicht nur zu unterschiedlichen Naturschutz-Gesetzen, sondern zum Beispiel auch zu neun unterschiedlichen Jagdgesetzen. Das führt in der Praxis dazu, dass einzelne Arten zu unterschiedlichen Zeiten bejagt werden; oder überhaupt zum Abschuss frei gegeben werden. Schutz ist für Arten oft eine Frage des Flügelschlags in die falsche Richtung und für die Politik undurchschaubar.

Daran ändert auch das „Natura 2000“-Konzept nichts, eine Vorgabe der Europäischen Union. Real umgesetzt wird dies durch zwei Richtlinien – eine zum Schutz von Vögeln von europaweiter Bedeutung, die andere zum Schutz von Lebensräumen bedrohter Arten (Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie; FFH). Zum Zeitpunkt von Österreichs Beitritt zur Gemeinschaft 1995 waren die beiden Richtlinien bereits in Geltung.

Viele Vertrags-Verletzungsverfahren

In den Jahrzehnten seither war Natura 2000 immer wieder Gegenstand von Vertragsverletzungsverfahren – über weite Strecken deshalb, weil einzelne Bundesländer es verabsäumt haben, Natura 2000-Schutzgebiete auszuweisen.

Dieser Zugang der Länder scheint sich nun fortzusetzen: Nun geht es um das Renaturierungsgesetz der EU, das ursprünglich eine zentrale Rolle im „green deal“ innehaben sollte. Dieser „green deal“ ist mittlerweile stark verwässert; und auch das Renaturierungsgesetz hat in mehreren Stufen kräftig Federn lassen müssen. Obwohl 19 Mitgliedsländer die Vorlage gutheißen und auch das Parlament zugestimmt hat, besteht im EU-Rat – also im Gremium der für Naturschutz zuständigen 27 Minister – eine Blockade-Situation. Die Vorstöße zur Verwässerung der konkreten Gesetzesvorlage, wie auch des green deals insgesamt, ist von der konservativen Fraktion (EVP) gestartet worden; Unterstützung dazu ist vor allem von politisch rechts angesiedelten Gruppierungen gekommen.

Österreich vertritt in diesem EU-Rat Klima- und Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne), die das Vorhaben des Renaturierungsgesetzes vehement befürwortet. Allerdings hat sie in der Bundesregierung keine Zuständigkeit und ist deshalb durch den Beschluss der Bundesländer gebunden. Alle neun treten dafür ein, gegen das EU-Gesetz zu stimmen. Gewessler hat sich deshalb bei den Abstimmungen bisher zu dem Thema der Stimme enthalten.

In dieser Situation hat sich nun das Who is who der Biodiversitäts-Forschung in Österreich mit einem offenen Brief an die Landeshauptleute gewandt. „Aus wissenschaftlicher Sicht zählt die Verbesserung und Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme zu den dringlichsten Aufgaben der nächsten Jahrzehnte“, heißt es in dem Brief. „Daher ist das geplante EU-Renaturierungsgesetz eine einmalige Chance für die gesamte Europäische Union, weil es die biologische Vielfalt erhöht, den Kampf gegen die rasante Klimaveränderung und ihre Folgen unterstützt und nicht zuletzt auch unsere Ernährung langfristig sichert.“

Ausnahmen möglich, Lieblingsbiene gesucht

Und weiter: „Denn funktionierende Ökosysteme sind die Grundlage für jede Art der Bewirtschaftung und damit zentral für eine erfolgreiche Land- und Forstwirtschaft. Verwiesen sei hier unter anderem auf die unersetzliche Rolle von Bestäubern, der Nährstoffe sowie der Wasserspeicherung und des Erosionsschutzes.“ Bienen und andere Insekten sind auf eine intakte Natur mit hoher Biodiversität angewiesen.

Und so scheint es logisch, dass die niederösterreichische Landesregierung nach der „Lieblingsbiene 2024“ sucht. Dennoch hat in einer ersten Reaktion auf den offenen Brief der Wissenschaftler die Vorsitzende der Landeshauptleute, die niederösterreichische Regierungschefin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), am Montag Abend den Appell zurückgewiesen. Die Position der Länder bleibe unverändert. Sie begründet dies unter anderem damit, dass die Ernährungssicherheit darunter leide, wenn Flächen außer Nutzung gestellt würden. Bauern trügen Nachteil davon.

Dieses Argument allerdings geht ins Leere. Denn der EU-Entwurf sieht vor, dass jedes Mitgliedsland die Möglichkeit habe, außer Nutzung gestellte Fläche wieder bewirtschaften zu lassen, wenn es die Versorgungslage mit Lebensmitteln erfordere.

Die Initiative für den offenen Brief, der von 170 Wissenschaftlern unterstützt wird, ist vom World Wide Fund for Nature (WWF) ausgegangen. Hanna Simons, Programmleiterin des WWF, bezeichnet die Blockade des Renaturierungsgesetzes, eine EU-Verodnung, als „verantwortungslos und gefährlich“. Sie sagt weiter, dass mehr als 80 Prozent der europarechtlich geschützten Lebensräume in keinem günstigen Erhaltungszustand seien. Mehr als die Hälfte der Fließgewässer verfehle die Kriterien für einen guten ökologischen Zustand. Auch der Großteil der Moore ist in einem bedenklichen Zustand. Dazu komme ein hoher Bodenverbrauch, verbunden mit Lebensraumzerschneidung und -zerstörung sowie Verschmutzung. All das erhöhe den Druck auf zahlreiche Ökosysteme noch weiter.

„Maßnahmen nicht in Frage gestellt“

Unterdessen gibt es allerdings auch Anzeichen, dass das Kapitel noch nicht ganz abgeschlossen ist: Zu hören ist, dass es Gespräche vor allem mit SP-Politikern gebe, die entweder selbst Landeshauptleute sind oder in Landesregierungen die Verantwortung für die Naturschutz-Agenda haben. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es freilich nicht; inoffiziell ist zu erfahren, dass die Vehemenz der Ablehnung nicht geteilt werde, aber beim vorliegenden Entwurf finanzielle Abgeltungen zu wenig deutlich festgelegt seien.

Ursula Lackner, SP-Landesrätin der Steiermark, meint, dass die im Entwurf vorgegebenen Maßnahmen „nicht in Frage gestellt werden“, es allerdings offen, „wie die personellen und finanziellen Ressourcen zur Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen sichergestellt werden sollen. Eine wirkungsvolle Umsetzung braucht diesen Baustein, den die Länder aus alleiniger Kraft nicht stemmen können.“ Also: erst Geld, dann grünes Licht.

Offener Brief der Biodiversitäts-Wissenschaftler

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