Wiener Festwochen

Omri Boehms geplante Rede, das Wort Apartheid und faule Eier

Beim Begriff „Apartheid“ wurde das Interview intensiv: Omri Boehm bei Martin Thür.
Beim Begriff „Apartheid“ wurde das Interview intensiv: Omri Boehm bei Martin Thür.(c) Screenshot
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Am Dienstag wird der deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm im Rahmen der Wiener Festwochen eine Rede halten, die schon jetzt für viel Wirbel sorgt. Wird dort am Dienstag jemand Eier werfen, wenn er über „die einzige Friedenspolitik“ spricht?

Selten schaffen es Reden für Kulturveranstaltungen als Topthemen in die „ZiB 2“. Zumal, wenn sie noch gar nicht gehalten sind. Der deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm allerdings war gestern zum Interview am Küniglberg geladen, um Stellung zu beziehen. Stellung zu den Worten, die er verwendet, zu dem Ort, an dem er die diesjährige „Rede an Europa“ im Rahmen der Wiener Festwochen halten wird. Und Stellung zu der heftigen Kritik der Israelitischen Kultusgemeinde an ihm.

Für Aufregung sorgt das Thema schon seit längerem. Die Kultusgemeinde stößt sich daran, dass Boehm eine Rede über den aktuellen Konflikt vor dem Hintergrund des Holocaust hält. „Ausgerechnet jemand, der die Singularität der Shoah in Zweifel zieht“, heißt es von der Kultusgemeinde. Zudem vor dem Shoah-Mahnmal, am Judenplatz. „Boehm verbreitet auch den irren Apartheid-Vorwurf gegen Israel.“ Insgesamt sei es ein „Armutszeugnis für die Wiener Festwochen und die Kulturpolitik“, dass man Boehm an diesem Ort reden lasse.

Der frühere Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Ariel Muzicant, hielt sich am Wochenende nicht zurück. Er kommentierte die Rede im „Kurier“ so: „Wäre ich 30 Jahre jünger, würde ich am Dienstag hingehen – und Eier werfen“. Was wiederum Boehm in der „ZiB 2“ abkanzelte. Er höre hier eine Aufforderung an Jüngere, meinte er. Muzicant solle nicht über Respektlosigkeit gegenüber dem Platz sprechen, wenn er selbst vorschlage, dort Eier zu werfen.

»„Jeder, der die Zweistaatenlösung unterstützt, benimmt sich wie jemand, der die Klimaerwärmung leugnet.“«

Omri Boehm

Boehm, der mit Interviewer Martin Thür übrigens auf Englisch sprach, hielt sich ansonsten nicht mit Worten zurück. Er erklärte erneut seine Sichtweise des Nahostkonflikts und der einzigen Zukunftsvision, die er für realistisch hält: Einen gemeinsamen Staat für Israelis und Palästinenser. Denn die Zweistaatenlösung sei den Palästinensern gegenüber nicht gerecht, vor allem aber sei sie nicht realistisch. „Jeder, der die Zweistaatenlösung noch immer unterstützt, benimmt sich wie jemand, der die Klimaerwärmung leugnet. Die Leute ignorieren die Fakten“, sagte er. Eine Föderation der beiden Völker sei, wenn auch schwer vorstellbar, doch „die einzige Friedenspolitik.“

Und dann ist da noch der Begriff der Apartheid, den Boehm gemünzt auf Israel schon seit vielen Jahren verwendet. Was aktuell für heftige Kritik sorgt, siehe Reaktion der Kultusgemeinde. Thür fragte in der „ZiB 2“ gut informiert und durchaus kritisch nach. Apartheid sei insofern falsch, als man das israelische Regime nicht mit dem Fall Südafrika vergleichen könne, lenkte Boehm ein. Um dann aber an dem Wort festzuhalten, denn es gebe eben sehr unterschiedliche juristische Definitionen von Apartheid.

„Führt das nicht dazu, dass eine sehr komplexe Diskussion mit Begriffen aufgeladen wird, die nur weiter einen Keil zwischen die beiden Gruppen treibt? Etwas, das Sie ja vorgeben, verhindern zu wollen“, sagte und fragte Thür. Boehm meinte daraufhin, Thür solle doch bitte einen Begriff vorschlagen „für einen Zustand, in dem Land von Israel seit mehr als einem halben Jahrhundert kontrolliert wird. Land, das die Regierung in ihrem Koalitionsabkommen als ihr Land beansprucht.“

Geht es nicht um Postkolonialismus?

Schon zuvor hatte Boehm gesagt, dass die „beiden Illusionen“, nämlich die Idee der Zweistaatenlösung und die, dass es keine Vermittlung braucht, in die gegenwärtige Katastrophe geführt hätten. Wer ihm vorwerfe, dass er postkoloniales Denken in den israelischen Kontext einführe, sagte er bereits gegenüber dem „Standard“, sei schlecht informiert. Denn er sei „ein lautstarker Gegner des postkolonialistischen Denkens, theoretisch und im israelisch-palästinensischen Kontext“. Es gehe bei der Kritik in Wahrheit nicht um Postkolonialismus, „sondern die Tatsache, dass ich mit Kant den Universalismus der Aufklärung vertrete. Das ist natürlich legitim, wenn auch besorgniserregend.“

Nachzulesen sind Boehms Ideen über eine Alternative zur Zweistaatenlösung in seinem 2023 erschienenen Buch „Israel – Eine Utopie“. Er plädiert für eine „Republik Haifa“ als Föderation aus Israel und Palästina – in den Grenzen von 1967 – mit gemeinsamer Verfassung und Freizügigkeit, also dem Recht für israelische Staatsangehörige, auch im palästinensischen Staat zu leben, zu arbeiten und Land zu kaufen, und umgekehrt. Amtssprachen sollen in beiden Staaten Arabisch und Hebräisch sein. Besonders führt Omri Boehm an, dass es „gemeinsame öffentliche Gedenkveranstaltungen von Juden und Palästinensern für den Holocaust und die Nakba“ (also die Vertreibung von Arabern aus Israel) geben soll.

Der Vergleich von Nakba und Holocaust

Das ist ein kritischer Punkt in seiner „Utopie“: Er vergleicht ständig die Nakba mit dem Holocaust. So wie die Palästinenser die Shoah als israelisches Trauma zu verstehen lernen sollen, sollen die Israelis die Nakba als palästinensisches Trauma begreifen und ihre „Verdrängung“ aufarbeiten. Abgesehen davon, dass der Vergleich zwischen Holocaust und Nakba unangemessen scheint, gibt es ein reales Pendant zur Nakba: die Vertreibung von Juden aus arabischen Staaten, die von manchen auch als „jüdische Nakba“ bezeichnet wird. Sie erwähnt Boehm kaum.

Laut Informationen der Festwochen wird sich Boehm in seinem Beitrag mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt auseinandersetzen. In der Rede mit dem Titel „Shadows of History, Spectres of the Present: The Middle East War and Europe‘s Challenge“ werde der Philosoph, der kürzlich mit dem Preis für Europäische Verständigung ausgezeichnet wurde, den Leitfragen nachgehen, inwiefern der Konflikt „eine Gefahr für die europäische Identität“ darstelle und wie „eine Verfassungskrise der Europäischen Union“ abgewendet werden könne. Die Aufregung darüber, sei, so die Festwochen, überraschend. (rovi/tk)

Omri Boehm hält seine „Rede an Europa 2024“ am Dienstagabend um 19.00 am Judenplatz. Der Eintritt ist frei. Die Wiener Festwochen stellen >> hier auch einen Stream bereit.

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