Luftfahrt

Die Probleme bei Boeing werden zum Kriminalfall

Laut Boeing haben Mitarbeiter Prüfberichte zum Langstreckenjet 787 Dreamliner gefälscht.
Laut Boeing haben Mitarbeiter Prüfberichte zum Langstreckenjet 787 Dreamliner gefälscht.APA/AFP/Logan Cyrus
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Boeing schafft es nicht aus der Krise: Massive Sicherheitspannen, verschwundene Unterlagen und tote Whistleblower. Nun wurden wohl auch für den Langstreckenjet 787 Dreamliner Dokumente gefälscht. Die Luftfahrtbehörde ermittelt.

Ein Loch im Flugzeug, herabfallende Teile und Flammen aus dem Triebwerk: Was in den vergangenen Monaten in Boeing-Maschinen passiert ist, wünscht sich kein Flugreisender. Die Pannen beim US-Flugzeugbauer häufen sich und enden teilweise dramatisch.

Weltweit fliegen mehr als 200.000 Flugzeuge täglich durch die Lüfte. Mit mehr als 900 Kilometern pro Stunde donnern die tonnenschweren Gefährte durch die Welt. Die meistgenutzten Modelle: Airbus A320 und Boeing 737. Es gibt also kaum eine Fluglinie, die auf Boeing verzichtet.

Trotzdem schafft es das einstige Vorzeigeunternehmen nicht aus der Krise. Anfang der Woche wurden neue Ermittlungen der US-Luftfahrtbehörde FAA bekannt. Boeing-Mitarbeiter haben Prüfberichte zum Langstreckenjet 787 Dreamliner gefälscht. Kontrollen der Verbindung zwischen Rumpf und Tragflächen seien zum Teil ausgelassen und dennoch als durchgeführt eingetragen worden, teilte Boeing mit. Der Konzern betonte, es handle sich nicht um ein dringliches Sicherheitsproblem für die aktuelle Flotte, es müssten keine Flugzeuge auf dem Boden bleiben.

Laut FAA werde geprüft, ob die nötigen Inspektionen durchgeführt worden seien – und die Behörde gehe auch den Fälschungsvorwürfen nach. Der Konzern überprüfe alle 787 Dreamliner auf den Produktionslinien und müsse auch einen entsprechenden Plan für Maschinen ausarbeiten, die in Betrieb seien.

Am Anfang stand ein Loch

Der Beginn der Reihe an negativen Schlagzeilen erfolgte mit der Beinahekatastrophe Anfang des Jahres: Während eines Flugs der Alaska Airlines löste sich in knapp fünf Kilometern Höhe ein Teil des Rumpfs einer Boeing 737 Max 9. Insgesamt 177 Passagiere saßen in dem Flugzeug. Mehrere Menschen wurden leicht verletzt, glücklicherweise waren die Sitze in der Nähe des Lochs aber leer geblieben. Die Angelegenheit rief die US-Flugaufsicht auf den Plan. Bei der Untersuchung stellte sich heraus, dass wesentliche Arbeitsschritte nicht erfolgt und die Dokumentation zu den Arbeiten an dem betroffenen Flugzeug nicht vorhanden waren. Und der Vorfall kam nicht ganz überraschend: Die Maschine hätte sich noch am selben Abend einer Sicherheitsüberprüfung wegen Problemen mit dem Kabinendrucksystem unterziehen sollen. Ingenieure und Techniker der Airline wollten das Flugzeug also aus dem Verkehr nehmen.

Besonders betroffen war zuletzt die Fluggesellschaft United Airlines. Innerhalb weniger Tage brach in einem Triebwerk Feuer aus, eine andere Maschine verlor kurz nach dem Start ein Rad, die Bremsen bei einer weiteren Maschine versagten und ließen das Flugzeug von der Landebahn abkommen. All diese Vorfälle gingen glimpflich aus, keine Menschen wurden verletzt.

Die Sicherheitsprobleme bei Boeing sind insgesamt nicht neu. Boeing machte in der Vergangenheit immer wieder mit Produktionsproblemen, Pannen und Mängeln Schlagzeilen. Beobachter zeigen sich seit Jahren wegen der Produktionsqualität bei Boeing alarmiert. Angeheizt wurde die Diskussionen, nachdem 2018 und 2019 bei zwei Abstürzen fast 350 Menschen gestorben waren. Beide Maschinen waren vom Typ Boeing 737 Max, betrieben von Lion Air und Ethiopian Airlines.

Zwei tote Whistleblower

Seit damals trat auch immer wieder ein ehemaliger Manager beherzt in der Öffentlichkeit auf: John Barnett. Jahrelang informierte der Whistleblower die Öffentlichkeit über eklatante Mängel beim Flugzeugbauer, vor allem im 2010 neu eröffneten Werk in Charleston, in der Produktion des 787 Dreamliner.

Boeing wies die Vorwürfe lang zurück, die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA leitete immer wieder Untersuchungen ein und fand Belege dafür, dass Barnett recht hatte. Im Juni sollte der Prozess Barnett gegen Boeing starten – er hatte das Unternehmen verklagt, da er nach seinem Empfinden aufgrund der geäußerten Kritik aus dem Job gemobbt wurde. Barnett verließ Boeing 2017.

Im März wurde Barnett tot in seinem Pick-up-Truck auf einem Hotelparkplatz gefunden. Bei ihm eine Pistole sowie eine handgeschriebene Notiz. Laut Polizei deutete alles auf Selbstmord hin, die Untersuchung ist jedoch noch nicht abgeschlossen.

Erst vor wenigen Tagen starb der zweite Boeing-Whistleblower: Joshua Dean. Er warnte immer wieder vor Mängeln bei der Herstellung des Flugzeugs 737 Max beim Zulieferer Spirit Aerosystems. Laut US-Medienberichten verstarb er am vergangenen Dienstag, nachdem er vor rund zwei Wochen mit Atemproblemen ins Spital eingeliefert und intubiert wurde. Er litt an einer Lungenentzündung und einer schweren bakteriellen Infektion mit MRSA. Sein Zustand verschlechterte sich rapide, Dean wurde verlegt und zur Unterstützung seiner Organe an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen. Doch die Mediziner konnten sein Leben nicht retten. Die Mutter verlangt eine Autopsie, um die genaue Todesursache festzustellen.

Millionenschwere Entschädigungen

2023 lag der Verlust des Konzerns bei zwei Milliarden Euro. Laut Analysten landet die Nachfrage nach neuen Maschinen derzeit zu zwei Dritteln bei Airbus und nur zu einem Drittel bei Boeing.

Und allein im ersten Quartal verbrannte der Flugzeugbauer fast vier Milliarden Dollar an Barmitteln. Davon flossen mehr als 440 Millionen Dollar an Airlines für Entschädigungen der Startverbote beim Modell 737-9 Max nach dem Zwischenfall im Jänner. Trotz des Verlusts und der hohen Mittelabflüsse lief es für Boeing zumindest finanziell nicht so schlimm wie befürchtet. Mit 3,9 Milliarden Dollar verschliss der Konzern im ersten Quartal eine halbe Milliarde weniger Barmittel als von Analysten erwartet – und nicht so viel wie von Finanzchef Brian West zuletzt in Aussicht gestellt. Der Verlust lag mit 355 Millionen Dollar sogar um 16 Prozent niedriger als ein Jahr zuvor und war nur rund halb so hoch wie von Experten geschätzt.

Sicherheitsprobleme auch bei der Raumfahrt

Die Boeing-Aktie verlor seit Jahresbeginn fast 30 Prozent an Wert. Am Dienstag wurde ihr ein erneuter Dämpfer verpasst, denn der mit Spannung erwartete Start der ersten bemannten Boeing-Starliner-Rakete wurde wegen technischer Probleme erneut verschoben. Der Flug wurde weniger als zwei Stunden vor dem Countdown am Montagabend (Ortszeit) abgebrochen, weil ein Problem mit einem Ventil in der zweiten Raketenstufe nicht rechtzeitig behoben werden konnte, teilte die Nasa in ihrem Livestream mit. Ein neues Datum für den schon mehrmals verschobenen Testflug wurde zunächst nicht mitgeteilt.

Der CST-200 Starliner sollte mit einer Atlas-V-Rakete der United Launch Alliance, einem Gemeinschaftsunternehmen von Boeing und Lockheed Martin, vom Kennedy Space Center in Florida starten und zwei Astronauten zur Internationalen Raumstation ISS bringen. Wie lang es dauern wird, das Problem zu beheben, war zunächst unklar. Ein Termin für den nächsten Startversuch steht noch nicht fest.

Konsequenzen im Management

Die Pannenserie bei Boeing führte bereits zu einem Köpferollen: Der Flugzeughersteller gab Ende März bekannt, dass Konzernchef David Calhoun Ende 2024 zurücktreten würde. Gleichzeitig wurde eine groß angelegte Umstrukturierung des Managements verkündet, und der Verwaltungsratspräsident Lawrence Kellner tritt nicht mehr zur Wiederwahl an. Außerdem wurde der Leiter der Sparte Verkehrsflugzeuge, Stan Deal, in den Ruhestand versetzt. Seinen Platz nahm die vorherige Betriebschefin, Stephanie Pope, ein.

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