Interview

Soll Omri Boehm am Judenplatz sprechen, Doron Rabinovici?

Doron Rabinovici ist israelisch-österreichischer Schriftsteller und Historiker.
Doron Rabinovici ist israelisch-österreichischer Schriftsteller und Historiker. Jana Madzigon
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Die Israelische Kultusgemeinde kritisiert die „Rede an Europa“, die der israelisch-deutsche Philosoph Omri Boehm Dienstag, 19 Uhr, am Judenplatz hält, schwer. Wir fragten den israelisch-österreichischen Schriftsteller Doron Rabinovici nach seiner Meinung.

Die Presse: Was halten Sie davon, dass die IKG und Ministerin Karoline Edtstadler Omri Boehm einen Antisemiten nennen?

Doron Rabinovici: Nichts. Ihn als Antisemiten zu bezeichnen, ist die falsche Auseinandersetzung mit ihm. Außerdem: Reden sind zu kritisieren, nachdem sie gehalten wurden.

Was halten Sie davon, dass Omri Boehm seine Rede am Judenplatz hält?

Es ist nicht notwendig, mit Böhm übereinzustimmen, um zu meinen, dass er nicht gecancelt und nicht mit Eiern beworfen werden sollte. Zu verteidigen ist hier das Recht der freien Rede im öffentlichen Raum. Der Judenplatz ist so einer, er ist kein sakraler Raum. Gleichwohl widerspreche ich vielen von Boehms Meinungen. Es ist etwa falsch, im Zusammenhang mit Israel von Apartheid zu reden, als ginge es im nationalen Konflikt um irgendwelche Rassentheorien und als gäbe es nicht arabische Abgeordnete, Höchstrichter, Diplomaten im israelischen Staat.

Was halten Sie von Boehms immer wieder gezogenen Vergleich des Holocaust mit der Nakba?

Eine Gleichsetzung von Shoah und Nakba führt in die Irre, doch anders muss beurteilt werden, wenn vergleichend analysiert wird, wie beide Völker von ihren je unterschiedlichen historischen Traumata geprägt sind. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zu verstehen, dass die Vernichtungsangst – bereits seit Jahrhunderten – den jüdischen Diskurs beschäftigt, während die palästinensische Erfahrung – bereits seit den Zeiten des osmanischen Reiches und des europäischen Kolonialismus – von Vertreibungen und Landnahmen geformt wurden.

Ist eine israelisch-palästinensische Föderation, wie Boehm sie in seinem Buch „Israel – eine Utopie“ beschreibt, irgendwie realistisch? Und – wäre es überhaupt eine Utopie?

Der Traum vom binationalen Staat ist heute ein gefährliches Wolkenkuckucksheim, denn er negiert das Bedürfnis beider Diasporavölker, ob jüdisch oder palästinensisch, nach eigener Souveränität. Zudem nähren solche kruden Vorstellungen die Phantasien der fundamentalistisch nationalistischen Kreise, das ganze Land nur für sich einnehmen zu können. Nur der territoriale Kompromiss kann eine Friedensperspektive eröffnen. Wer die Existenz des israelischen Staates und der palästinensischen Nation nicht anerkennt, wird den Konflikt nicht lösen.

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