Klimakonferenz

Tipping Point und Tipping Time: Trotzdem Hoffnung bei Klimakonferenz in St. Pölten

Die Versiegelung des Bodens ist einer der Treiber der Ausdünnung der Natur. Es geht auch anders: Das zeigt die Klimakonferenz Tipping Time in St. Pölten.
Die Versiegelung des Bodens ist einer der Treiber der Ausdünnung der Natur. Es geht auch anders: Das zeigt die Klimakonferenz Tipping Time in St. Pölten. Helmut Fohringer/APA
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Schon wieder eine Klimakonferenz. Diesmal aber eine etwas andere: Experten sind dabei, aber diese lassen Erfahrung aus der Expertise sprechen, weniger die Expertise selbst. Diese etwas andere Klimakonferenz in St. Pölten startet am Donnerstag.

„Wir leben in einer Zeit der Kippbewegung“, meint Jakob Brossmann, Kurator der Klimakonferenz der Zivilgesellschaft. „Das ist der Ausgangspunkt.“ Brossmann ist Direktor von Globart, einem Verein für „diskursive Praxis“. Auf Einladung des St. Pöltner Kulturfestivals Tangente hin steht die Klimaerhitzung im Mittelpunkt des Bühnengeschehens, der Diskussionen und von Workshops.

„Tipping Point“ kann in doppeltem Sinne verstanden werden: Einerseits ist dies in der Klimawissenschaft ein großes Thema. Es steht für die plötzliche Verkettung einzelner, beschleunigt ablaufender Klimaphänomene (Abschmelzen von Eis, Salzgehalt des Meeres, Änderung von Meeresströmungen zum Beispiel), die zu einer Reaktion des Gesamtsystems führt, die stärker ausfällt als die Einzelphänomene für sich allein. Aufgrund und angesichts dieser möglicherweise geradezu hereinbrechenden Änderungen kann, andererseits, auch im sozialen Sinne ein „Tipping Point“ erreicht werden.

Auch dies steht im Mittelpunkt der Veranstaltung in St. Pölten, die am Donnerstag um 17 Uhr mit einem Vortrag des gehypten Soziologen Nikolaj Schultz beginnt, der über einen „neuen Existenzialismus für uns und unsere Umwelt“ sprechen wird. Beleuchtet wird dabei die emotionale Situation, in der sich bewusst lebende Menschen befinden, die erkennen, dass der Mensch mitverantwortlich ist, es aus der Mitschuld aber so gut wie kein Entrinnen gibt.

„Bei langem Atem realistisch hoffen können“

Wie gehen „Bewohnerinnen der Gegenwart“, so Brossmann, mit einer sich abzeichnenden Änderung der Lebensumstände um, die in geologischer Zeitrechnung rasch die Erde verändere, während diese Mutation in der menschlichen Wahrnehmung eher langsam über die Bühne gehe? Brossmann ist überzeugt, dass „wir spüren, dass da etwas in Bewegung geraten ist, etwas im Kippen ist. Emotional macht das etwas mit uns.“ Er meint, dass sich auch ein „sozialer Kipppunkt“ abzeichne. Dadurch könne ein Gefühl des Zusammenhaltens entstehen. Es bedürfe wohl eines neuen „Narrativs“, er ortet ein „Potenzial zur Veränderung“.

Im Sonnenpark, dem Veranstaltungsort, sollen einerseits Menschen zusammentreffen, die bereits aktiv sind. Sie können die Gelegenheit nützen, um sich auszutauschen und zu erörtern, was nötig ist, um „realistisch hoffen“ zu können und dabei „einen langen Atem“ zu haben. Sie begeben sich auch auf die Suche nach „rassismuskritischen und dekolonialen Antworten auf die Klimakrise“.

Am Schluss der drei Tage kommen zwei Bestseller-Autorinnen zu Wort. Friederike Otto, die am Imperial College in London forscht und eine der führenden Attributionsforscherinnen ist, wird in ihrem Vortrag weniger über ihr Buch („Klimaungerechtigkeit“) sprechen, sondern vielmehr über Furcht. Wie kann sie überwunden und in positive Energie verwandelt werden, um trotzdem Hoffnung schöpfen zu können?

Daniel Schreiber, auch er ein erfolgreicher Buchautor (zuletzt: „Mit Verlust leben“), beleuchtet, wie damit umzugehen ist, wenn etwa die Vielfalt der Arten verloren ginge. Schreibers These ist, das Verlorene ins Leben zu integrieren.

Förderung des Landes wackelt

Wie stark indessen die Vielfalt von Kultureinrichtungen verloren zu gehen droht, bleibt noch abzuwarten. Globart ist 1997 als Denkfabrik gegründet worden, hat seither zahlreiche Kulturveranstaltungen organisiert und wird von der FPÖ kritisiert. Globart bezieht seit Anbeginn Förderungen des Landes. Die Freiheitlichen haben nun angekündigt, sich gegen diese Förderung zu stellen.

Stein des Anstoßes für die Blauen ist eine Ehrung für Carola Rackete im Jahr 2019, die einen Award zugesprochen bekam, weil sie als Kapitänin der Seawatch III Flüchtlinge vor dem Ertrinken rettete und sie in einen italienischen Hafen brachte, obgleich der damalige italienische Innenminister, Matteo Salvini, dies untersagt hatte.

Rackete war unter Hausarrest gestellt worden, ihr drohte ein Strafprozess. Die zuständige Richterin stellte dann jedoch fest, dass zur Erfüllung ihrer Pflicht – der Pflicht zur Rettung von Menschenleben – auch der Widerstand gegen italienische Vollstreckungsbeamte gerechtfertigt gewesen sei; zudem seien weder Tunesien noch Libyen sichere Häfen gewesen, weshalb das Einlaufen in Lampedusa zu Recht geschehen sei, um die Flüchtlinge zu retten.

Die Streichung der Förderung – etwa 130.000 Euro pro Jahr – träfe Globart massiv. Für heuer geplant sind außer Tipping Time auch die Tage der Transformation im kommenden Oktober.

Hermann Dikowitsch, Leiter der Kulturabteilung der niederösterreichischen Landesregierung, meinte am Mittwoch zur „Presse“, dass in der Sache „gute Gespräche laufen“. Er glaube, dass die Gebarung des Vereins „für heuer gesichert“ werden könne; auch betreffend die weiteren Jahre sei er optimistisch. Und: „Globart leistet eine gute Arbeit und hat auch in der Vergangenheit gute Arbeit geleistet.“

Globart, Veranstalter der Klimakonferenz im Sonnenpark

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