Literatur

Uljana Wolf fährt mit der Sprache Schlitten

Uljana Wolf klopft jeden Satz auf seine ganz nah lauernden semantischen Alternativen ab.
Uljana Wolf klopft jeden Satz auf seine ganz nah lauernden semantischen Alternativen ab.IMAGO/Christoph Hardt
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Uljana Wolf dichtet über das Muttersein und erweckt Lautlandschaften mit Diskurspflänzchen, Rapfrucht und Songsingsang. Mit Hölderlin verfährt sie ganz kühn.

In jedem Moment, in dem wir sprechen, treffen wir eine Entscheidung: für ein Wort und gegen ein anderes, das ebenso möglich wäre. Wir gaukeln uns vor, die Freiheit über diese Entscheidung zu haben, wie wohl die meisten von uns davon ausgehen, dass Mutterschaft eine Entscheidung und folglich organisierbar ist. Beide Gaukeleien werden von Uljana Wolf in ihrem neuesten Gedichtband, „Muttertask“, lustvoll zerfetzt.

Insbesondere die Miniaturverschiebungen entlang von lautlichen Ähnlichkeiten sind es, die ein sprachliches Aha-Erlebnis nach dem anderen provozieren. Die Ein-Wort-Zeile, die umwolkt von weißer Seite mit Erkenntnis aufwartet, ist nicht Wolfs Sache. Hier wird gespielt, schließlich ist die „Muttertask“, also die Aufgabe der Mutter, nur einen phonetischen Zwergschritt vom „Muttertag“ entfernt: eineinhalb Laute, und die semantische Rutsche in diese Gedichtsammlung ist gelegt.

So wird jeder Satz auf seine ganz nah lauernden semantischen Alternativen abgeklopft. Wir steigen mit der Geschichte von Pallas Athene ein, bekanntlich eine „Kopfgeburt“. Es hilft zu wissen, dass laut mythischer Vorlage Zeus die schwangere Metis verschlang und Hephaistos, der Schmied, ihm per Beil den drückenden Kopf spalten musste: Geburtshilfe auf ganz spezielle Weise. „haha, jove cracking a joke. oder zeus, zote reißt“, so klingt dieser ­urpatriarchale Brachialakt in Uljana Wolfs Sprache, die weiter zote und schote, erbse und erbe miteinander verstickt.

Einen Mythos um Medea auffrischen

In diesem Fall darf ruhig gegoogelt werden, um die Kenntnis des Mythos aufzufrischen; bei „camp corinth, medeated“ stützt der kurze Anhang die Lektüre, zeichnet eine Episode aus den Mythen rund um Medea nach und benennt weitere Textquellen – schließlich ist einmal Gesagtes, vor allem aus Politikermund, wirksam und bleibt Welt- und Wirklichkeitsmaterial.  

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