Replik

Der Kuchen ist bereits groß genug

Warum es dringend neue Ansätze braucht und man von der ersten Beyond-
Growth-Konferenz viel lernen kann.

Vom Wirtschaftswachstum wird viel erwartet: Es soll Arbeitsplätze und Lebensqualität schaffen, Armut reduzieren und Umweltschutz ermöglichen. Wirtschaftswachstum, die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP), bezeichnet ein Mehr an verkauften Dingen und Dienstleistungen. Allen ist bewusst, dass ein Wirtschaftssystem, das nur auf Konsumsteigerung ausgerichtet ist, kein Mehr an Lebensqualität bedeutet – an einer breiten Diskussion über Alternativen mangelte es aber bisher.

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Nun fand die erste Beyond-Growth-Konferenz in Österreich statt. Es ging um Wege zu nachhaltigem Wohlstand innerhalb der planetaren Grenzen, die unser Wirtschaftssystem vom Wachstumsdruck befreien: ein Ziel, das von allen demokratischen Parteien während der Eröffnung im Parlament unterstützt wurde. In der „Presse“ gab es gleich drei Artikel zur Konferenz (Gastkommentar von E. Zehetner, Texte von Michael Lohmeyer und Josef Urschitz), auf die wir hier reagieren.

Je größer eine Wirtschaft ist, desto mehr Umweltauswirkungen hat sie. So hat sich der globale Ressourcenverbrauch in den vergangenen 50 Jahren verdreifacht. Dafür tragen reiche Länder wie Österreich den größten Teil der Verantwortung. Grünes Wachstum, die Idee, dass wirtschaftliches Wachstum von Umweltauswirkungen trennbar ist, soll hier Abhilfe schaffen. Das Problem: Es gibt keine Hinweise, dass das funktioniert. Kein Land hat bisher seinen ökologischen Fußabdruck reduziert bei gleichzeitiger Steigerung der Produktion. Es ist daher höchst fragwürdig, ein Wirtschaftswachstum von sieben Prozent pro Jahr als notwendig für effektiven Klimaschutz zu postulieren, wie die von Zehetner angeführte Studie, die von der WKO und IV finanziert wurde.

Auch die Steigerung von Lebensqualität hängt in Ländern mit hohem Einkommen nicht vom Wirtschaftswachstum ab. Dass der Kuchen erst einmal wachsen müsse, um ihn verteilen zu können, ist längst widerlegt. Der Kuchen ist bereits groß genug – nur extrem ungleich verteilt. Während Urschitz und Zehetner wegen aktuell niedrigen Wachstums eine Auseinandersetzung mit Wirtschaften beyond growth unnötig, gar „skurril“ finden, zeigen Zeiten von Inflation und Rezession die negativen sozialen Folgen eines wachstumsabhängigen Sozialsystems. Umso dringender ist es, demokratische Wege aus der Wachstumsfalle zu schaffen.

Wie kann es gelingen?

Die Konferenz zeigte, wie es gelingen kann: Anstatt auf riskante und teure technische Lösungen zu setzen, die unser ressourcenintensives, wachstumsabhängiges System nicht verändern, brauchen wir eine Strategie der Suffizienz. Es geht um die Erfüllung sozialer Bedürfnisse bei minimalem ökologischen Fußabdruck. Dies wurde von einem breiten Spektrum an Teilnehmerinnen und Teilnehmern behandelt, unter anderem AK Wien, Universitätsinstituten, Armutskonferenz und Ökobüro.

Auch die Auseinandersetzung mit dem Thema in der „Presse“ zeigt, das Interesse an Postwachstum wächst: Das aktuelle System bietet keine sozial gerechten und ökologisch nachhaltigen Lösungen. Die Konferenz hat gezeigt, dass es viele Forscherinnen und Forscher, Gestalterinnen und Gestalter gibt, die an innovativen Ansätzen arbeiten.

Lisette von Maltzahn, MSc, ist Sozialökologin, Koordinatorin von Degrowth Vienna.
Katy Shields, MSc, ist Ökonomin, Co-Founder von Doughnut Wien, Autorin von „Tipping Point: The True Story of the Limits to Growth“. Sie sind Co-Organisatorinnen der Beyond Growth Austria Conference 2024.

E-Mails: debatte@diepresse.com

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