Economist-Insider

Europas Asylpolitik, eine „darwinistische Lotterie“

Imago / Simone Boccaccio
  • Drucken

Fast die Hälfte der Personen, die unter dem Titel Asyl nach Europa kommen, habe gar keinen Anspruch auf Asyl, sagt der Migrationsforscher Ruud Koopmans. Österreich wachsen die Folgen der Asylmigration über den Kopf, gleichzeitig gehen uns die Arbeits- und Fachkräfte aus.

             

Jeannine Hierländer
stv. Ressortleiterin Economist

Jeannine Hierländer
 

Guten Morgen!

Zur EU-Wahl treten auch mehrere Kleinparteien an. Am Sonntag war Maria Hubmer-Mogg, Vorsitzende der Partei DNA, zu Gast in der ORF-„Pressestunde“. Sie ist laut „Presse“ eine „Aktivistin aus der Impfkritikerbewegung und wurde durch Videos und Auftritte bei Großdemonstrationen in der Steiermark und auch in Wien bekannt“. Als ich einschaltete, ging es aber nicht um das Impfen, sondern um Asylmigration.

Politisch Verfolgten solle man Asyl bieten, sagte sie. Asyl bedeute aber nicht, dass man durch sechs, sieben Länder bis nach Österreich ziehen dürfe. Außerdem „haben wir auch nur eine begrenzte Aufnahmefähigkeit“, die Infrastruktur sei nicht vorhanden. Eigentlich ein sogenannter No-Brainer, trotzdem brauchte es viele Jahre, bis diese Ansicht auch in der politischen Mitte aussprechbar wurde. Das ließ (rechten) Populisten genügend Zeit, um aus dem Unwillen, das heiße Eisen Migration anzugreifen, überwältigendes Kapital zu schlagen – wie wir bei der EU-Wahl am 9. Juni wieder einmal sehen werden.

Mittlerweile ist klar: Die hohen Asylzahlen und der Familiennachzug wachsen Österreich über den Kopf. Die Schulen und das Gesundheitssystem sind überlastet, und es dürfte erst der Anfang sein. Zumal ein nicht unbedeutender Teil dieser Zuwanderung direkt in das Sozialsystem geht: 2022 erhielten knapp 60.000 Flüchtlinge in Wien Sozialhilfe, das waren 42 Prozent aller Sozialhilfebezieher in der Bundeshauptstadt. In Tirol und Vorarlberg waren es übrigens 45 Prozent, wobei das in absoluten Zahlen natürlich viel weniger ins Gewicht fällt. Es ist sicher nicht vermessen, zu behaupten, dass die sozialen Spannungen in Österreich deshalb zunehmen werden.

Die heutige Asylpolitik sei „eine Art von darwinistischer Lotterie“, sagte der niederländische Migrationsforscher Ruud Koopmans unlängst der „NZZ“: „Das Asylregime ist für die Menschen gedacht, die am meisten Schutz benötigen. Doch fast die Hälfte der Personen, die unter diesem Titel nach Europa kommen, haben keinen Anspruch auf Asyl. Und jene, die am Ende Asyl erhalten, sind eine ausgewählte Gruppe: überwiegend junge Männer, die genügend Geld haben, um die Menschenschmuggler zu bezahlen“, sagte Koopmans. „Das Problem ist nicht, dass wir zu viel Zuwanderung haben, sondern die falsche.“

Das ist der springende Punkt. Während Zigtausende unter dem Titel „Asyl“ und „Schutz“ praktisch unreguliert nach Europa kommen, gehen uns die Arbeitskräfte aus. Das war dann auch Thema in der ORF-„Pressestunde“. Österreich brauche doch Zuwanderung, in vielen Bereichen würden dringend Arbeitskräfte gesucht, warf die Kollegin vom „Profil“ ein. Nur hat das eine wirklich überhaupt nichts mit dem anderen zu tun. Man kann gegen unregulierte Migration sein mit all ihren finanziellen und sozialen Folgen. Und gleichzeitig dafür, dass qualifizierte Migranten auf legalem Weg nach Österreich kommen. 

Zumal das ja auch längst in großem Stil passiert, denn Österreich ist bekanntlich ein Zuwanderungsland. Dazu ein Blick in die Wanderungsstatistik: Rund 262.000 Menschen migrierten im Jahr 2022. Gut 100.000 davon kamen aus der EU, darunter auch das ehemalige EU-Land Großbritannien. Allerdings geht diese Migration direkt in den Arbeitsmarkt: Und so war im Jahr 2023 die Arbeitslosenquote von Bürgern aus den im Jahr 2004 beigetretenen EU-Ländern mit 4,9 Prozent sogar niedriger als die der Österreicher mit 5,3 Prozent. Bei Menschen aus Drittstaaten außerhalb Europas betrug sie 18,7 Prozent. 

Nun könnte man einwenden: Logisch ist die Arbeitslosenquote in dieser Gruppe höher, sie kommen ja auch nicht, um zu arbeiten. Sondern aus humanitären Gründen. Genau das aber ist das Problem: Österreichs Bevölkerung wächst und wächst, und trotzdem fehlen uns die Fachkräfte. „Die Zahl der Erwerbspersonen, also die Summe aus Selbstständigen und mithelfenden Familienangehörigen, unselbstständig Beschäftigten und Arbeitslosen sowie Präsenz- und Zivildienern, wird gemäß Trendvariante der Erwerbspersonenprognose im Jahr 2040 um nur 0,6 höher sein als 2022, trotz eines Bevölkerungswachstums von 6,6 Prozent“, berichtete die Statistik Austria in ihrer Bevölkerungsprognose im November. 

Die „darwinistische Lotterie“ wird unser Arbeitskräfteproblem nicht lösen. Sie zu beenden wird nicht einfach sein – versuchen sollte man es trotzdem.

Herzlich, Ihre

Jeannine Hierländer

Hier können Sie alle Newsletter der „Presse“-Redaktion kostenlos abonnieren.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.