Interview

„Alles fängt mit dem Absteigen vom Traktor an“

„Leider betreiben nur wenige Forscher mit den Landwirten Wissensaustausch auf Augenhöhe, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln“, bedauert Gernot Bodner.
„Leider betreiben nur wenige Forscher mit den Landwirten Wissensaustausch auf Augenhöhe, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln“, bedauert Gernot Bodner.Clemens Fabry
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Bodenexperte Gernot Bodner von der Boku Wien ist skeptisch, wenn Landwirte vom Computer aus Maschinen am Acker steuern, und wünscht sich mehr Forscherkollegen, die aufs Feld gehen.

Die Presse: Sie sind auf die Erforschung von Böden spezialisiert. Die meisten denken dabei vermutlich einfach an Erde. Und Sie?

Gernot Bodner: In meinem Kopf poppt ein sehr lebendiges Bild auf. Man hat oft den Eindruck, das ist etwas Totes. Dem entspricht auch die traditionelle Definition von Humus als toter organischer Substanz. Doch ich denke an das Lebende, an den Kreislauf von Humus. An die Tierchen, die daran knabbern und den Boden als Lebensraum von vielen Mikrolebewesen gestalten. Die essenziellen Funktionen des Bodens kommen aus diesen Lebensprozessen.

In Europa können allerdings wichtige Ökosystemleistungen von 60 bis 70 Prozent der Böden nicht mehr garantiert werden, warnt die EU. Welche sind das?

Die fünf wichtigsten sind: Biomasseproduktion – in der Landwirtschaft ist das der Ertrag –, dann Kohlenstoffspeicher für den Klimaschutz und Sicherung der Artenvielfalt. Der Boden mit seinen vielen kleinen Porenräumen ist ja ein extrem biodiverses Habitat. Außerdem: Wasserspeicherraum sowie Nährstofffunktion.

Was hat unsere Böden so ruiniert?

Vor allem die Landnutzungsänderung über lange Zeiträume. Laut Modellrechnungen zur 10.000-jährigen Geschichte der Landwirtschaft ist bis zur Hälfte des Humus abgebaut worden – durch die Veränderung von Wald oder Wiese mit mehrjährigen Pflanzen hin zu Ackerkulturen mit einjährigen Arten und Brachezeiten. Durch die zunehmende Erwärmung und dadurch schneller ablaufende biochemische Prozesse, durch die intensiveren Niederschläge und die Erosion ist die Herausforderung, den Boden zu regenerieren, umso größer.

Was muss sich ändern?

Die Landwirtschaft ist ein Verursacher, aber damit ebenso ein Hebel für Verbesserungen. Das fällt alles unter die Begriffe regenerative Landwirtschaft und naturorientierte Lösungen. Da herrscht momentan auch größte Aufbruchstimmung, und die Hoffnung ist, dass verlorene Bodenökosystemdienstleistungen wiederhergestellt werden können.

Und wie schaut das aus?

Man probiert, Naturprozesse nachzuspielen und die Bodenmikrobiologie anzukurbeln, um Bodenaufbau zu betreiben. Die wichtigste Stellschraube sind biodiverse immergrüne Agrarökosysteme. Die moderne Landwirtschaft kennzeichnet sich durch Böden, die relativ stark gestört werden und wo nur wenige Pflanzenarten wachsen, die rasch viel Nährstoff brauchen. In der regenerativen Landwirtschaft werden Fruchtfolgen diverser gestaltet. Über Begleitsaaten, Zwischenfrüchte und Mischkulturen wird sichergestellt, dass möglichst über das ganze Jahr wachsende Pflanzen am Feld stehen und Nährstoffe recyceln. Die pflanzliche Primärproduktion, die Fotosynthese, ist der Start von Leben. Durch das Mehr an Kohlenstoffnahrung in immergrünen Pflanzenbausystemen, das über die Wurzel das lebende Netzwerk im Boden versorgt, fördert die regenerative Landwirtschaft die Ökosystemdienstleistungen des Bodens. 

Verstehen wir die Vorgänge im Boden gut genug, um eingreifen zu können?

Es gibt zwei große Herausforderungen. Die eine ist: Wenn wir Agrarökosysteme verändern wollen, brauchen wir kreative Ideen. Und die kommen von Landwirtinnen und Landwirten, die etwas verändern wollen. Deswegen haben wir unser „Bodenpioniere“-Projekt gestartet und bauen ein nationales Netzwerk aus Leuchtturmbetrieben auf. Das sind innovative Landwirte, die Systeme so komplex gestalten, dass wir Forschende selbst staunen. Sie bauen zum Beispiel zwanzig und mehr verschiedene Arten in der Zwischenfrucht gleichzeitig an und säen dann Weizen direkt in die grüne Pflanzendecke. Damit hoffen sie, dass der Boden lebendiger wird und Nährstoffkreislaufe geschlossen werden. Wir Forscher versuchen dann, die veränderten Prozesse zu verstehen und festzumachen, wo die Veränderung zum Positiven gelingt. Ein Bereich, wo sich gerade viel tut, ist die Rhizosphärenforschung.

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