Gastkommentar

Der Michaelerplatz ist ein Skandal!

Fiaker am Michaelerplatz Wien und Blick auf die Ausgrabungen.
Fiaker am Michaelerplatz Wien und Blick auf die Ausgrabungen. (c) Jana Madzigon
  • Drucken
  • Kommentieren

Hier geht’s ums Eingemachte, um die Verschandelung eines Juwels und um Machtmissbrauch. Ein Wutanfall.

Ich bin tatsächlich einer der wenigen direkt „Betroffenen“: Seit 40 Jahren schaue ich aus meinem Wohnzimmer direkt auf den Michaelerplatz. Stolz: Anfang der Achtziger nahm ich zusammen mit der „Notgemeinschaft Innenring“ einen intensiven Kampf gegen das Rathaus (Bürgermeister Gratz) sowie eine zum Teil stupide Phalanx von „Interessenvertretungen“ auf. Erfolgreich: 50.000 Kraftfahrzeuge verloren ihre Rennbahn vom Schottenring bis zur Oper. Der Michaelerplatz war befreit, der Kohlmarkt an die Fußgängerzone Graben angeschlossen.

Hinweis:

Gastkommentare und Beiträge von externen Autorinnen und Autoren wie dieser hier müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

Zeitschnitt: Und jetzt das! Stadträtin Ulrike Sima erklärt den Michaelerplatz zur städtischen „Visitenkarte“ Wiens – und sie hat recht. Was derzeit Platz greift, ist tatsächlich ein Ausweis für die Inkompetenz und Impertinenz des Rathauses und der Bezirksvorstehung des ersten Bezirks. Wer die Gegenwart derart schändet, versündigt sich schon heute an einer künftigen Vergangenheit! (Gilt auch für dich, lieber Denkmalschutz!)

Seit dem Stadtplaner Roland Rainer selig hat Wien diese Kompetenz systematisch auf Beamtenniveau eingeebnet. Nach Lust und Laune schlägt nun die Rote Sima gnadenlos zu. Und dies von ihrem persönlichen „Geschmack“ geleitet. Sie hat entschlossen, beschlossen, basta. Ohne jahrelange Diskussion, wie bei solchen Orten üblich, fährt sie die Bagger aus, gräbt sich ins denkmalgeschützte Herz von Wien und möbliert eine historische Kostbarkeit, als wär’s ihr Schanigarten. Allen Zweifeln und Protesten zum Trotz. Vienne, c’est moi!

Das ist nicht weniger als ein Skandal! Nichts gegen eine zeitgenössische Intervention ins architektonische Erbe bzw. dessen zeitgenössische Ergänzung. Das ist heikel, aber schreibt die Stadtgeschichte fort, setzt willentlich zeichenhaft auf Zukunft. Wien aber hat sich gerade erst mit der Neugestaltung des Neuen Markts blamiert, ein typischer Allsparten­konsensplatz. Es grünt in scheußlichen Betonklötzen, der Donnerbrunnen plätschert beschämt vor sich hin, und gefuttert wird an allen Ecken und Enden. Touristische, sommerliche Stadtgemütlichkeit à la Wien, von Auspüffen und monströsen Entlüftungen angeblasen, ruhend auf einer neuen Riesengarage, die zusätzlich Verkehr anzieht. Im Winter sehen wir uns wieder, ohne Grün, ohne Brunnen, ohne Schanis, zwischen Brettern und Klötzen.

Billa-Fahne wie ein Omen

Aber der Bedeutung nach längst nicht mit dem Stadtjuwel (ja, Juwel!) Michaelerplatz (Visitenkarte, meint Frau Sima!) vergleichbar. Hier geht’s ums Eingemachte, um die Verschandelung eines unvergleichlichen Ambien­tes zwischen Hofburg, Michaelerkirche, Michaelerhaus und dem Prachtbau, der einst das le­gendäre Café Griensteidl beherbergt hat. Als wär’s ein Omen – von einer Billa-Fahne beflaggt!

Sind denn alle wahnsinnig geworden? Und Sima sagt, sie baue halt für die Leut’, nicht für Professoren! Das soll wohl pseudodemokratisches Flair in den Gestank des Missbrauchs von Macht bringen!

Architektur ist eine hochsensible öffentliche Kunst, die uns alle angeht, kein beliebig zu öffnendes Nähkistchen für Dilettanten und -innen. Als positives Beispiel könnte die WU im Prater herhalten, die Seestadt nur ansatzweise. Das innere Wien aber wird seit Jahrzehnten mit unsäglicher Bauunkultur verschandelt: Hilton, Intercontinental, Rechnungshof, Bahnhof Wien Mitte, das Parkhaus am Neuen Markt. Nochmals: Wer die Gegenwart verhaut, wird keine Zukunft haben! Bestenfalls eine Vorvergangenheit! Möge dies auch für die Sim(a)-City-Crew im Rathaus gelten !

Wolfgang Lorenz (*1944) ist Journalist und Kunsthistoriker, war 42 Jahre im ORF u. a. als Programmchef tätig.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.