Theater: Erfrischender Saisonauftakt am Grazer Schauspielhaus

Nestroys "Lumpazivagabundus" und Werner Schwabs "Reigen": engagiert gespielt, intelligent unterhaltend.

Erfrischender Saisonauftakt am Grazer Schauspielhaus

Aufsichtsratssitzung im Feenreich. Eine unguided missile ist einge drungen: der böse Geist Lumpaziva gabundus verführt die Feenkinder zum Lotterleben. Wer kuriert sie? Amorosa oder Fortuna, die Liebe oder das Glück? Grande Dame Amorosa (Gerti Pall) schläft während der Sitzung, Powerfrau Fortuna (Friederike Bellstedt) trumpft auf. Feenkönig Stellaris (Ernst Prassl) möchte nur eins: die Sache schnell vom Tisch haben . . .

Schon der Anfang von Nestroys "Lumpazivagabundus" im Grazer Schauspielhaus erheitert. Regisseur Thomas Reichert erarbeitete eine eigene Fassung des Werks. Er veränderte die Erfolgs-Posse weniger stark als man angesichts der Aufführung annehmen würde. Allerdings milderte er den Dialekt - und es wird viel extemporiert, wie schon zu Nestroys Zeiten. Witzig, dissonant: Matthias Thurows Musik nach Motiven des Original-Kompositionen Adolf Müllers.

Reichert entfernte - nicht zu brutal, mit Augenmerk auf schiere Theater-Wirksamkeit - den biedermeierlichen Lack von den Charakteren: Der brave, treuherzige Tischler Leim (Sebastian Reiß) ist als strebsamer Aufsteiger gezeichnet, der sein einmal verspieltes Glück beim zweiten Mal nicht mehr los lässt. Knieriem (Martin Bretschneider) erscheint als der chronische Verweigerer, ein Schlurf, ein Grübler, stehen geblieben, übersensibel. Seine Angst vor dem Kometen ist echt, deswegen greift er zur Flasche.

Zwirn (Alexander Weise) ist der Repräsentant der Spaß-Gesellschaft. Alle drei agieren mit einnehmender Verve. Was stört, ist, dass manchmal die Text-Deutlichkeit unter dem Tempo leidet - und die wenigen Dialektworte ("Briderl") aus dem Mund der deutschen (?) Akteure fremd klingen. Vor allem im Kontrast zu den Älteren - wie Otto David (Hobelmann) - die das Nestroy-Idiom beherrschen. Trotzdem: Die jungen Darsteller prunken mit sprühender Lebendigkeit, Körper-Kunst, Beweglichkeit, die älteren mit Souveränität. Die Brüche zwischen den Fraktionen, Generationen sind auf diese Weise im Spiel weniger deutlich als sonst.

Zu erleben ist ein Szenario voller Glücksritter und Glücksritterinnen, die ihre wirtschaftliche Notlage mit einer Mischung aus Resignation und Improvisations-Talent kaschieren. Einer hat die Hand in der Tasche des anderen. Der Lottogewinn ist die Hoffnung aller. Mit Gespür hat Reichert das Stück an die Gegenwart heran balanciert.

Wer Regietheater gar nicht leiden kann, wird das kaum zu würdigen wissen, wer Modernisierungen prinzipiell gelassen gegenüber steht, dem dürfte dieser launige, junge, lustige Nestroy sehr gefallen.

Nach der Premiere des "Lumpazi" am Freitag auf der Hauptbühne des Grazer Schauspielhauses folgte Samstag auf der Probebühne "Der reizende Reigen nach dem Reigen des reizenden Herrn Arthur Schnitzler", vielleicht eines der besten Stücke Werner Schwabs. Bei der Uraufführung in Zürich gab es Probleme mit den Schnitzler-Erben,

1997 war das Werk im Wiener Schauspielhaus zu sehen. In Graz inszenierte Cornelia Crombholz, wieder mit einem ganz wunderbaren, jungen Ensemble: Dominik Warta, Martina Stilp, Martin Horn und Friederike von Stechow. Sie beherrschen das komplizierte "Schwabische" derart flüssig, dass es fast völlig natürlich klingt.

Crombholz wiederum schaffte es, Schwab von Tristesse zu befreien und ihm herzliches Gelächter zu gewinnen, unter anderem indem sie für die groteske sprachliche Akrobatik des Dichters eine kongenial passende Spiel- und Bewegungs-Komposition erfand. Das Geschehen in einer vielseitig nutzbaren Polster-Kiste (Bühne und Kostüme: Floran Barth) wirkt dadurch quasi surreal-real.

Alles in allem scheint in Graz der Saisonbeginn heuer mit mehr Lust gefeiert zu werden als in Wien.

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