Viel Bier und Theater-Tobak

Karlheinz Hackl als John Osbornes "Entertainer" im Wiener Burgtheater: teils schaurig, teils würdig, in einer vehementen Inszenierung von Karin Beier.

Noch jeder Burgtheater-Führung der letzten Jahrzehnte bereitete die Stückwahl für das große Haus Kopfzerbrechen. Neben Klassikern werden eben auch "Reißer" gebraucht. Wie etwa John Osbornes "Entertainer", 1957 uraufgeführt mit Laurence Olivier in der Hauptrolle, bei der deutschen Erstaufführung in Hamburg spielte ihn Gustav Gründgens. In Wien war das Stück zuletzt 1994 in der Josefstadt zu sehen - mit dem 2000 verstorbenen Joachim Kemmer.

Auf den ersten Blick geht es um den Niedergang der Music-Hall, einer Mischung vieler Unterhaltungsformen, Revue, Kleinkunst, Variet©, im Mittelpunkt ein singender, tanzender, Witze erzählender, extemporierender Conf©rencier.

Osborne (1929 bis 1994) benützte diesen effektvollen Rahmen für eine Parabel über den Niedergang einer Gesellschaft, die politisch und wirtschaftlich immer mehr Halt und Zusammenhalt verliert. Politischer Hintergrund des Stückes waren die Suez- und die Zypernkrise, im allgemeinen aber der Zerfall des British Empire. Regisseurin Karin Beier rückt diesen Aspekt in die Gegenwart, den Background der Aufführung bilden die eben wieder virulenten Kämpfe im Nahen und die Großmachtinteressen im Mittleren Osten.

Die Aufführung ist mit Kenntnis arrangiert, spielt in einem Theater und folgt einer gewöhnlich 13teiligen Music-Hall-Nummern-Revue, in die der familiäre, von Alkohol reichlich befeuerte Big Bang zum Wochenende eingebettet ist.

Dieses Ambiente hat seine Tücken, es verleitet dazu, das Geschehen bis zum Platzen aufzuladen und aufzublasen. Denn viele Akteure gibt es nicht, und im Grunde hat nur ein einziger eine wirklich tolle Rolle: der Entertainer Archie Rice. Er sollte ein erstklassiger Schauspieler sein, der einen miserablen Schauspieler spielt.

Karlheinz Hackl hat seine liebe Mühe mit diesem Paradoxon. Er bietet einen atemberaubenden, auch atemberaubend raumgreifenden und geräuschvollen Balanceakt zwischen Strizzi-Charme und rückhaltloser Peinlichkeit. Das Hin-und-her-Springen zwischen beidem bannt immerhin die Aufmerksamkeit, manchmal wirkt es faszinierend, meistens aber schmerzhaft.

Als Grandseigneur und Vater Billy Rice erhebt Martin Schwab seine wohl lautende Stimme und zeigt eine Komposition von skurriler, freilich auch etwas artifizieller Komik.

Mikros und Barbusige

Die Frauen behandelte Karin Beier mit mehr Sympathie als der Autor. Barbara Petritsch als Archie Rices Gattin Phoebe: Zwar hochblond, gräßlich geschminkt, mit pinkfarbenem Kleid, macht sie auch das Scheitern der Liebe und ihrer Integrationsversuche in dieser disparaten Familie deutlich.

Alexandra Henkel als Jean Rice und Raphael von Bargen als Frank Rice zeigen unterschiedliche Variationen des reinen Toren: diese Kinder suchen nach ihren eigenen Wegen, sie schnellen immer wieder, wie an einem Gummiband gehalten, zurück ins Elternhaus, wo sie mit in Zuneigung verpacktem Hohn überschüttet werden, Jean für ihr politisches Engagement gegen Rüstung, Krieg, Frank für seine Wehrdienst-Verweigerung.

Am Ende ist der viel geliebte Bruder Mick als Soldat gefallen, Archies Vater Billy gestorben - vor seinem letzten Versuch, zur Bühne zurückzukehren, um den bankrotten Sohn zu retten. Archies Bruder William, ein Anwalt (Paul Wolff-Plottegg), offeriert als Fluchtweg die Emigration nach Kanada. Graham (Michael Cucciuffo), gleichfalls ein Mitglied des Establishments, will seine Verlobte Jean heimholen.

Wende nach der Pause

Ziemlich plötzlich wechselt die Aufführung nach der Pause ihren Stil, rundet und klärt sich. Im Rückblick wird die Überzeichnung mit reichlich Mikrophon-Getöse und nacktem Fleisch verständlicher, unter den verschmierten Alkohol-Karikaturen kommen die Menschen hervor - und sie interessieren. Was soll man also sagen - als Resümee? Daß Osbornes zornige, gesellschaftskritische Poesie und Agitation gegen Imperialismus, Klassenschranken in zuviel Dekor und Kunstlärm verpackt und mit zu hoch gedrehtem Tempo serviert wurde. Daß es ein Nachteil ist, wenn man bei einer Theateraufführung erst in den Büchern nachschlagen muß, um die genaueren Zusammenhänge zu begreifen.

Und daß ein großspuriges Szenario und ein dominanter Protagonist nicht reichen für eine überzeugende Aufführung. Weil eine Familien-Tragödie, so kraß und pathetisch sie auch sein mag, ohne intime Momente nicht funktioniert.

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