Harry Potter: Avada Kedavra, Phoenix

Potter 5: Harry, 15, an der Schwelle vom Kind zum Erwachsenen. Ein episches Buch - und einfach gut.

Aus dem alten Ägypten stammt der Phönix. Er verbrennt sich selbst und steht wieder auf: Phönix aus der Asche. Das Bild passt auch zu Harry Potter. "The Order of the Phoenix" heißt der fünfte Band - am Wochenende erschienen.

104 (!) Minuten brauchte eine 15jährige Schülerin in Manchester, um das 766-Seiten -Werk zu lesen. Imposant. An sich ist Potter eine Kreation für Geduldige. Eltern, die dieser Tage ihren im Englischen nicht genug versierten Kindern eine Nacherzählung liefern wollen, haben es gar nicht so leicht.

Ein Resümee muss notwendig banal ausfallen. Der Reiz liegt im Lesen selbst. Potter 5 beginnt in jener Situation, die viele Schüler nun bald erleben: Harry liegt in einem Blumenbeet im Garten des Hauses der Dursleys, wo er wieder einmal die Sommerferien verbringen muss. Ihm ist fad. Onkel, Tante und Cousin Dudley sind fies wie immer. Als Harry nächtens mit Dudley in Streit gerät, überfällt die beiden ein Dementor.

Dieses Wesen saugt Menschen die Seele und jedes positive Gefühl aus dem Leib und bewacht gewöhnlich das Gefängnis von Azkaban. Harry verjagt den Dementor mit seinem Zauberstab, das dürfte er nicht, Zaubern ist für Minderjährige außerhalb der Schule streng verboten. Er wird vom Ministerium für Magie vorgeladen. Dort tobt ein Machtkampf. Harrys Mentor Dumbledore, der auch das Internat Hogwarts leitet, wo Harry Schüler ist, rückt mit einer Kompanie von Kollegen aus, um seinen Schützling zu retten. Der böse Voldemort bedroht die Welt und Potter, dessen Eltern er getötet hat. Der ganze Prozess dauert vorerst sieben Bände lang, auf diese ist die Serie angelegt, an Band 6 arbeitet Joanne K. Rowling bereits.

Ein Leser hat mich darauf hingewiesen, dass Harry Potter ein geschlossenes System ist, das man nur begreifen kann, wenn man Band für Band liest, was nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene tun. Das ist richtig, doch wo immer man diesen Harry anpackt, er ist schlicht ein interessantes Buch.

Vorausgesetzt man mag Episches. Aber schließlich sind Victor Hugos "Les Mis©rables", Thomas Manns "Zauberberg", die Bibel oder, um etwas etwas Esoterisches zu nehmen, "Die Prophezeiungen von Celestina", auch lang. Dabei ist Potter kurzweilig - und in allen Facetten ausgefeilt. Da ist zunächst die Zauberwelt, die Polarisierung zwischen dem Sichtbaren, den Muggles, den Menschen und den Magiern, die sich ihrerseits in böse und gute gliedern. Die Autorin kennt sich aus mit Alchimie, auch in Kulturgeschichte. Biografien der Figuren sind nachzulesen in einem Lexikon (leicht zu finden über die Google-Suchmaschine).

Lautmalerisch, die Namen: Die Gringotts, Kobolde, welche in ihrer unterirdischen Bank die Schätze der Zauberwelt hüten, leiten sich ab von dem englischen Wort ingot (Barren). Lord Voldemort, ein Wortspiel mit Malvolio (böser Wille), Malocchio (böser Blick)? Seine Massenvernichtungswaffe heißt Avada Kedavra (Abrakadabra?) . . .

Ein weiterer Punkt: die Pädagogik. Zauberer-Kinder müssen ihre Hände waschen, Ordnung halten, rechtzeitig ins Bett gehen. Sie werden von ihren Lehrern, aber auch von Ahnen, Geistern, lebenden Bildern überwacht. (Wie zum Beispiel der Graf in Kleists "Käthchen von Heilbronn"). Die Potter-Society wirkt so anarchisch wie repressiv. Wie die englische Klassen-Gesellschaft; doch diese Art Schranken gibt es auch anderswo. Harry wehrt sich gegen Zumutungen diesmal energischer, kecker als zuletzt.

Alles Humbug, Geschäft, SciFi, Fantasy? Mag sein. Fans sehen wohl in Potter ein plausibles Zeichen-System in einer Welt, in der viele vor der Rationalität in die Esoterik flüchten, vor den Anforderungen von Leistung, Materialismus, Multikultur in ein Buch, das sie begreifen. Auch: weil es aus Kinder-Sicht geschrieben ist - wie andere britische Kids-Hits (Pooh-Bär, Alice.)

J. K. Rowling, "Harry Potter and the Order of the Phoenix", 766 Seiten, Bloomsbury-Verlag, 16 Â, deutsch ab November 2003.

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