Pop

Kritik - Blur: Gestern ist heute vorbei!

Die einstigen Britpop-Helden Blur zeigten in Wien, was im Pop von heute zählt: der Blick nach vorne.

Rührend, wie sich Blur-Sänger Damon Albarn bei "Girls & Boys", dem unvermeidlichen und etwas lustlos runtergespulten Hit aus der Blütezeit des Britpop, ans Herz griff, den Arm in die Höhe streckte, den Kopf langsam nach hinten fallen ließ. Verheimlichen konnte er allerdings nicht, dass ihm diese Phase aus den mittleren Neunzigerjahren derzeit nur wenig am Herzen liegt. Eine im Publikum hochgehaltene Union-Jack-Flagge wirkte vor allem anachronistisch - ein nostalgisches Überbleibsel aus jener Zeit, die Blur einst mit einem lautstarken "Woo hoo" hinter sich gelassen hatten.

Dass der Abend im Gasometer nicht zum selbstgefälligen Veteranen-Kränzchen wurde, dafür sorgte schon die Songauswahl: nur wenige Genre-Klassiker, kein "Parklife", kein "Country House", kein "Charmless Man". Und jene alten Songs, die sie doch spielten, wurden schnell und routiniert von der To-do-Liste gestrichen: Das wunderbare "Beetlebum" folgte gleich dem satten Groove der Eröffnungsnummer "Ambulance", das erwähnte "Girls & Boys" sorgte als dritte Nummer für wildes Treiben im Saal.

Dabei zeigte sich rasch: Nach dem Abgang von Graham Coxon ist Albarn auf der Bühne auf sich alleine gestellt. Ohne seinen kongenialen Gitarristen hat er alle Hände voll zu tun, die Fäden in der Band zu ziehen und den Kontakt zum Publikum zu halten. Und er hat zumindest zwei Probleme. Sie stehen links und rechts von ihm. Auf der einen Seite: Der Coxon-Ersatz Simon Tong, ein Gitarrist wie eine Schlaftablette, der brav seinen Job tut, aber tunlichst bemüht ist, nicht den Funken einer Emotion aufglühen zu lassen. Auf der anderen Seite der stoische Bassist Alex James, den Blur selbst erst einmal wach spielen mussten.

Albarn nahm's gelassen, grinste schelmisch und holt sich eben für "Tender", den beseelten Höhepunkt des Abends, den dreiköpfigen Backgroundchor zu sich in die erste Reihe: "Come on, come on / Love's the greatest thing": Minutenlang wurde da jener Hauch von Intimität und Zusammengehörigkeitsgefühl zelebriert, den Blur sonst durch das Auslassen ihrer alten Mitgröhl-Hits konsequent verweigern.

Nur einmal noch, beim hinreißenden "Out Of Time", gelang es, diesen magischen Gleichklang zwischen Band und Publikum zu wiederholen: Bei so viel Leidenschaft lächelte sogar Bassist James. Im harten Kontrast dazu ihr einziger Welthit: Im Eiltempo peitschen Blur die einst so atemberaubenden und nach wie vor zwingenden zwei Minuten von "Song 2" durch. Ähnlich energiegeladen: das   la Punk von der Bühne gespuckte "We've got a file on you".

Neben einigen ihrer besten Balladen ("The Universal", "End Of A Century") dominierten die neuen, in Marokko eingespielten Songs - und erwiesen sich auch live nicht als die befürchtete "Weltmusik", sondern schlicht als Musik von Welt: berührend, schlau, tiefschürfend.

So sah man eine Band im Umbruch, die sich selbst permanent neu erfindet. Beim oft ein wenig unmotiviertem Zappen durch die eigene Geschichte zeigte sich deutlich: Von Blur kann man nicht alles und schon gar nicht alles zugleich haben. Umso wertvoller: Diese Band spürt nach bald 15 Jahren noch den Drang, Neues zu entdecken. Und das ist es, was im Pop von heute zählt.

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