Von Kunstfertigkeit gefällt, stirbt diese Sappho in Schönheit

Janusz Kica versuchte eine interessante Neudeutung von Grillparzers "Sappho" in der Josefstadt - und entsorgte das Hauptmotiv, die Liebe. Ein Mißverständnis.

Welch schöne, edle Aufführung! Zu Beginn wandelt die Dichterin Sappho wie der Magier David Copperfield in der Vertikale über die Rückwand der Bühne: "Vom Himmel durch die Welt zur Hölle", wie es bei Goethe heißt. In einem luft- und lichtlosen Bunker, der an hitzeabweisende südländische Häuser, aber auch an einen Kerker erinnert, spielt die neue Josefstädter "Sappho" (Bühne: Kaspar Zwimpfer).

Als Farben dominieren Rot, Schwarz, Weiß. Die Blüten prangen, der Dolch blitzt, Klaviermusik untermalt, filmisch, diskret dramatisierend . . .

Der polnische Regisseur Janusz Kica ist ein treuer Diener seiner Herren Peter Stein und Andrzej Wajda, für die er gearbeitet hat. Von Stein nahm Kica das Analytische mit, von Wajda die stumme Beredsamkeit in Blicken und Gesten.

Kühn haben Kica und die Dramaturgin Isabella Suppanz hinein gegriffen in Grillparzers lyrisches Kunstwerk: Die elegische Sappho erscheint als biestig-herrische Karrierefrau, die schnell grantig wird, wenn es nicht nach ihrem Kopf geht.

Sie teilt fest aus - und ein, nämlich sich selbst, die anderen und die Emotionen. Auch ihr Liebhaber Phaon wirkt rationalisiert: vom musischen Groupie zum virilen Sportler, der sich auf sich selbst verläßt und gar nicht erst den Versuch wagt, sich in Sapphos Leben wohlzufühlen. Melitta ist genau jenes blöde Kind, von dem Sappho redet; wenn die Kleine schüchtern aufbegehrt, bekommt sie von allen eins drauf.

Nun sind zwar diese Facetten in Grillparzers "Sappho" wohl enthalten, doch die Hauptsache, die Liebe, geriet darüber ins Hintertreffen. Ebenso die Theaterwirksamkeit: Auch ein Stück, das der Zuseher kennt, will er erzählt bekommen - und nicht das schlechte Ende schon am Anfang spüren.

Ungewohnt amüsant

In Kicas Version sind Sappho, Phaon, Melitta Gestrandete, die sich energisch bis verzweifelt an die Trümmer ihrer Existenz klammern. Das trifft in gewisser Weise auch auf diese optisch höchst ansprechende Inszenierung zu, die allerhand Motive aufblättert, ohne zum Kern vorzustoßen. Mag sein, daß dies eine gelungene Allegorie auf die moderne Gesellschaft ist; im Theater läuft dergleichen auf Besserwisserei hinaus.

Die Josefstadt stellte ein feines Ensemble für diese Aufführung. Ulli Maier als Sappho ringt spürbar um authentischen Ausdruck, doch zuviel steht ihr dabei im Wege, vor allem der im bürgerlichen Ambiente dieser Inszenierung fremde hehre Grillparzer-Ton.

Die Art und Weise, wie diese Sappho mit ihrer Gegnerin umspringt, hat etwas Boulevardeskes und provoziert folgerichtig Gelächter. Bei Sappho wird gelacht! Gut. Aber wozu? Heiko Raulin ist ein attraktiver, selbstsicherer Phaon, den das Gesumse an Sapphos Hof nervt. Sonst noch was? Sonst nichts. Silvia Schuhs verhuschte Melitta weckte weniger Mitleid als irritiertes Augenrollen: Oh Gott, Kind! Ihren schönsten Moment hat dieses Mädchen, wenn es die verlorene Heimat wie eine Fata Morgana schildert. Was man verlor, wird doppelt und dreifach viel wert.

Hermann Schmid ist ein würdiger Rhamnes, Marianne Nentwich (Eucharis) und Peter Moucka (Landmann) wirken fehl am Platz in diesem Klassiker: Typen statt Figuren.

Theaterstücke sind auch Hüllen, Wundertüten. Was wollte Grillparzer mit "Sappho"? Kollisionen von Kunst, Liebe, Leben beschreiben? Die Unterdrückung aller drei im Metternich-Staat? Die Flucht aus der schnöden Welt in die Phantasie? Die Sehnsucht schöpferischer, musischer Menschen nach dem Tod?

Gedanken-Marathon

Oder ging es auch um private Angelegenheiten? Ärger über besitzergreifende Weiblichkeit, leeren Wahn des Ruhms, Skepsis, ob dem Menschen hienieden, überhaupt ein Glück beschieden? Das Programmheft weiß einiges über die Hintergründe zu erzählen, der grüblerische Dichter selbst wie dessen Kollegen Hofmannsthal, Joseph Roth.

Die Methode, ein Werk auch aus der Biographie seines Schöpfers zu deuten, ist nicht neu - und kann funktionieren: zum Beispiel bei Raimunds "Verschwender" in der Josefstadt. Bei "Sappho" lief das nicht so reibungslos. Die Kunstfertigkeit entlarvte sich als beinahe tödliche Waffe gegen die Kunst. Operation gelungen, Patient tot. Dennoch: freundlicher Applaus.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.