Graffiti als Lebensgefühl: Die Prosa der Sprühdose

Dimo Dimov
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Wenn man genau hinsieht, ist die Stadt ein Bilderbuch. Akira Sakurai-Karner, Gründer des japanisch-österreichischen Künstlerkollektivs "Ichiban", im Gespräch über das Lebensgefühl der Graffiti-Sprayer.

Hat man sie einmal entdeckt, findet man immer neue. Schablonengraffiti, „Pochoirs“ oder „Stencils“ genannt, sind die konsumentenfreundlichen Verwandten der Tags (gesprayten Schriftzüge) und geben einen Einblick in die bunten Ansichten jenseits der offiziellen Medienlandschaft. Die Farbe wird durch eine Schablone an die Wand gesprüht und bekommt so eine exakte Form. „Frankreich war jahrelang die Hochburg der Schablonentechnik“, so Norbert Siegl vom Institut für Graffiti-Forschung. „Heute sind Pochoirs in der ganzen Welt verbreitet. Schablonenkünstler werden eher toleriert als Tagger, deren Schriften oft als unverständlich oder hässlich empfunden werden.“ Akira Sakurai-Karner kennt sich mit beiden Graffiti-Formen aus. Er ist Gründer des Künstlerkollektivs „Ichiban“ („Nummer eins“ auf Japanisch), Spezialisten für „visuelle Kommunikation“, egal ob Graphic Design, Animation, Illustration, Mode oder Street-Art.

Graffiti ist eine der ältesten Kommunikationsformen, was macht es neben allen anderen Medien heute noch so reizvoll?

Der Ursprung könnte in der Hiphop-Philosophie liegen: „Schaffe dir eine neue Identität und schau, wie weit du damit kommst.“ Einerseits ist es Kommunikation innerhalb der Szene, zwischen Menschen, die ähnliche künstlerische Interessen haben, anderseits ist es der Wunsch, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden.
Warum haben Sie sich nicht für eine klassische Künstlerkarriere mit offiziellen Ausstellungen und Repräsentation durch eine Galerie entschieden?
Das Klischee des Künstlers passt nicht wirklich zu uns. Das Elitäre, Abgehobene liegt uns genauso fern, wie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Szene. Wir sehen uns auch nicht als Agentur oder als reine Künstler. Wir wollen lediglich gestalten, einfach tun, was anfällt und Sinn macht. Die Sprühdose als Medium war immer ausschlaggebend – die Möglichkeit, schnell große Flächen zu gestalten sowie die technische Umsetzung zu meistern, war anfangs sehr interessant. Graffiti war von der Bildsprache her für viele Leute etwas Neues, die meisten staunten, wenn sie sahen, was alles mit der Dose möglich ist.

Es scheint, als sei Schablonengraffiti zuletzt verstärkt in Wien zu sehen. Sehen Sie einen Trend?

Schablonengraffitis sind zu wertvoll, um sie als Trend abzuwerten. Menschen, die sich diesem Medium verschrieben haben, sehen ihre Passion als zeitlos an. Mitschwimmer wird es immer geben, das kann für diese Kommunikationsform hilfreich sein oder auch das Image trüben. Die Arbeiten von Banksy sind etwa inspirierend.

Geht es um den Reiz des Verbotenen? Was halten Sie von Flächen, die für Graffiti extra freigegeben werden?

Ein Verbot reizt jeden Menschen, einen mehr, den anderen weniger. Neugierde kann eine sehr starke Motivation sein. Ein Vorteil besteht darin, Unerwartetes möglich zu machen. Im Hintergrund sollte jedoch stets der Wunsch nach Kreativität stehen. Etwas zu erschaffen und nicht zu zerstören, sollte die Basis einer Handlung sein. Legale Wände sind wichtig für technische und kreative Weiterentwicklung. Dort gibt es Ruhe und öffentliche Akzeptanz, die Arbeit steht im Mittelpunkt. Ein weiterer Punkt ist der Austausch innerhalb der Szene, auch ein direkter Kontakt mit Nicht-Graffiti-Malern ist dort möglich.

Wie wichtig ist Ihr Multikulti-Netzwerk?

Das Netzwerk macht eigentlich alles aus. Es ist die Essenz der Hiphop-Kultur, die wir bewahren. Im Team denken und lernen – der zwischenmenschliche Aspekt im Entstehungsprozess gibt die notwendige Kraft und definiert die Qualität. Das Endprodukt, wobei es nicht relevant ist, worum es sich dabei handelt, ist der Spiegel des Teams und dessen Harmonie. Ohne die Menschen, die Ichiban mitdefinieren, wären wir nicht da, wo wir jetzt sind.

Auf der Homepage steht, Ichiban schwindelt immer eine Message ein – was heißt das?

Es geht hier nicht um Parolen oder „Claims“, sondern vielmehr um eine Lebenseinstellung. Wir definieren für uns bestimmte Werte, wie die Liebe zum Detail oder den ständigen Versuch, bestehende Sichtweisen neu zu interpretieren. Wir müssen uns in jedem Projekt menschlich und technisch weiterentwickeln, stets in Bewegung bleiben, niemals zufrieden sein. „Optimismus“ ist ein gutes Schlüsselwort. Der Glaube daran, sich immer weiterzuentwickeln, als Künstler und als Mensch. Auch wenn damit ein „Scheitern“ nicht ausgeschlossen ist.

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