Klimt, RAF und der Kannibale von Wien

Michael Ornauer
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Was ist gute Kunst? Diese Frage scheint heute wieder dringlich. Die „Presse“ befragte Experten zu einem Testbild.

Ratlosigkeit herrschte bei einer überfüllten Vernissage in der Wiener Galerie Konzett im November. Die Filmfirma „Sabotage“ hatte zu einer Ausstellung des weitgehend unbekannten Malers Michael Ornauer geladen. Und niemand wusste so recht: Kunst oder Kitsch, gut oder schlecht? Was ist passiert? Aktuelle Kunst ist so populär – und wir so ratlos wie noch nie. Dabei müssten wir seit dem 19.Jahrhundert gewohnt sein, kein Regelwerk zur Verfügung zu haben. Dennoch ist die Fülle an Büchern, die zu dem Thema 2007 erschienen ist, auffällig, reicht von „Und das ist Kunst!?“, „Was ist gute Kunst?“ bis „Plötzlich diese Übersicht. Was gute zeitgenössische Kunst ausmacht“.

Michael Ornauer, der gerade sein Diplom an der Akademie der bildenden Künste macht, sei dafür gedankt, dass er sein Bild „31 Tage“ zur Verfügung stellte, um es, wie im globalisierten Kunstbetrieb heute durchaus üblich, per Mail an Experten zu schicken. Für ihn sei die Antwort auf die Frage nach guter Kunst „begrifflich nicht fassbar und schon gar nicht erfahrbar“. Trotzdem wünschte er viel Glück beim Unterfangen. Das sollte man im Ohr behalten und diese Seite nicht als Schlachtbank sehen, sondern als ein Beitrag zur Orientierung, den die „Presse“ mit wechselnden Teilnehmern fortführen will.

Eva Maria Stadler, Kuratorin Belvedere


"Der Student der Akademie der bildenden Künste hat in diesem Bild mehrere Themen und Sujets, die er im letzten Jahr bearbeitet hat, zusammengeführt. Im Mittelpunkt steht Sonja Knips, Gattin des Wiener Großindustriellen Anton Knips, porträtiert von Gustav Klimt 1898. In den Händen hält sie ein Schild: "Seit 31 Tagen Gefangene". Weitere Figuren sind der "Kannibale von Wien" als rotes zotteliges Wesen und der kahle "Placido Domingo" im Mönchsgewand. Ornauer überlagert mehrere Horizonte und Bildebenen, führt historische und gegenwärtige Motive zusammen. Inwieweit dies produktiv ist, wage ich zu bezweifeln. Der Versuch, Sonja Knips als Entführte der RAF zu porträtieren, indem sie mit demselben Schild gezeigt wird, wie Hanns Martin Schleyer auf dem nach dem 8.Oktober 1977 um die Welt gegangenen Foto, greift zu kurz. Auch die anderen Figuren sind aus dem Kontext genommen und erscheinen in einer privatmythologisch aufgeladenen Szenerie, die allein durch den malerischen Gestus zusammengehalten wird.
Wie wohl das in Mischtechnik gemalte und collagierte Bild durchaus auf Themen setzt, die in der zeitgenössischen Malerei zur Diskussion stehen, sind die inhaltlichen Verbindungen zu beliebig und allzu subjektiv, vermögen keinen markanten Beitrag zu einer Auseinandersetzung mit einer aktuellen kritischen Bildproduktion zu geben."

Philipp Konzett, Galerist und Sammler


"Bei der Bewertung von Kunst spielen viele Komponenten eine Rolle - die wichtigste ist das unmittelbare Gefallen, der persönliche Zugang. Ein Künstler muss irgendwo anfangen, sich entwickeln - selbst Franz West wurde in jungen Jahren verkannt, heute ist er einer der Bestverdiener in der Szene österreichischer Künstler. Bei Ornauer kann man das engagierte Herausarbeiten malerischer Aspekte bemerken - er ist am Beginn seiner Karriere und wird sich noch verändern, manches dazugewinnen, manches ablegen. Ein entscheidender Prozess im Kunstschaffen."

Max Hollein, Direktor Schirn-Kunsthalle, Städel


"Das Werk ist nicht ohne gewisse (kalkulierte) malerische Effekte, deswegen aber noch lange nicht gute Kunst. Insgesamt wirkt es vielmehr wie ein Amalgam unterschiedlicher malerischer Einflüsse (von Odilon Redon bis Neo Rauch) und relativ spröde zusammengeschraubter Bildfelder und -themen. Vom roten Farbabdruck der Malerhand links unten bis zum sonnenbestrahlten Wölkchen oben rechts ein Sammelsurium von kleinen Stilideen und mehr oder weniger verschlüsselten und deutelnden Narrationen. Leider nichts für mich."

Edelbert Köb, Direktor Mumok


"So wenig wie völlig originäre und autonome Kunst gibt es ein solches Kunsturteil, sprich: ein geniales oder intuitives: Beurteilen heißt Relationen herstellen, heißt wertend vergleichen, mit Vorhergegangenem (Kunstgeschichte) und gleichzeitiger künstlerischer Produktion. Die Qualität des Urteils ist von der Dichte des Bezugnetzes abhängig bzw. von Wissen, Bildung, Erfahrung und der Fähigkeit zur Synthese.
Grundsätzlich lehne ich es deshalb ab, anhand einer einzigen Abbildung über ein Bild bzw. einen Künstler zu urteilen. Die Qualität von Malerei erschließt sich nicht aus einem Computerausdruck und komplexe Botschaften nicht über ein Werkfragment, sondern erst aus der Kenntnis einer ganzen Biografie.
Weil ich es aber für richtig und notwendig halte, die vernachlässigte Qualitätsfrage zu stellen, vor allem aber die Kriterien zu diskutieren, statt immer nur über Preis und Unterhaltungsfaktor von Kunst zu reden, wage ich ein schnelles "Vorurteil" - mit Einschränkungen. Stilistisch lässt sich Ihr "Testbild" als gefälliger Allerweltsrealismus klassifizieren. Sonst: eine großformatige, geklitterte Montage von Szenerien, Landschaften und Figurationen in der Art der neuesten Neuen Malerei, ein geschichtstriefender Symbolismus bzw. Allegorismus, der kein Klischee zwischen Peter Doig und der Dresdner Schule auslässt, ohne aber deren malerische Qualität zu haben."

Stella Rollig, Direktorin Lentos Kunstmuseum

"Ein Gemälde aufgrund einer Reproduktion zu beurteilen ist fahrlässig. Farbe, Oberfläche, Details sind dem Blick nicht zugänglich. Niemand, vor allem nicht der Künstler selbst, sollte diesen Versuch zu ernst nehmen. Dies dennoch als spielerisches Wagnis, Position zu beziehen:
Kunst, die ihre eigene Rätselhaftigkeit demonstrativ vor sich her trägt, stehe ich misstrauisch gegenüber. Dieses Bild ist so ein Fall. Was sollen die Versatzstücke bedeuten? Sicher ganz viel Tiefsinniges, wird suggeriert. Eine historische Figur als Terrorismusopfer, eine Gestalt mit "Höret die Signale"-Geste. Dazu kunstimmanente Verweise auf die Geschichte der (romantischen) Landschaftsmalerei, gestische Abstraktion, das Prinzip der Collage. Ein Potpourri aus dem Baukasten der neuen Trend-Malerei. Zu vieles, das zu wenig Zusammenhang ergibt, um den Sog einer Faszination zu erzeugen."

Arne Ehmann, Galerie Ropac


"Kunst zu sammeln und sich mit zeitgenössischer Kunst in der Freizeit zu beschäftigen hat breite Bevölkerungsschichten erfasst. Das ist generell ein erfreuliches Phänomen, das noch vor 15 Jahren undenkbar gewesen wäre. In dieser Atmosphäre ist der Markt für Orientierung schaffende Ratgeber natürlich groß. Kaum jemand, der mit der Kunstwelt in Berührung kommen will, kann es sich leisten, nicht wenigstens das Grundvokabular kunsthistorischer Basisfragen zu kennen. Die Kategorien ,gut' oder ,schlecht' benutzen wir etwa angesichts der vielen Portfolios, die bei uns täglich eingehen, jedoch nicht. Ein gewisser faschistoider Unterton haftet solchen Beurteilungen noch immer an. Im Juli 1937 wurde in München - wie jeder weiß - eine Ausstellung eröffnet, die auf solchen Kategorisierungen aufgebaut war.


Das vorliegende Bild zu beurteilen ist schwer, ohne das Original zu kennen. In surrealistischer Manier, die ein wenig an die Leipziger Schule erinnert, werden Elemente in Beziehung zueinander gesetzt, die zuweilen einer klassischen Bildtradition entsprechen. Die Ikonografie des Horchenden und des geopferten (?) Lamms reicht bis in die Antike zurück. Bei einem Kanu denkt man sofort an die Ikonen von Peter Doig und Alex Katz. Das Bild offenbart einen Künstler, der sich der Tradition der Malerei sehr bewusst ist und mit ihr spielt. Die Einbeziehung von Schrift - in Form einer Paraphrase des berühmten Schilds des von Terroristen festgehaltenen und später getöteten Hanns Martin Schleyers - ist spätestens seit Joseph Beuys ein häufiges Element in der Malerei. Die Aktivitäten der RAF sind ein Thema, das seit einigen Jahren von jungen Künstlern häufig aufgegriffen wurde. Das Bild entpuppt sich stilistisch und motivisch als typisches ,Kind seiner Zeit', während zu diskutieren wäre, ob es eine wirklich eigene Handschrift offenbart und inwieweit der Bezug auf den Terrorismus der 1970er über einen beliebigen Rekurs auf ein ,Modethema' hinausgeht."

Florian Steininger, Kurator BA-CA Kunstforum

"Mir sind Michael Ornauers frühere Arbeiten bekannt - seine leicht verstörenden "Soldatenbilder". Sie wirken auf mich eigenwillig, aber authentisch. Sie polarisieren sehr stark, aber ich finde, dass mit ihnen der Künstler eine mutige einzelgängerische Position eingenommen hat, abseits des Mainstreams. Auch die Peinture hat Dichte und Kraft. Nun hat der Maler einen komplett neuen Weg eingeschlagen. Seine Bilder sind wie eine Collage angeordnet, in manchen Passagen besticht die intensive Malerei, wie etwa im Baummotiv; Passagen des Himmels etwa zeugen hingegen von einem hastigen und oberflächlichen Pinselduktus. Dieser fragil flächige Eindruck wird durch den Collagecharakter der gesamten Bildanlage zusätzlich unterstrichen. Unruhe und Offenheit strahlen aus, vielleicht auch deshalb, weil der junge Künstler noch auf dem Weg zu seinem neuen Stil ist - ein Übergangsbild?"

Elisabeth Leopold, Sammlerin


"Erstens sollte man das Bild im Original sehen. Zweitens liegt dem Ganzen wohl eine Geschichte zu Grunde, die man kennen sollte. Drittens ist die Art und Weise der Darstellung für mich ein bisschen zu gefällig. Die Malerei ist, soweit erkennbar, gut, aber nicht neu, so hat man schon vor rund 90 Jahren gemalt, wie man z.B. an Herbert Boeckls ,Sizilianischer Landschaft`, 1924, sehen kann. Resümee: ein gefälliges Bild, eine Geschichte - ein ,Märchen` - illustrierend, gemalt wie vor 80, 90 Jahren. Nichts Neues. Wir warten in der zeitgenössischen Kunst immer noch auf das ,Genie`, auf einen Künstler, der etwas schafft, an dem die Kunstgeschichte nicht vorbeigehen kann, dessen Schaffen über seine Zeit hinaus noch Gültigkeit hat."

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2008)

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