Geschichte/Genetik: Kam die Syphilis mit Kolumbus?

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Forscher finden Bestätigung für die Hypothese, die Krankheit stamme aus der Neuen Welt. Aggressiv wurde sie allerdings erst in Europa.

Seitdem Amors Köcher auch vergiftete Pfeile führt, ist in das Verhältnis der Geschlechter zueinander ein fremdartiges, feindseliges, ja teuflisches Element gekommen, infolge wovon ein finsteres und furchtsames Misstrauen es durchzieht, und der mittelbare Einfluss einer solchen Änderung in der Grundfeste aller menschlichen Gesellschaft erstreckt sich auch auf die übrigen geselligen Verhältnisse." So bedauerte der - gesellige? - Arthur Schopenhauer einen Wendepunkt der Geschichte, 1530 hatte ihn der italienische Arzt Girolama Fracastoro in einem Lehrgedicht beschrieben und benannt („Syphilis oder die französische Krankheit"), 1495 war er mit Schrecken gekommen: Söldner des französischen Königs Karl VIII. - darunter viele Spanier - hatten Neapel eingenommen, nach Soldatenart gefeiert und gehaust und sich anschließend über halb Europa verstreut.

Sterne? Strafe Gottes? Irdische Rache?

Wann sie wohin kamen, wurde im Namen der Krankheit dokumentiert: Für die Italiener war sie „mal francese", für die Franzosen „mal napolitain", nach England kam sie als „French Pox", nach Deutschland als „Franzose", nach Russland endlich als „Polnische Krankheit". Wo sie wirklich herkam, weiß bis heute niemand, und wodurch sie verursacht wird, weiß man erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts: vom Bakterium Treponema pallidum. Francastoro hatte es im Grundsätzlichen geahnt, er vermutete irgendwelche Überträger („Samen"). Aber er war seiner Zeit zu weit voraus, manche interpretierten die Syphilis astrologisch, für andere war sie eine Strafe Gottes. Wieder andere sahen irdische Rache: 1493 war Kolumbus von seiner ersten Fahrt zurückgekehrt - er war nicht immer fein umgegangen mit den Indianern -, vermutlich hatten sich Mitglieder der Mannschaft angesteckt. Die „Kolumbus-Theorie" kam bald nach dem ersten Auftreten der Krankheit, andere Forscher vermuteten hingegen, es habe die Syphilis auch früher schon in Europa gegeben („präkolumbische Theorie"), geklärt ist es bis heute nicht.

Das liegt am Erreger: Treponema pallidum hat vier Varianten, die verschieden übertragen werden und in verschiedenen Regionen verschiedene Krankheiten verursachen: T. pallidum pallidum bringt Syphilis durch Sex, die anderen befallen Kinder über Hautkontakt und heißen „bejel" (T. endemicum, heiße, trockene Klimata), „yaws" (T. pertenue, heiße, feuchte Klimata) und „pinta" (T. carateum, Südamerika, nur mit Hautfärbung verbunden, alle anderen machen die bösen Schwären). Deshalb ist nicht einmal klar, ob ein Bakterium in verschiedenen Umwelten verschiedene Verhaltensweisen hat oder ob es vier verschiedene Bakterien sind.

Klarheit könnten Gen-Analysen bringen, aber auch sie sind schwer, teils deshalb, weil sich das Bakterium nicht kultivieren lässt, teils deshalb, weil die Varianten sich kaum unterscheiden. Trotzdem wagt ein Gruppe um Kristin Harper (Emory University, Atlanta) einen Stammbaum: Demnach begann alles mit der Variante, die „yaws" macht, sie ist ein uralter Begleiter der Menschheit, den sie auf ihrer Wanderung aus Afrika mit sich nahm und der über Ostasien nach Amerika kam. Dort haben ihn die Spanier abgeholt, aber dort hatte er nicht die tödliche Wucht, die er nach seiner Ankunft in Europa entwickelte - aus irgendeinem Grund wurde er aggressiver, vielleicht lag es am Klima, vielleicht am fehlenden Immunschutz der Bevölkerung: „Aus unseren Daten erhält die Kolumbus-Hypothese neue Bestätigung" (PLoS Neglected Tropical Diseases, 15. 1.).

Aber die Daten sind eher dünn, PLoS stellt der Publikation einen Kommentar bei, der die Schlussfolgerung in Zweifel zieht. Wie auch immer: Von Europa ging die Syphilis um die Erde und ist, obwohl heute heilbar - mit Antibiotika - weit verbreitet. In den 80er- Jahren lief ein Ausrottungsprogramm der Weltgesundheitsorganisation WHO, dann kam eine noch tödlichere Geisel: HIV. Seit 2007 plant die WHO wieder die Ausrottung.

Medizin und Literatur

Syphilis kommt in drei Schüben: erst schmerzlose Geschwüre am Infektionsort, dann schmerzhafte überall, dann, viel später, bis zu 50 Jahren nach der Infektion, Zerrüttung des Körpers und/oder Gehirns. Aber sie hat die Literatur inspiriert, vielleicht, weil viele Künstler/Intellektuelle an ihr litten, Heine etwa und Baudelaire, möglicherweise auch Nietzsche.

Als „bleiche Venus", als „Volk der Lebeschräubchen" verkörpert das verursachende Bakterium (Treponema pallidum) in Thomas Manns „Doktor Faustus" den Teufelspakt. Die Symptome (Kopfweh etc.), die dem Tonsetzer Adrian Leverkühn zugeschrieben werden, entsprechen der „Neurolues". Diese soll sich tatsächlich manchmal in kurzzeitiger Steigerung der mentalen Fähigkeiten der Infizierten äußern. Die finale Demenz Leverkühns ist an Nietzsches Ende angelehnt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2008)

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