Hrdlicka: „Überleben ist mir wichtiger als Kunst“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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In seinem "Presse"-Interview zum 80. Geburtstag spricht der Bildhauer über seine Kämpfe, Provokationen und sein dramatisches Leben.

Das Interview am späten Vormittag beginnt mit einer groben Enttäuschung. Die Nacht davor war hart, ich hatte eindeutig die falsche Bettlektüre: Alfred Hrdlickas gemeinsam mit der Autorin Susanne Ayoub geschriebene und gezeichnete Aufarbeitung des „Falls Flora“. Ein grässliches Buch. Diese Künstlerinszenierung mit der Tragödie einer Schwächeren, dieser detailliert geschilderte Selbstmord einer Geliebten unter vielen, die Hrdlicka mit in den Tod nehmen wollte – durch Gift im Cognac. Und deren eigenes künstlerisches Werk, ihre Zeichnungen, er danach im Affekt alle zerstört haben will.

Und dann das. Eine Bitte hinter seinem Rücken – kein Wort über den Fall Flora, das Thema existiere einfach nicht. Ein schwerer Verzicht, mein ganzer Kopf ist voll von dem Drama einer Nacht und mehrerer Leben. Aber der Respekt siegt. Da sitzt er auch schon vor mir, in seiner Homebase, der Galerie Hilger. Hrdlicka weiß, was er seinem Galeristen verdankt, rund 20 Ausstellungen sind heuer geplant, „die ganze Clique hier hat immer zu mir gehalten“. Unter Obhut „der Damen“ erhole er sich auch langsam, sagt er und lässt sich ein Glas Wodka bringen.

Neben ihm sitzt Angelina, seine zweite Frau, die wohl letzte bekennende Muse dieser Zeit, ihr Markenzeichen: der strenge seitliche Mädchenzopf. Sie bewacht und behütet ihr Genie gleichzeitig, schön ist das irgendwie zu beobachten. Gebrechlich, fast zart wirkt der einstige Berserker neben ihr. „Ich habe ein ziemlich dramatisches Leben geführt, mit Liebe und Tod“, wird er später einmal zugeben, zu „intim“ will er aber nicht werden.

Wo das Bohren und Brechen begann

All diese Weiber, all diese Eifersucht und diese Leidenschaft, diese hunderte Liter Wodka, die über die Jahre in seinen Körper geflossen sein müssen, diese irre Energie, die seine Steinarbeit, seine medial ausgetragenen politischen Kämpfe und Provokationen verschlungen haben. Ein Wunder eigentlich, dass dieser Mann in zehn Tagen seinen 80.Geburtstag erleben wird.

Das Paar wohnt nur eine Treppe höher, direkt über der Galerie in einer ehemaligen Zahnarztpraxis. Fast ein Treppenwitz in Hrdlickas Biografie, hat er als Jugendlicher im Zweiten Weltkrieg doch eine Ausbildung als Zahntechniker bekommen, bevor er aus politischen Gründen untertauchen musste. Jetzt ist er irgendwie wieder dort, wo alles begann, das Bohren und Brechen.

Aber genau das hat er schon Jahre nicht mehr gemacht, erzählt er jetzt. „Noch einmal Steinbildhauen ist eine Illusion.“ Aber zeichnen tut er noch. Und politisieren: „Ich habe mich nie zum Antikommunismus herabgewürdigt, das wäre sehr despektierlich.“ Ein wenig bitter wirkt er, sehr konzentriert, manchmal reißt der Gesprächsfaden. Aber seine Stimme ist stark und sonor, er ist guter Dinge, sagt er. Nach ein paar Jahren, in denen er „untergetaucht“ war, kehre er jetzt nämlich wieder „zurück in den Kunstbetrieb“. Ein Resümee? Das will er, wenn überhaupt, erst nach dem Geburtstag ziehen. Seine Professuren, vier in Deutschland, eine in Wien, waren es, haben viel Zeit eingenommen, „ich war überberufen“, „ein Unterrichtstier“. Den Schülern scheint es gefallen zu haben: „Ich hab' immer gesagt, ich bin ein Heiratsinstitut, kein Meisterlehrer.“

Zwei Leitsprüche hatte er immer: „Alle Kunst kommt vom Fleisch“ und „Kunst ist Arbeit“. Heute ist ihm nur noch eines wichtig, das Überleben. „Das ist mir wichtiger als meine Kunst.“ Einen Grabstein hat er trotzdem schon: „Der Tod und das Mädchen“ steht am Grab seiner ersten Frau Barbara am Zentralfriedhof, dort will auch er einmal ruhen, mit 99 vielleicht. „Ein obszöner Stein“, freut er sich. Angelina hasst ihn. Sie wird ihn ertragen müssen. Die Jüngere wird sein Erbe einmal verwalten, sie wird ihn überleben – „was ich ihr eigentlich gar nicht vergönn'“, sagt Hrdlicka. Am liebsten tät er sie mitnehmen. Das sagt er als Liebeserklärung.

Vieles war zwiespältig in Hrdlickas Leben, vieles tat und sagte er der Provokation wegen. Etwa: „Die Amerikanisierung hasse ich bis heute, ihre Kunst, die Pop Art ist ein Quatsch.“ Auch den Sager vom „großdeutschen Künstler“ liebt er. Er kann ihn sich leisten, das weiß er, in großartigen Radierungszyklen hat er die Nazizeit aufzuarbeiten versucht, er war im Widerstand, ist untergetaucht für fast ein Jahr. Die „militärische Vorbildung“ habe er trotzdem machen müssen, „bei der Waffen-SS, eine sehr seltsame Sache“, erinnert er sich. „Aber ich hab' nicht unterschrieben, darauf bin ich stolz.“

„Österreich war mir zu klein“

Für Wien empfindet er bis heute noch das, was er hier vorwiegend auch empfangen hat, liest man die Diskussionen um sein Renner-Denkmal an der Ringstraße und sein Mahnmal gegen Krieg und Faschismus am Albertinaplatz nach – mehr Hass als Liebe. „Österreich war mir zu klein. Deutschland war mein Nährboden.“ Und dennoch. In Deutschland liebte man ihn auch gerade deshalb so, weil er Österreicher war. Gulaschsuppe und Debreziner gibt es dann auch als Hommage an die Heimat des Stars in der Kantine der privaten Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall.

Hier, in einem der idyllischsten Fleckchen Deutschlands, zeigt der Sammler Reinhold Würth die größte Hrdlicka-Ausstellung seit zehn Jahren, seit der Retrospektive im Wiener Künstlerhaus. Kein Wunder, dass man vor allem eines vergessen hat, mit einem schlicht nicht rechnet: der ungeheuren Kraft, vor der diese monumentalen Brocken nur so strotzen. Diese riesigen Pranken, die da so Egger-Lienz-mäßig überall aus den meist nur halb behauenen Steinen baumeln. Vom frühen „Sterbenden“ bis zum „Orpheus“.

Alles ist hier versammelt, das Monument der Gürtel-Königin Hansi, die Porträtköpfe von Stifter, Wagner, Qualtinger, die wuchtigen Gemälde, die Opernausstattungen, der Pornoverbotszyklus – und verräterische Kleinplastik: Ein selbst entworfenes Schachspiel kündet von Hrdlickas zweiter großer Begabung, ein Marmor-Dildo aus der Sammlung Angelinas von seiner zweiten großen Schwäche neben dem Alkohol, der für die Frauen. Ob Hrdlickas Kunst mit ihrer Brutalität, ihrem Pathos, ihrer Wollust jetzt aber das Endstück einer Sackgasse markiert oder die Kunst einmal genau aus dieser herausführen wird, kann diese Ausstellungen nicht beantworten. Sie ist ein liebevoller Blick zurück. Kein unbarmherziger nach vorne.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2008)

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