Gedenkfeier: Eine begeisterte Verehrerin des Führers

(c) Die Presse (FABRY Clemens)
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Am 12. März 1938 übernahmen die Nationalsozialisten auch im Burgtheater die Macht. 70 Jahre danach erinnert das Haus am Ring mit „Nie wieder. Wie sicher ist das europäische Friedensprojekt?“ an diese Zäsur.

Zwölfter März, Burgtheater, ausverkauftes Haus. Ein Brief von Paula Wessely wird verlesen: „Als Künstlerin, die immer bestrebt war, die Kultur ihrer engeren österreichischen Heimat zum Ausdruck zu bringen und so das deutsche Wesen an der Donau allen Deutschen näherzubringen, begrüße ich zutiefst die Besiegelung der Wiedervereinigung Österreichs mit dem alten Deutschen Reich.“ Ein Raunen geht durch die Reihen, einige ältere Besucher stöhnen bei der Aufarbeitung dieses vielerorts noch immer tabuisierten Kapitels der österreichischen Theatergeschichte.

Ein Brief Attila Hörbigers: „Wir Künstler sind froh und stolz, am neuen großdeutschen Werke mitarbeiten zu können, und werden uns am 10.April einmütig zu unserem Führer bekennen!“ Einige Besucher ächzen, krümmen sich sogar, die meisten schauen betroffen. Auf der Bühne sitzt Elisabeth Orth, gefasst und ernst. Sie ist eines der Ensemblemitglieder, die an diesem Abend des Anschlusses im Burgtheater gedenken, aber in diesen Momenten sieht man in ihr nur die große Tochter jener zwei Legenden, die sich von Hitler verführen ließen, und mancher denkt sich wohl heimlich, was er damals geschrieben hätte, als die Nazis hier die Macht übernahmen.

„Nie wieder!“ nennt sich die Gedenkveranstaltung. Ein wichtiges politisches Ereignis hat Direktor Klaus Bachler damit ermöglicht, es führt zurück zu den religiösen Ursprüngen des Theaters. Ein Ritual der Reinigung wird vollführt, durch Aussprechen soll wohl das Böse gebannt werden.

Die Namen Ermordeter und Vertriebener

Auf der Bühne lesen neben Orth und dem Direktor (er vertritt den erkrankten Zeitzeugen Otto Tausig) Birgit Minichmayr, Johannes Krisch und Klaus Maria Brandauer, die meisten sachlich, Letzterer zuweilen exaltiert. Man hört in der Collage „Die Rückkehr in ein Neues Reich“ (Textauswahl: Sebastian Huber und Rita Czapka) von Hardlinern wie dem Autor Jelusich, der sich regelrecht in die Direktion putschte, vom Denunzianten Otto Hartmann, der für viele Todesurteile verantwortlich war. Man hört von der unsäglichen Inszenierung des „Kaufmann von Venedig“ durch Lothar Müthel mit Werner Krauß in der Titelrolle. Man hört von Rosa Albach-Retty im Anschlusstaumel: „Wie alle Menschen bin ich natürlich eine begeisterte Verehrerin des Führers, aber ich darf mich überdies rühmen, ihm besonders nahe zu sein.“ Sie schwärmt von Begegnungen mit Hitler in Berchtesgaden, während viele Schauspielerkollegen entlassen werden, denunziert, um ihr Leben zittern.

Als die Namen der Opfer verlesen werden, als Porträts vertriebener Schauspieler auf eine Leinwand projiziert werden, ist es ganz still: Ernst Arndt, Fritz Blum, Karl Eidlitz, Josef Gielen, Nora Gregor, Ernst Haeussermann, Lilly Karoly, Fritz Lehmann, Tini Senders, Lilly Stepanek, Fritz Strassni, Hans Wengraf, Else Wohlgemuth, Karl Zeska.

Für den erkrankten Jorge Semprún liest Ex-Minister Rudolf Scholten dessen Rede, ehe der bulgarische Autor Dimitré Dinev einen Blick auf die Gegenwart wirft (siehe nebenstehenden Text). „Wie sicher ist das europäische Friedensprojekt?“ lautet die Zusatzfrage. Am 11.März1938 trug Sigmund Freud zwei lateinische Worte ins Tagebuch ein, schreibt Semprún: „Finis Austriae“. Er hätte auch „Finis Europae“ schreiben können. Wie aber rettet man Europa? Nicht die Wurzeln sind für Semprún entscheidend, weil das engstirnig wäre, sondern der kritische Geist. Er zitiert Edmund Husserl, der 1935 ein Heldentum der Vernunft forderte. „Europas größte Gefahr ist die Müdigkeit.“ Das war Warnung genug.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2008)

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