Die Wirtschaftskrise findet in den Köpfen statt

Ob die USA nun vor einer Rezession stehen, ist für uns Europäer relativ unwichtig. Uns plagen andere Sorgen.

Wer vor knapp zwei Wochen einen Blick ins „Spectrum“ dieser Zeitung riskierte, konnte sich an einer hymnischen Rezension eines „neuen Standardwerks der globalisierungskritischen Bewegung“ erfreuen. Der Vorkämpfer einer Antifreihandelsbewegung stellte dabei eine „Alternative zu Kommunismus und Kapitalismus“ in Aussicht. Nun könnte man freilich einwenden, nicht alles lesen zu müssen, was einem jemand aufs Nachtkästchen zu legen versucht. Zumal selbst die Rezensentin (bei der es sich übrigens um die Ex-Pressesprecherin derselben Antifreihandelsbewegung handelt) bedauert, dass der Autor seine angekündigte Alternative zum Kapitalismus bestenfalls angedeutet habe.

Macht ja nichts. Das Buch verkauft sich bestimmt trotzdem gut. Schon der Titel „Neue Werte für die Wirtschaft“ verspricht ein Happy End. Das Ungeheuer Marktwirtschaft tobt sich erst einmal richtig aus, um am Ende doch besiegt zu werden.

So etwas kommt an. Vor allem hier, in einem Land, das den Umverteilungssozialismus schätzt und den Kapitalismus bestenfalls duldet. Vor allem jetzt, in einer Zeit, in der Firmen Werke schließen, obwohl diese Gewinne abwerfen und an den Börsen die Kurse als Folge kolossaler Fehlspekulationen internationaler Banken talwärts rauschen.

Es ist allerdings nicht die vermutlich unabwendbare Stagnation der US-Wirtschaft, die Sorgen bereitet. So etwas kommt vor, nach 20 Jahren robuster Konjunktur. Es ist auch nicht der zu erwartende Abschwung in Europa. Vielmehr das tiefe Misstrauen, das der Marktwirtschaft auf breiter Front entgegenschlägt. Wer hin und wieder im Freundes- und Bekanntenkreis über Globalisierung, Freihandel und Gewinnstreben diskutiert, weiß, wovon die Rede ist. Das geht so weit, dass jemand, der sich in Österreich Kapitalist nennt, auch gleich „Schwein“ nennen könnte, es läuft auf dasselbe hinaus.

Warum sich also mit einer Lobeshymne auf die Marktwirtschaft unbeliebt machen? Weil man die Hoffnung nicht aufgeben darf. Und weil wir es hier nicht mit einer Krise des Systems an sich zu tun haben, sondern mit einer Krise der eigenen Wahrnehmung. Trotz der unhaltbaren Zustände im Bankwesen funktioniert der Kapitalismus nämlich noch immer ganz prächtig. Während sich dessen Gegner gerade den Kummer von der Seele schreiben, finden tausende Menschen in China, Indien, Korea, der Slowakei, Bulgarien, Rumänien usw. den Weg aus der Armut. Und zwar nicht über Staatswirtschaft, Protektionismus und Regulierung, sondern über die Hinwendung zur Marktwirtschaft, zu Wettbewerb und freiem Unternehmertum. Laut UNO sind in den vergangenen 50 Jahren – der Hochblüte des Freihandels – mehr Menschen aus der Armut entkommen als in den 500 Jahren davor. Niemals zuvor lebten weltweit so viele Menschen in Wohlstand wie heute.

Das alles zählt in Europa kaum, in Österreich gleich gar nicht. Da können noch so viele Nobelpreisträger daherkommen und behaupten, der Freihandel nütze allen Beteiligten. In unseren Breitengraden wird Globalisierung als Mittel zur Ausbeutung von Menschen in unterentwickelten Ländern verstanden. Dagegen protestiert die schicke Wohlstandsgesellschaft dann auf der einen oder anderen Antiglobalisierungsdemo, um danach in einen McDonald's oder einen H&M-Laden einzufallen.

Günstige Waren aus neuen Märkten konsumieren wir eben ganz gerne. Noch lieber wettern wir aber gegen den Freihandel. Schließlich fürchten wir um unsere Jobs. Während wir Europäer seit über 60 Jahren in Freiheit leben und vollen Zugang zu den besten Bildungssystemen genießen, haben wir Angst vor der Konkurrenz aus Ländern, deren Bürger erst seit ein paar Jahren eine Vorstellung davon haben, was mit Freiheit überhaupt gemeint sein könnte. Vom fehlenden Zugang zu konkurrenzfähigen Bildungssystemen nicht zu reden.


Dazu passt, dass heimische Unternehmen in Osteuropa alle Banken und Versicherungen aufkaufen, die nicht angenagelt sind. Will aber eine arbeitslose ostslowakische Lehrerin in Österreich putzen, heißt es freundlich, aber bestimmt: Auf Wiederschau'n! Wir haben uns eben vor Putzkräften aus dem Osten zu schützen.

Auf einem Kontinent, der mehr Geld in die Subventionierung von Kühen steckt als in Forschung & Entwicklung, mag das nicht weiter stören. Vielleicht wäre es aber doch ganz gut, wenn wir uns schön langsam weniger darauf konzentrierten, wie wir mit 57 in die Frühpension entschwinden können. Die Zeiten, in denen Menschen aus Schwellenländern dank der Marktwirtschaft ähnlich gute Voraussetzungen haben werden wie wir, kommen nämlich schneller als von Globalisierungsgegnern befürchtet.

Die Finanzkrise Seiten 21 und 23


franz.schellhorn@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2008)

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