Dschemilew: "Krimtataren fühlen sich wie zu Breschnews Zeiten"

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Der Führer der Krimtataren, Mustafa Dschemilew, will trotz Einreiseverbots auf die Krim reisen. Er befürchtet große Ausschreitungen nächste Woche.

Wien. Mustafa Dschemilew ist fest entschlossen: Nächsten Sonntag, am 18. Mai, will er auf der Krim sein. Seit der Alt-Präsident der Krimtataren Mitte April aus der Halbinsel ausgereist ist – und seit der Annexion durch Russland –, darf er seine Heimat nicht mehr betreten. Nächsten Sonntag aber findet auf der Krim eine Gedenkveranstaltung statt, die ohne ihn kaum stattfinden könne: An diesem Tag vor genau 70 Jahren ließ Stalin die Krimtataren nach Sibirien deportieren. „Hat man so eine Dummheit schon erlebt?“, fragt Dschemilew mit Blick auf sein Einreiseverbot. „So lange haben wir gekämpft, damit wir wieder auf die Krim dürfen, und nun das.“

Dass Dschemilew in die Krim einreisen darf, glaubt er indessen selbst nicht – er wolle allerdings nichts unversucht lassen. Notfalls werde er eine Gedenkfeier an der Grenze abhalten. Unabhängig davon werden mehrere zehntausend Menschen auf der Krim der Deportation gedenken, so Dschemilew. Er fürchte großflächige Ausschreitungen zwischen den Tataren und russischen Krim-Bewohnern. Beide Seiten könnten provozieren, sagt der 70-Jährige zur „Presse“.

Kein fruchtbares Gespräch mit Putin

Dschemilew – seine Familie wurde ebenfalls deportiert – wuchs in der usbekischen Verbannung auf. Er trat gegen das Sowjetregime auf und verbrachte dafür 15 Jahre in Haft. Er war es auch, der die Rückkehr der Krimtataren auf die Halbinsel federführend organisierte. „Heute fühlen sich die Krimtataren wie zu Breschnews Zeiten“, sagt der Aktivist. Wie zu Sowjetzeiten unter Führung Leonid Breschnews würde auch heute auf der annektierten Krim die Selbstorganisation der Tataren nicht anerkannt. Erst kürzlich drohte Russland damit, ihre Nationalversammlung (Medschlis) schließen zu wollen. Dschemilew stand lange Jahre der Medschlis vor.

Von seinem Treffen mit dem russischen Präsidenten, Wladimir Putin, könne Dschemilew indessen nichts Greifbares berichten. Putin habe seine bereits bekannten Positionen dargelegt: Zum einen, dass in der Ukraine Faschisten am Werk, zum anderen, dass die ethnischen Russen in Gefahr seien. Beide Behauptungen seien Lügen. Putin habe ihm zwar versichert, dass den Krimtataren unter russischer Führung in allen Belangen geholfen werde, er selbst habe ihm aber geantwortet, dass die einzige Hilfe „der Rückzug seiner Soldaten von der Krim“ sei.

Für Dschemilew ist die derzeitige Kiewer Regierung die demokratischste seit Erlangen der Unabhängigkeit. Das Krim-Referendum erkenne er, wie auch die internationale Staatengemeinschaft, nicht an – zumal 99 Prozent der Krimtataren die Teilnahme boykottiert hätten.

Gegen Auswanderung in die Türkei

Auch den russischen Pass würden die Krimtataren ablehnen. Dabei lautet die Moskauer Lesart, dass von den rund 280.000 Krimtataren lediglich 3000 den russischen Pass abgelehnt hätten. „Diejenigen, die den russischen Pass angenommen haben, kann man an einer Hand abzählen“, sagt Dschemilew dazu. Und weiter: „Wir haben uns so gewöhnt an die Lügen der Russen, dass wir nichts mehr ernst nehmen können.“ Die doppelte Staatsbürgerschaft würden beide Länder nicht erlauben.

Seit der Annexion dürften rund 8000 Bewohner die Halbinsel verlassen haben, die meisten davon Krimtataren. Während viele in den Westen der Ukraine geflüchtet sind, hat Ankara der turksprachigen Ethnie ebenfalls „die Türen geöffnet“, wie Dschemilew sagt. Er sei aber gegen eine Auswanderung in die Türkei. Man könne sich viel zu schnell an das Leben dort gewöhnen und nicht mehr auf die Krim zurückkehren. „Unser Ziel ist es, auf eigenem Boden zu bleiben.“ Von der Kiewer Regierung werde er zwar unterstützt, aber deren Möglichkeiten seien auch beschränkt.

Ob nun gegen Dschemilew tatsächlich ein fünfjähriges Einreiseverbot besteht, wie ihm an der Grenze mitgeteilt wurde, wisse er selbst nicht. Ein anderes Mal habe man ihm gesagt, dass er bis Ende dieses Jahres nicht einreisen dürfe. Offiziell dementiert Russland ein Einreiseverbot.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2014)

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