Deutschlands Wirtschaft hebt ab, Österreich bleibt zurück. Ist das Wetter schuld?
Wien. Wenn Volkswirte erklären müssen, warum die Wirtschaft ein wenig schneller oder ein wenig langsamer gewachsen ist, als sie vorhergesagt haben, greifen sie mitunter gern auf die Meteorologie zurück. Der milde Winter habe Deutschland in den ersten drei Monaten des Jahres das stärkste Wachstum seit 2011 beschert, vermeldete etwa das Statistische Bundesamt am Donnerstag. Beflügelt von der Bauindustrie und ausgabefreudigen Privaten zog die deutsche Konjunktur mit 0,8 Prozent doppelt so schnell an wie Ende 2013 und hielt so auch in der Eurozone den Kopf über Wasser. 0,3 Prozent davon sind dem milden Winter zu verdanken, sagt Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer.
Derselbe Winter, nur ein paar Kilometer weiter im Süden, hatte leider nicht denselben Effekt. In Österreich blieb die Wachstumsrate mit realen 0,3 Prozent auf das Vorquartal deutlich hinter den Erwartungen der Ökonomen zurück. Die Zahl der Baustellen wuchs zwar auch kräftig, doch Unternehmen und Private hielten ihr Geld lieber zurück. „Der milde Winter allein hilft nicht, wenn die Nachfrage nicht da ist“, erklärt Wifo-Experte Marcus Scheiblecker das Phänomen. Und während viele Anlagenbauer vergebens auf Aufträge warteten, schmolz der Tourismusindustrie das Geschäft davon.
Österreich soll aufholen
Im Verlauf des Jahres werde sich Österreich jedoch deutlich schneller entwickeln als Deutschland und so die Prognose von 1,7 Prozent plus für 2014 knapp erreichen, erwartet IHS-Ökonom Klaus Weyerstrass. „Der deutsche Effekt kommt mit Verzögerung immer nach Österreich“. In der Bundesrepublik, wo ebenfalls ein Plus von 1,8 Prozent angepeilt wird, rechnet man jedoch damit, dass das Anfangsfeuer bald abkühlen wird. Das zweite Quartal dürfte ein Plus von 0,3 Prozent bringen. Im März schrumpften die Aufträge an die Industrie sowie Produktion und Exporte.
Steuern bremsen Konsum
Da es mit Frankreich und Italien zwei weitere Schwergewichte der Eurozone nicht über die Nulllinie geschafft haben, dürfte die Europäische Zentralbank mit einer neuerlichen Zinssenkung reagieren. Auf das gute Wetter allein wollen sich die Währungshüter nicht verlassen. In Konjunkturprognosen fließt die Witterung ohnedies nur dann ein, wenn extreme Wetterereignisse wie Stürme oder Überschwemmungen zu erwarten sind. Die momentane Witterung ist mit üblichen Saisonschwankungen abgedeckt.
Die größten Wachstumsbremsen in Österreich fallen aber sicher nicht in Form von Schneekristallen vom Himmel, sondern werden von der Politik hausgemacht, erklärt das Wifo. Der Konsum der privaten Haushalte werde durch die ständigen Steuererhöhungen abgewürgt. Jüngste Beispiele sind die Anhebung der Tabak- und Alkoholsteuer sowie der motorbezogenen Versicherungssteuer ab März. Diese Effekte werden bei den real verfügbaren Nettovermögen der Österreicher noch zu spüren sein, wenn der milde Winter vom Vorjahr längst wieder vergessen ist.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2014)