Die Rückkehr der Schwedenbombe

Die Presse
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Vor einem Jahr wurde das insolvente Familienunternehmen Niemetz von Heidi Chocolat übernommen. Der neue Eigentümer hat mit den Schokoküssen große Pläne.

Es mutet ein wenig wie ein Schlaraffenland an. Wie eine adrette Armee bewegen sich die Schwedenbomben, frisch mit Schokolade glasiert und zur Hälfte mit Kokos bestäubt, auf dem Fließband auf einen zu. Man müsste nur die Hand ausstrecken und eine nach der anderen in den Mund wandern lassen. Die Produktionsstätte im dritten Wiener Bezirk hat eine charmante Patina. Seit den 1930er-Jahren wird dort die Schwedenbombe hergestellt.
Vor ziemlich genau einem Jahr wurde das Familienunternehmen Niemetz von Heidi Chocolat gekauft. Die Geschichte der Insolvenz und Rettung des Süßwarenproduzenten mit der ältesten eingetragenen Marke im österreichischen Markenregister (1934) ist nicht nur deshalb bemerkenswert, weil die Schwedenbombe ein österreichisches Kulturgut und Niemetz eines der wenigen verbliebenen Süßwarenunternehmen mit Sitz in Österreich ist.
Sondern es ist auch eine Seltenheit, dass ein insolventes Unternehmen seine Schulden vollständig begleichen kann. Der Kaufpreis von Niemetz hatte sich – nicht zuletzt wegen der öffentlichkeitswirksamen Facebook-Kampagne „Rettet die Schwedenbomben“ und der dadurch ausgelösten Hamsterkäufe – zu einer Bieterschlacht zwischen Heidi Chocolat, Interfood und der Raiffeisengruppe Oberösterreich entwickelt. Auch die Süßwarenhersteller Manner und Heindl hatten Angebote unterbreitet. Der Deal ging letztlich an Heidi, kolportiert wurde ein Kaufpreis von 5,25 Mio. Euro. Damit konnten die Schulden von 4,2 Mio. Euro problemlos beglichen werden.

Produktion bleibt in Wien.
Für die Firma Niemetz erwies sich der neue Eigentümer als Glücksfall. Alle ehemaligen Mitarbeiter, die unter der neuen Führung weitermachen wollten (etwa 80 Prozent), wurden auch übernommen. Die rumänische Heidi Chocolat gab zudem auch das Versprechen ab, dass die Produktion in Wien bleiben werde. Die Heidi Chocolat AG verfolgt eine Strategie, in die Niemetz perfekt hineinpasst: „Unser Spielfeld sind starke Marken in Zentral- und Osteuropa, die wie die Schwedenbomben sträflich vernachlässigt wurden“, sagt Heidi-Aufsichtsratsvorsitzender Gerald Neumair.
Heidi Chocolat gehört seit 2013 zur Süßwarensparte des Firmenimperiums von Julius Meinl. Aufgebaut hat die Firma die Schweizer Chocolatierfamilie Läderach, die unter anderem in Davos, St. Moritz und in Zürich exklusive Confiserien betreibt und sich mit Heidi Chocolat in den Neunzigerjahren in Rumänien ein zweites Standbein geschaffen hat. Heute befindet sich in Bukarest die Unternehmenszentrale. Mit Neumair hat sich Meinl einen Mann mit jahrzehntelanger Expertise im Süßwarengeschäft an die Spitze von Heidi Chocolat geholt. Vor seinem Übertritt zur Meinl-Gruppe 2011 arbeitete Neumair 23 Jahre lang bei Kraft Foods, wo er unter anderem als Vice President Chocolate Europe für die Marken Milka, Toblerone und Côte d'Or verantwortlich war und die Expansion in Osteuropa betreute.
Seit Neumair nun auch über die Geschicke von Niemetz bestimmt, hat sich in der Produktionsstätte einiges getan. Im Argen lag bei der Übernahme vieles: „Da gab es über Jahre Lieferschwierigkeiten, es wurde on/off produziert. So etwas geht einfach nicht. Der Lebensmittelhandel ist sehr professionell“, sagt Neumair. Mittlerweile hat man die Beziehungen zum Handel wieder gekittet und die Produktionsabläufe verbessert. Die Kapazität des veralteten Maschinenparks wurde durch eine Generalüberholung verdoppelt. Jetzt können pro Tag bis zu 400.000 Stück Schwedenbomben hergestellt werden.

Mit Coca Cola gleichauf.
Das Geschäft läuft, man wachse zurzeit zweistellig. „In der Zeit, in der das Produkt nicht erhältlich war, halbierte sich der Markt für Schokoschaumküsse“, sagt Neumair. Die Schwedenbomben seien ein „starres Produkt“. Das heißt: Liegen sie in den Supermarktregalen, werden sie gekauft. Wenn nicht, weichen die Konsumenten aber nicht auf andere Schokoschaumküsse aus.
In dem knappen Jahr seit der Übernahme hat Heidi Chocolat viel Geld in Marktforschung investiert, um herauszufinden, wie man die Schwedenbombe bewirbt und eventuell optimiert. Das Resultat: Die Bekanntheits- und Sympathiewerte sind – und das trotz jahrzehntelanger Werbeabstinenz – hoch: „95 Prozent der Österreicher kennen die Schwedenbombe, 91 Prozent sagen, sie sei ein einzigartiges Produkt. Das habe ich in meinen 27 Jahren Erfahrung im Süßwarenmarkt noch nicht erlebt“, sagt Neumair.
Der Wiedererkennungswert aus sogenannten Tachistoskop-Tests nach einer Viertelsekunde sei gleichauf mit Marken wie Red Bull oder Coca Cola. Nicht unwesentlich für den hohen Wiedererkennungswert sei das Spiel mit den Sorten, den „Nackerten und den Bestäubten“, meint Neumair. „Da kann man sich wunderbar darüber streiten.“ Deshalb ist Neumair mit Änderungen am Produkt vorsichtig. „Die Klarsichtverpackung ist vielleicht nicht schön, aber sie gehört definitiv zur Identität der Marke.“ Es wurden mehrere Agenturen mit der Ausarbeitung eines Werbekonzepts beauftragt. Im letzten Quartal 2014 soll eine Werbekampagne starten.

Übersiedlung steht an. Bisher hat Heidi in Niemetz eine Million Euro investiert. Doch das reicht nicht. 2015 muss Niemetz übersiedeln. Ex-Eigentümerin Ursula Niemetz hat den Standort kurz vor der Insolvenz verkauft. Drei Standorte im Großraum Wien sind in der engeren Wahl. „Eigentlich würden wir ja gern hierbleiben“, sagt Neumair. Für den neuen Standort müsse man dann wieder einen hohen ein- oder zweistelligen Millionenbetrag in die Hand nehmen. „Wir müssen uns auf jeden Fall auf höhere Kapazitäten vorbereiten“, sagt Neumair.
Derzeit konsumieren die Österreicher pro Kopf und Jahr eine Sechserpackung Schwedenbomben. „Wir glauben, dass wir das verdoppeln können.“

Fakten

Produktion.
Pro Tag werden in der Wiener Produktionsstätte von Niemetz zwischen 200.000 bis 400.000 Stück Schwedenbomben hergestellt.

Rezeptur.
Das Rezept der Schwedenbomben ist geheim und wird in der Firma in einem Tresor aufbewahrt. Die wesentlichen Zutaten: aufgeschlagenes Eiweiß, eine Waffel, Schokolade, Kokosflocken.

Investitionen.
Der neue Eigentümer Heidi Chocolat hat seit der Übernahme eine Mio. Euro investiert. Im Rahmen der Übersiedlung fällt ein weiterer hoher ein- oder knapp zweistelliger Millionenbetrag an. In vier bis fünf Jahren sollen sich die Investitionen amortisiert haben.

Chronologie

Niemetz

1890 Bäckermeister Eduard Niemetz eröffnet in Linz seine erste Konditorei.
1930 Walter Niemetz und seine Frau kreieren gemeinsam mit einem schwedischen Freund die Schwedenbombe. Kurz darauf startet die Produktion in der Süßwarenmanufaktur im 3. Bezirk.
1934Eintragung der Schwedenbombe als Marke.
1940 Gründung der Walter Niemetz Süßwarenfabrik – Fabrikation von Zucker-, Schokoladen-, Konditorei- und Dauerbackwaren GmbH & Co KG.
1992 übernimmt Ursula Niemetz nach dem Tod des Vaters die Firma.
2012 Verkauf des Wiener Firmenstandorts. Februar 2013 Antrag auf Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung.
Mai 2013 Die rumänische Heidi Chocolat, Teil der Meinl-Gruppe, übernimmt Niemetz für einen kolportierten Kaufpreis von 5,25 Mio. Euro. Die Schulden können zu 100 Prozent beglichen werden.

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