Die Türen zur Macht stehen weit offen

(c) AP (Markus Schreiber)
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Deutschlands Grüne sind flexibel geworden. Sie spielen in fast allen Koalitions-Konstellationen eine Rolle.

BERLIN. Joschka Fischers Machtinstinkt ist auch zweieinhalb Jahre nach seinem Abschied aus der Politik intakt geblieben. Als der einstige „Gottvater“ der Grünen und „Apo-Opa“ im Kreis seiner Parteifreunde kürzlich die Huldigungen zu seinem 60. Geburtstag entgegennahm, sprach er „Tacheles“ – und ganz offen über die schwarz-grüne Option auch auf Bundesebene. Das Führungsquintett der Partei hatte die schwarz-grüne Koalition in Hamburg, die in der nächsten Woche ihre Premiere erleben wird, bisher stets als regionalen Sonderfall abgetan. Insgeheim weiß es indes, dass das hanseatische Bündnis ihr Machtspektrum erheblich verbreitert. Nicht umsonst haben SPD und FDP empört aufgeheult.

Babylonische Gefangenschaft

Joschka Fischer war die Galionsfigur eines rot-grünen Modells, das mit seinem Abgang gewissermaßen Geschichte geworden ist. In der Zukunft zeichnen sich in Berlin Drei-Parteien-Konstellationen ab, und die Grünen haben darauf flexibel reagiert. Sie haben sich aus der babylonischen Gefangenschaft der SPD befreit, unter der sie mehr gelitten haben, als sie zuzugeben bereit waren.

Ganz perplex waren Hamburgs Grüne neulich über die weitreichenden Konzessionen der CDU bei den Koalitionsverhandlungen. Unter der prinzipiell aufgeschlossenen Machtstrategin Angela Merkel haben die Bundes-Grünen Bande zur Union geknüpft. Und Merkel hat im Stillen – zusammen mit dem liberalen Bürgermeister Ole von Beust und CDU-Generalsekretär Pofalla – auch die Fäden in Hamburg gezogen. Allen rhetorischen Floskeln zum Trotz freundet sich selbst die CSU allmählich mit der Idee einer grünstichigen Koalition ab. Eine „Jamaika“-Koalition mit Union und FDP erscheint derzeit zukunftsträchtiger als eine „Ampel“-Koalition mit SPD und FDP. Die Türen der Macht stehen für die Grünen sperrangelweit offen.

25 Jahre nach ihrem Einzug in den Bundestag, nach den Dogmen des Rotationsprinzips für Abgeordnete und der strikten Trennung zwischen Funktion und Amt, haben sie längst Geschmack gefunden an Ministerjobs und Talkshow-Auftritten.

Kalte Schulter für Parteichef-Job

Inhaltlich freilich macht „Klimakanzlerin“ Merkel den Grünen die Themenführerschaft streitig. Zudem drohen den Grünen in einem polarisierenden Wahlkampf zwischen CDU, SPD und der Linkspartei – wie in Hessen oder Hamburg – prozentuale Einbußen. Das Beispiel Hessen zeigt aber auch, wie begehrt die Grünen als Koalitionspartner sind – und wie gut sie personell aufgestellt sind.

Irritierend ist dabei nur eins: Wie die Nachwuchshoffnungen Tarek al-Wazir, Boris Palmer oder Cem Özdemir den längst fälligen Generationensprung verweigern und dem vakanten Amt des Parteichefs die kalte Schulter zeigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2008)

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