Um den Posten des Kommissionspräsidenten zu erhalten, muss Jean-Claude Juncker seinen Rivalen Martin Schulz in die Schranken weisen und Alliierte in den EU-Hauptstädten finden.
Brüssel. Die Wahlschlacht ist geschlagen, nun beginnt der Kampf um den Thron. Zwar mag die Europäische Volkspartei (EVP) mit ihrem Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker die Europawahl für sich entschieden haben – dass der Luxemburger damit aber automatisch den Chefposten in der EU-Kommission erhält, heißt dies noch lange nicht. Denn für einen triumphalen Einzug ins Berlaymont-Gebäude, das Hauptquartier der Brüsseler Behörde, benötigt Juncker noch zwei Siege: einen im Europaparlament, den anderen im Europäischen Rat.
Momentan beträgt der Vorsprung der EVP auf die Sozialdemokraten (S&D), die mit dem EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz (SPD) ins Rennen gegangen sind, 23Mandate. Dieser Abstand im Plenum ist aber nicht gesichert, denn die europäischen Parteifamilien haben bis Mitte Juni Zeit, um sich zu konstituieren. Es besteht also durchaus die Möglichkeiten, dass der EVP Mitglieder abhandenkommen – etwa Ungarns Fidesz von Premier Viktor Orbán, der Juncker partout nicht an der Kommissionsspitze sehen will – oder dass die Sozialdemokraten neue Weggefährten gewinnen. Dann könnte sich das Blatt wenden, auch wenn diese Volte die Wahl ad absurdum führen und den Gegnern des Spitzenkandidatenprinzips Munition liefern würde. Schulz will sich jedenfalls nicht geschlagen geben und kündigte in der Nacht auf Montag an, sich nach einer Mehrheit „für mein Programm“ umzusehen – eine Ansage, die in der SPD mit Skepsis aufgenommen wurde: „Das Wahlergebnis ist nicht so, dass es ein Durchmarsch für Martin Schulz wird“, sagte gestern der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Juncker wiederum sieht sich klar in der Pole-Position und rät Schulz, „nicht einen Weg einzuschlagen, der zu keinem Ziel führt“.
Doch das Schicksal der Spitzenkandidaten wird sich im Rat entscheiden. Gemäß EU-Recht nominieren die Staats- und Regierungschefs der Union den Kandidaten für den EU-Kommissionspräsidenten unter Berücksichtigung des Wahlergebnisses, das Europaparlament stimmt anschließend über den Kandidaten ab. Dass Juncker oder Schulz den Zuschlag bekommt, ist also nicht in Stein gemeißelt – David Cameron beispielsweise ist ein deklarierter Gegner der Spitzenkandidaten. Und auch Angela Merkel will sich (noch) nicht definitiv festlegen: „Wir gehen natürlich mit Jean-Claude Juncker in die Debatte“, sagte die deutsche Kanzlerin am Montag, doch die Personaldebatte habe noch nicht einmal begonnen – auch wenn Juncker gestern fix mit Merkels Rückendeckung rechnete.
Fällt die Entscheidung bereits am Dienstag?
Die Weichenstellung könnte bereits am Dienstag beim informellen Abendessen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel erfolgen, bei dem das Wahlergebnis erörtert werden soll. Zwar hat es im Vorfeld geheißen, dass es am Dienstag keine Personalentscheidungen geben werde. Doch um ein wochenlanges Hickhack zu vermeiden, könnten die EU-Granden versucht sein, Juncker im Eilverfahren zu inthronisieren.
Klar ist allerdings auch, dass sie Schulz im Gegenzug ein interessantes Jobangebot machen müssten, um einen Aufstand der Sozialdemokraten zu verhindern. Die Möglichkeiten: Ratspräsident, EU-Außenminister – oder doch noch eine zweite Kadenz im Parlamentspräsidium.
Weitere Infos:www.diepresse.com/euwahl
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2014)