"Diskussion über Blockade": Juncker muss bangen

 Jean-Claude Juncker
Jean-Claude JunckerAPA/EPA/OLIVIER HOSLET
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Die Kandidatur des Luxemburgers als EU-Kommissionspräsident ist unsicher. Parteifreunde wenden sich ab, die deutsche Kanzlerin spielt auf Zeit. Ratspräsident Herman van Rompuy soll nun vermitteln.

Der christdemokratische Spitzenkandidat in der Europawahl, Jean-Claude Juncker, muss um die Unterstützung der EU-Staaten für seine Kandidatur als EU-Kommissionspräsident zittern. "Ich sehe schon eine Mehrheit für Jean-Claude Juncker", sagte SP-Bundekanzler Werner Faymann nach den Gipfelberatungen. "Aber da es eine qualifizierte Mehrheit sein muss, kommt es auf mehr an als 50,1 Prozent." Er unterstütze Juncker und bedauere, dass der Gipfel in dieser Frage noch nicht weiter gekommen sei.

Es habe eine Reihe von Wortmeldungen gegeben, "die nicht diese klare Anerkennung des Ergebnisses sehen, überraschenderweise aus jener Partei, die Jean-Claude Juncker nominiert hat", sagte Faymann in Hinblick auf die Europäische Volkspartei (EVP), die bei der Wahl stärkste Kraft wurde. "Es ist die Diskussion aufgekommen über eine Blockade", berichtete Faymann. "Das ist eine Diskussion, die mich nicht freut." EU-Ratspräsident Herman van Rompuy sei nun beauftragt worden, sofort und bis zum nächsten EU-Gipfel Ende Juni in Konsultationen mit den EU-Staaten zu treten.

Merkel hat Unterstützung "nicht vergessen"

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn kommentierte das Ergebnis des Brüsseler EU-Gipfels als "ernüchternd bis erbärmlich". Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel vermied nach dem Gipfel eine eindeutige Festlegung auf Juncker. Sie habe zwar ihre Unterstützung für ihn "nicht vergessen", doch könne es keinen Automatismus bei der Nominierung geben. Dies entspreche nicht den EU-Verträgen. Auch sei dafür zu "sorgen, dass wir im Rat gut miteinander arbeiten können", sagte sie in Anspielung auf den Widerstand gegen Juncker in einigen EU-Staaten.

Der Luxemburger braucht die Unterstützung der Staats- und Regierungschefs, die ihn für das hohe Amt vorschlagen müssen. Widerstand gegen Juncker kommt vom britischen Premierminister David Cameron, aber auch von dem schwedischen Regierungschef Fredrik Reinfeldt und seinem ungarischen Amtskollegen Viktor Orban.

Dagegen dementierte die slowenische Ministerpräsidentin Alenka Bratusek Gerüchte, dass auch ihr Land dem Cameron-Lager angehöre. Slowenien werde Juncker unterstützen, "wenn er eine breite Mehrheit hat", sagte sie. Aus London war zuvor verlautet worden, dass der britische Premier Ungarn, Litauen, Irland, Schweden, Slowenien und Deutschland als mögliche Verbündete gegen Juncker sehe. Die als mögliche Alternativkandidaten genannten Regierungschefs Enda Kenny (Irland) und Jyrki Katainen (Finnland) betonten beim Gipfel demonstrativ ihre Unterstützung für Juncker.

Heikler Balanceakt

Im Europaparlament muss Juncker ebenfalls die Sozialdemokraten für sich gewinnen, deren Stimmen er für seine Wahl braucht. Fraktionschef Hannes Swoboda und Spitzenkandidat Martin Schulz erklärten sich zur Kooperation im Gegenzug für ein Bekenntnis zu Wachstums- und Beschäftigungspolitik bereit. Heikel wird beim Balanceakt Junckers der Abgleich an Interessen zwischen der konservativen und liberalen Mehrheit der Regierungsspitzen in den Hauptstädten und den Sozialdemokraten im Europaparlament. Erstere drängen auf die Fortsetzung der Konsolidierungspolitik, das Mitte-Links-Lager im Europaparlament will hingegen Investitionen, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Vor Beginn des Gipfels in Brüssel stellte sich das EU-Parlament demonstrativ hinter Juncker. Die Fraktionschefs des scheidenden Europaparlaments beschlossen eine Erklärung, in der er als Kandidat der größten Fraktion ermächtigt wird, als erster Anwärter auf das Amt des Kommissionschef die erforderliche Mehrheit zu finden. Geht seine Bestellung im Europäischen Rat durch, soll das Zustimmungsvotum im Europaparlament Mitte Juli stattfinden. Der designierte Kommissionspräsident braucht eine absolute Mehrheit aller Abgeordneten (367 Stimmen), die wohl nur durch eine Zusammenarbeit der beiden großen Fraktionen, Konservative und Sozialdemokraten zu erreichen ist.

Swoboda nennt EVP-Blockade Junckers "komisch"

Der Chef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Hannes Swoboda, hat am Mittwoch die unklare Haltung des EU-Gipfels zu dem EVP-Kandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten, Jean-Claude Juncker, kritisiert. "Es ist komisch, dass Herr Juncker die Unterstützung der Fraktion der Sozialisten und Demokraten hat, aber von seiner eigenen politischen Familie im Europäischen Rat blockiert wird."

Swoboda rief in einer Presseerklärung den früheren luxemburgischen Premier Juncker auf, die Verhandlungen ohne eine Mandat des EU-Gipfels zu beginnen, "nachdem der Rat es verweigert, seiner Verantwortung nachzukommen". Der sozialdemokratische Fraktionschef warf dem Gipfel vor "Verstecken zu spielen". Das Ergebnis der Europawahl, aus der die Europäische Volkspartei (EVP) als stärkste Kraft hervorging, werde von jedem im EU-Parlament akzeptiert und könne nicht klarer sein. "Jean-Claude Juncker muss als Kandidat der größten Partei Verhandlungen über ein Arbeitsprogramm beginnen."

(APA)

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