Eskalation in Ankara: Polizei setzt Tränengas ein

Taksim-Platz und Gezi-Park wieder geöffnet
Taksim-Platz und Gezi-Park wieder geöffnet(c) REUTERS (OSMAN ORSAL)
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In Ankara setzte die Polizei am Sonntag wieder Tränengas und Wasserwerfer gegen Demonstranten ein.

Es war eine Machtdemonstration des türkischen Staats gegen die Protestbewegung im Land - und sie hat gewirkt. Mit einem massiven Polizeiaufgebot ließ Regierungschef Recep Tayyip Erdogan am Wochenende in der Metropole Istanbul und anderen Städten Kundgebungen von Regierungsgegnern zum Jahrestag der Gezi-Proteste unterbinden.

Allein in Istanbul waren am Samstag 15.000 Polizisten im Einsatz. Mit Wasserwerfern, Tränengas und Schlagstöcken gingen Beamte gegen Demonstranten vor, mehr als 200 Menschen wurden nach Angaben von Aktivisten vorübergehend festgenommen. Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten gab es auch in der Hauptstadt Ankara und im südlichen Adana.

Tränengas und Wasserwerfer

In Ankara setzte die Polizei zudem auch am Sonntag Tränengas und Wasserwerfer gegen Hunderte Demonstranten ein, wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Zu der Kundgebung im Zentrum der Hauptstadt hatten sich rund 500 Menschen versammelt. Sie wollten an die Tötung eines 26-Jährigen Demonstranten genau ein Jahr zuvor erinnern. Er war von Polizisten erschossen worden.

Die Organisation "Taksim-Solidarität" hatte ihre Anhänger für Samstag zu Massenprotesten aufgerufen, um an den Ausbruch der Gezi-Unruhen Ende Mai vergangenen Jahres zu erinnern. Damals hatte der Widerstand gegen ein Bauprojekt der Regierung im kleinen Gezi-Park am Taksim-Platz in der Istanbuler Innenstadt wochenlange Unruhen ausgelöst, bei denen acht Menschen starben.

Am Jahrestag der Proteste sperrten in Istanbul starke Polizeikräfte den Gezi-Park und den angrenzenden Taksim-Platz ab. In den umliegenden Straßen lieferten sich Polizisten und Demonstranten teilweise heftige Straßenschlachten. Der regierungskritische Anwaltsverband CHD berichtete von zeitweise 203 Festnahmen; der Istanbuler Polizeichef Selami Altinok gab die Zahl mit etwa 120 an.

Polizei attackiert CNN-Korrespondenten

Der Korrespondent des US-Senders CNN, Ivan Watson, wurde nach eigenen Angaben während einer Live-Schaltung vom Taksim-Platz von der Polizei festgesetzt. Ein Polizist habe ihn dabei getreten, berichtete Watson über Twitter. Er und sein Team seien nach einer halben Stunde wieder freigelassen worden. Auf CNN-Fernsehbildern war zu sehen, wie Polizisten in Zivil die Live-Schalte behinderten. Einer der Polizisten stellte sich mit dem Rücken vor die Kamera.

Bosporus-Fähren brachten seit dem Nachmittag keine Passagiere mehr vom asiatischen zum europäischen Teil Istanbuls, wo der Taksim-Platz liegt. Die U-Bahn-Station am Taksim-Platz wurde geschlossen. Bis in die Nacht hinein lieferten sich kleinere Gruppen von Demonstranten Scharmützel mit der Polizei.

"Wir wollen an die Toten erinnern"

Der 20-jährige Demonstrant Öguz Demir sagte mit Blick auf die Toten der Gezi-Proteste 2013 und das Grubenunglück von Soma am 13. Mai: "Wir wollen an die Toten von Gezi und Soma erinnern, aber man lässt uns nicht auf den Taksim. Was ist das für ein Staat?" Die 29-jährige Lehrerin Nesrin Özgür kritisierte: "Erdogan hat das Land gespalten. Jeder, der seine Menschenrechte einfordert, wird festgenommen."

In der Umgebung des Taksim-Platzes wurden neben Wasserwerfern auch Krankenwagen und Feuerwehrfahrzeuge in Stellung gebracht. Zuletzt hatten gewaltbereite Demonstranten Sicherheitskräfte bei Protesten in Istanbul auch mit Molotow-Cocktails angegriffen, woraufhin die Polizei in mindestens einem Fall mit scharfer Munition schoss. Am Rande von Ausschreitungen waren vergangene Woche zwei Menschen ums Leben gekommen.

"Neue Tote, neue Schmerzen"

Erdogan hatte den Aufruf zu Demonstrationen bereits am Freitagabend verurteilt. Ein Jahr nach den Gezi-Protesten wollten die Demonstranten der Türkei "neue Tote, neue Schmerzen" zufügen, sagte er nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi.

Die Proteste im vergangenen Sommer hatten sich an Plänen der Regierung entzündet, den Gezi-Park am Rande des Taksim-Platzes zu bebauen. Am 31. Mai vor einem Jahr schlugen sie in landesweite Proteste um, die sich vor allem gegen den autoritären Regierungsstil von Erdogan und die eskalierende Polizeigewalt richteten. Die Demonstrationen kosteten mindestens sieben Menschen das Leben. Die Massendemonstrationen ebbten im Spätsommer ab. Immer wieder flammen aber seitdem Proteste auf, die die Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas zerschlägt.

(APA)

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